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Lukas Lottersberger

Lukas Lottersberger

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Politik, Alltägliches und andere Kuriositäten.

2. 2. 2017 - 16:52

(De-)Radikalisierung in Gefängnissen

Eine Studie hat die Deradikalisierungsmaßnahmen in Gefängnissen unter die Lupe genommen. Wir haben mit der Studienautorin Veronika Hofinger darüber gesprochen.

Rund 70 Personen sitzen in Österreich in Haft oder Untersuchungshaft. Der Vorwurf: Mitgliedschaft oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Weil die Zahl sich in den letzten zwei Jahren mehr als verdoppelt hat, hat das Justizministerium vergangenes Jahr Deradikalisierungsmaßnahmen ergriffen - darunter Anti-Gewalt-Trainings, Politische Bildung, Einschätzungsgespräche, etc.

Eine umfangreiche Begleitstudie hat sich nun angesehen, ob die Maßnahmen in Gefängnissen Wirkung zeigen. Dazu wurden rund 100 Personen befragt: Anstaltsleiter, Justizwachebeamte und Häftlinge. Einige der Maßnahmen scheinen durchaus sinnvoll - aber es gibt noch eingie offene Fragen. Die Studienautorin hat uns bei einem Interview einige Einblicke gegeben.

Der kürzlich verhaftete Lorenz K., der einen Anschlag geplant haben soll, wurde angeblich im Gefängnis radikalisiert. Sind Gefängnisse ein guter Nährboden für Radikalisierung?

Veronika Hofinger: Bei Lorenz K. vermutet man inzwischen, dass er sich gar nicht im Gefängnis radikalisiert hat. Aber das Phänomen gibt es. Das ist in unserer Studie zwar nicht so virulent gewesen, weil von unseren Befragten nur einzelne in Haft radikalisiert worden sind. Aber es gibt immer mehr Leute, die wegen Mitgliedschaft oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in Haft sitzen. Jetzt sind es über 60 (genau: 68), vor zwei Jahren waren es nur 25. Damit wird das Problem natürlich größer.

Das Gefängnis ist kein idealer Ort für Deradikalisierung, im Gegenteil. Das ist aber keine österreichische Besonderheit. Dort sind Menschen, die in einer Krise sind, die sich ausgeschlossen fühlen – also lauter Bedingungen, die eigentlich Radikalisierung begünstigen. Sie treffen dort eher auf Leute, die dieses Gedankengut verbreiten.

Dass Radikalisierung in Haft ein Thema ist, dessen ist sich der Strafvollzug auch durchaus bewusst. Es ist nicht leicht zu verhindern, weil Isolation auch nur bedingt eine Lösung ist. Man versucht das zum Beispiel bei ganz schwierigen Fällen, wie bei Predigern. Aber im Jugendstrafvollzug ist es unmöglich, jemanden abzusondern – das ist ja auch gar nicht wünschenswert.

Wie groß ist das Problem, dass Leute, die außerhalb des Gefängnisses radikalisiert wurden, andere im Gefängnis damit "anstecken"?

Veronika Hofinger

Veronika Hofinger

Man muss unterscheiden: Nicht jeder, der wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung in Haft ist, ist automatisch ein gefährlicher Terrorist. Wir haben in unseren Gesprächen ganz unterschiedliche Menschen kennengelernt. Da gibt es eine große Bandbreite. Von Frauen, die durch Internetpropaganda von einem Leben unter der Scharia in Syrien geträumt haben, über kleinkriminelle Jugendliche, die auf Facebook Sympathie zum IS bekundet haben, bis hin zu Menschen, denen vorgeworfen wird, in Syrien gemordet zu haben.

Grundsätzlich verfolgt man im Strafvollzug die "Strategie der Normalisierung". Das heißt, man will diese Menschen im Gefängnis nicht anders behandeln als andere. Ich glaube, das ist auch die richtige Strategie. Man will sie nicht absondern, weil man auch um die Nachteile weiß.

