Erstellt am: 2. 2. 2017 - 12:30 Uhr
Die neue Weichheit
Abtauchen, auftauchen, wegtauchen. Durch den Orbit fliegen und die Erde von oben betrachten, aus der digitalen Welt heraus die analoge ergründen. "Soft Kill" heißt das neue Album der Hamburger Band der Ringer (mit kleinem d, weil Understatement), eine im besten Sinne überladene Platte der weichen Klänge, der harten Gefühle und der ausgewaschenen Endlosigkeit.
Dass das was wird mit dem Ringer, das war spätestens 2016 klar. "Glücklich" heißt die Vier-Track-EP, die im März veröffentlicht wurde, die Heimat für so Lieder bot mit Namen wie "Schwarm", "Apparat" und "Kanada". Letztgenanntes Stück ist eine Zusammenarbeit mit Stella Sommer von Die Heiterkeit. Damit gleich mal gezeigt wird, wo man sich hier in Sachen Musikweltrelevanz befindet.
Markus Alexander Voigt
Der Ringer "Soft Kill Tour 2017"
19.2.2017, rhiz, Wien
Hohe Wellen wurden im November geschlagen, als sich der Ringer mit Isolation Berlin zusammentat und einfach mal so noch eine EP veröffentlichte. Der großartige Titel "Ich gehör nur mir allein" demonstrierte, was programmatisch auf der Kollaboration zu erwarten war: Überspitzt-humorvolle Arroganz auf "Ich bin so unendlich schön", glücklicher Fatalismus auf "My Friends Don't Like Me". Konzeptionelle Eigensinnigkeit der besten Sorte, Musik, von der man gar nicht wusste, wie dringend die notwendig war. Die Vorfreude auf das große Album stieg damit weiter und hob dann mit dem Release der ersten Single von "Soft Kill", der Weltraum-Love-Story "Orbit", komplett ab.
"Soft Kill", das ist schon Widerspruch im Titel, das Sanfte und das Brutale. Das passt doch nicht zusammen. Oder irgendwie schon. Und beschreibt auch in zwei Worten sehr gut, was auf dem Album passiert. Wenn ein gewisser roher Unterton, der der Rockmusik klassischerweise zugrunde liegt, auf bewusst zurückhaltende, verträumte Soundwolken trifft. Wenn das Analoge mit dem Digitalen zusammenkommt und damit quasi die Grunddefinition von der Ringer ergibt.
Der Albumtitel ist aber auch der Name eines im echten Leben existierenden militärischen Abwehrsystems, dessen Aufgabe es ist, eine Bedrohung von ihrem Ziel abzulenken, ohne diese aber zu zerstören. Ist das der Band wichtig? Die Nonkonfrontation? Möglichen Herausforderungen auszuweichen?
"Also Nonkonfrontation ist das sicher nicht, es ist eine andere Art von Konfrontation", sagt die Band im Gespräch. "Man wird ja mit dem Sound auf irgendeine Art und Weise auf jeden Fall konfrontiert. Das mit dem Abwehrsystem haben wir ehrlich gesagt erst im Nachhinein herausgefunden. Und das hat die Sache irgendwie bestätigt."
Vernetzt
Wirst du es wagen, gänzlich leicht zu sein.
Deine Schale zu verlassen, hoffnungsvoll allein.
Und die Welt in ihrer Schwere, stürzt auf dich herab.
Öffne deine Venen und warte einfach ab
(der Ringer - "Soma")
Das Internet und das Zeitverbringen darin ist ein zentrales Thema in den Texten der Band. Ein Videochat mit Freunden, das Hin- und Herschicken von Emojis und Gifs, und warum ist es überhaupt so schlimm über Facebook Schluss zu machen? "In der 'realen Welt', also in Anführungszeichen, herrscht ein Begriff von Ordnung oder Konvention vor. Facebook und Facetime brauchen noch Zeit, sich zu etablieren. Leute verwenden die Vorstellung, einen Brief auf Papier zu schreiben, um die Vergangenheit zu romantisieren und Nostalgie zu füttern. Und da haben wir gar kein Interesse daran. Weil damit redet man sich die Gegenwart und wahrscheinlich auch die Zukunft schlecht."
Der Ringer ist eine Band, die sich nicht davor scheut, neue Dinge zu erkunden. Musikalisch lässt man sich auf "Soft Kill" treiben, lässt verträumte Melodien und Gesangszeilen in verwaschenen Padsounds versinken und überschwemmt das mal alles mit verzerrten Gitarren. Grenzen wird nicht gefolgt, sondern Gefühlen. Die Emotion ist das, was Priorität hat. Weil die ist das Allerwichtigste.
Computer Love
Du siehst mich auf deinem Screen,
Ziehst ganz wild an mir herum.
Für dich bin ich nicht real,
Ein Gesicht im Datenstrom.
(der Ringer - "Apparat")
Die grundsätzliche Essenz, der Gedanke, der sich hinter all dem Soundnebel verbirgt, ist auch bei der Ringer ähnlich wie bei anderen Bands. Themen wie Liebe und die Suche nach dem Selbst werden aufgearbeitet, nur gibt man sich in den Texten abstrakter, wandert in Richtung digitale Welten, die Liebe im Computer und abstrahiert damit ganz konkrete, simple Gefühle. Und schafft es somit, die Komplexität unserer Emotionen präziser zu beschreiben.
"Das Digitale ist das, was uns oft umgibt, und es liefert viel Gesprächsstoff und Aufarbeitungsbedarf. Musikalisch war es eben so, dass wir alle, obwohl wir aus dem Rock und Post-Punk kommen, weil wir das als Jugendliche gehört haben, auch sehr viel Musik gut finden, die jetzt gerade rauskommt. Und so auch das Moderne mit dem etwas Älteren schon automatisch verschmolzen ist bei uns. Ohne, dass das jetzt der Plan war von vornherein."
der Ringer
"Soft Kill" von der Ringer ist auf Staatsakt erschienen.
Das Brechen mit Konventionen zeigt sich auch im Verwenden von Autotune in der Produktion der Vocals, einem technischen Mittel, das noch von vielen eher argwöhnisch betrachtet wird. Aber das ist eben auch eine Art, die eigene Vision umzusetzen. Der Plan, die Stimme damit immer mehr zu einem weiteren Instrument zu machen und es so dem Publikum zu erlauben, zuhören zu können, ohne ein Wort zu verstehen, geht auf. Damit entstehen Lieder wie "Soma", ein überwältigend-emotionales Abfeiern der Weichheit. Oder es werden Distanzen zwischen Menschen vermittelt, wie auf der Nummer "Kanada". Oder es fließen mit dem Track "Violence" sogar Metal-Klänge in den Mix ein.
Liebeslieder aus der Sicht der digitalen Welt. Sinnfindung, Traumdeutung und überladene, dramatische Romantik: "Soft Kill" ist ein Album der harten Weichheit, der harmonischen Widersprüche und der Akzeptanz der Ohnmacht vor einer schönen neuen Welt.
Und noch ein Tipp
Der Ringer macht nicht nur Solo großartige Endzeitmusik, sondern hat auf dem eigenen Label Grüne