Doch in der Praxis ist es so, dass dieses ganz "normal behandeln" nicht ganz so funktioniert, auch deshalb, weil diese Leute oft sehr lange in Untersuchungshaft sind. Dort gibt es ein strenges Regime, viel Isolation, strenge Vorgaben von Staatsanwaltschaft und Verfassungsschutz, Ängste des Personals, mit diesen Menschen "normal" umzugehen. Diese Strategie [der Normalisierung, Anmerkung] ist grundsätzlich zu begrüßen, wird aber in der Praxis nicht immer umgesetzt.

In Frankreich rekrutieren Dschihadisten besonders oft im kriminellen und kleinkriminellen Milieu. Sieht es in Österreich anders aus?

Ich kann nur über jene im Gefängnis sprechen. Es gibt dort einige, die [nach Syrien] ausreisen wollten und an der Ausreise gehindert worden sind. Unter diesen Ausreisenden sind besonders viele junge Tschetschenen.

Es sind ingesamt fast nur Leute mit Migrationshintergrund, ausländischer Staatsbürgerschaft oder dem Status des Konventionsflüchtlings. Die große Mehrheit war nicht vorbestraft, anders als etwa in Frankreich, wo man weiß, dass viel in Gefängnissen unter Kriminellen rekrutiert wurde. In unserer Studie ist das nicht der Fall. Wie das in der Zukunft aussehen wird, ist natürlich schwer abzuschätzen.

Sie haben gemeinsam mit Ihrem Kollegen Thomas Schmidinger 39 Verurteilte und Verdächtige interviewt. Was waren Ihre subjektiven Eindrücke von diesen Menschen bei diesen Gesprächen?

Die Interviews mit den Männern hat Thomas Schmidinger geführt. Das waren teilweise sehr lange, persönliche Gespräche. Leute, vor denen wir gewarnt wurden und von denen man gesagt hat, man solle sie nur durch ein Gitter getrennt interviewen, haben vier, fünf Stunden mit ihm gesprochen und dabei immer wieder geweint. Das waren natürlich sehr intensive Erfahrungen.

Ich habe die Frauen interviewt. Das waren zum Teil sehr aufgeweckte, junge Frauen, die halt sehr religiös waren. Sie waren reflektiert, konnten sehr gut Deutsch, aber hatten einfach eine völlig andere Lebenseinstellung als ich selbst.

Eine Gefängniszelle durch eine weiße Gefängnistüre gesehen.

flickr.com, User mikecogh

Das klingt ja nicht gerade "gefährlich". Hat man diesen Personen vielleicht einfach in der Vergangenheit zu wenig Gehör geschenkt und sind sie deshalb abgedriftet?

Es waren sicherlich einige dabei, die vor dem Interview so isoliert waren, dass sie einfach froh waren, mit jemandem zu reden. Das waren eben jene Leute, vor denen wir gewarnt worden sind. Aber andere waren dabei, die auch in der Haft guten Kontakt zu Sozialarbeitern, Psychologen, Abteilungsbeamten gehabt haben. Es ist also nicht so, dass alle isoliert sind und niemand mit denen spricht.

Mir ist dabei folgendes wichtig: Wenn man differenziert, heißt das nicht, dass man relativiert. Also auch jemand, der "nur" nach Syrien ausreisen wollte, hatte dabei vielleicht Dinge vor, die man nicht relativieren oder verharmlosen soll.

Sowohl Justizwachebeamte als auch muslimische Häftlinge beklagen, dass es zu wenige muslimische Seelsorger gibt. Für die rund 1.800 muslimischen Häftlinge in Österreich stehen 46 Seelsorger zur Verfügung. Welche Rolle spielen Seelsorger eigentlich bei der Deradikalisierung?

Es heißt immer, dass man die Deradikalisierungsarbeit von der Seelsorge trennen soll und ich glaube, dafür gibt es gute Gründe. Die Seelsorge basiert auf Ehrenamtlichkeit – die [islamische] Glaubensgemeinschaft (IGGiÖ) bekommt einen pauschalen Betrag dafür – aber es ist auch niemand fix dafür angestellt und das ist in Österreich so auch nicht vorgesehen.

Es ist definitiv zu wenig und wir waren aber auch überrascht, weil eben die Häftlinge wirklich Bedarf geäußert haben. Man könnte ja sagen, die wollen gar nicht mit einem Seelsorger reden, weil sie ihn ohnehin nicht für einen richtigen Muslim halten. Aber wenn jemand in dieser Krise, in der Haft, eine religiöse Ansprache sucht, dann wäre es natürlich wichtig, ihm diese zu bieten.

Warum ist die Seelsorge so strikt von der Deradikalisierungsarbeit zu trennen?

Die Seelsorge ist dazu da, dass man seine persönlichen Sorgen los wird, einen Beistand hat. Die Deradikalisierungsarbeit, die der Verein DERAD leistet, ist etwas anderes. Das sind Religionspädagogen, die auf theologischen Argumenten aufgebaut die dschihadistische Erzählung in Frage stellen. Die Leute von DERAD versuchen, Zweifel am dschihadistischen Narrativ zu wecken und benützen dazu teilweise selbst den Koran.

Was passiert eigentlich, wenn diese Leute wieder auf freiem Fuß sind?

Das ist ein wichtiger Punkt. Die meisten werden mit Bewährungshilfe entlassen. Das große Problem ist, dass die meisten keine Österreicher sind, sondern einen fremden- oder asylrechtlichen Status haben. Das heißt zum Beispiel: Jemand ist Konventionsflüchtling und ihm wird dann dieser Status aberkannt. Oft können die Leute nicht abgeschoben werden – z.B. nach Tschtschenien – weil ihnen dort Verfolgung droht. Sie werden in Österreich dann nur "geduldet" und verlieren sämtliche Ansprüche auf Sozialleistungen, haben keinen Zugang zum Arbeitsmarkt.

Ich habe mit einigen gesprochen, die nicht wissen, wo sie wohnen werden, die keine Sozialleistungen kriegen, deren Kinder keinen rechtlichen Status besitzen und die wirklich nur geduldet sind. Eigentlich ist das das extreme Gegenteil dessen, was man sich als Deradikalisierungs- bzw. Exit-Programm vorstellen würde. Eigentlich sollte man den Leuten die Möglichkeit geben, sich wirklich zu re-integrieren, teilzuhaben an der Gesellschaft, damit sie diese nicht mehr ablehnen.

Gibt es keine Pläne, wie man diese "geduldeten" Menschen doch wieder integrieren könnte und ihnen zumindest ein Minimum an Unterstützung bietet?

Der Trend geht momentan in die andere Richtung. Schon bei geringeren Delikten soll es nun möglich sein, dass der Asylstatus aberkannt wird. Das führt dann dazu, dass immer mehr Menschen in Österreich nur diesen Duldungsstatus haben werden und somit kaum Möglichkeiten haben, sich zu integrieren.

Was sind die Schlüsse, die man jetzt aus dieser Studie ziehen kann? Wo muss man nachjustieren?

Unsere Studie hat die Maßnahmen, die seit etwa einem Jahr in Kraft sind, untersucht und festgestellt, dass einiges recht gut funktioniert, etwa der Verbindungsdienst zum Verfassungsschutz. Die Deradikalisierungsarbeit von DERAD ist gut und wichtig, es braucht aber mehr davon. Und wir raten dringend zu einer besseren Regelung der Seelsorge, dass es da mehr Angebot gibt.

Derzeit ist es so, dass mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen sehr viel gemacht wird. Das Angebot sollte aber auch auf Erwachsene ausgeweitet werden - dort ist der Betreuungsschlüssel viel schlechter als bei Jugendlichen.

Fast alle, mit denen wir gesprochen haben, fühlen sich zu Unrecht in Haft – verstehen nicht, warum sie als Mitglied einer terroristischen Vereinigung in Haft oder U-Haft sitzen. Sie bauen das dann ein in dieses Narrativ, dass "alle Muslime im Westen verfolgt werden". Dazu kommt, dass viele strengeren Sicherheitsregimes unterliegen. Diese erlebte Diskriminierung wird dann als weiterer Beleg für die Benachteiligung der Muslime gewertet. Das ist natürlich absolut kontraproduktiv. Deshalb wäre es gut, wenn man es schafft, sie so "normal" wie möglich zu behandeln und sie, so gut wie es geht, in den Haftalltag zu integrieren.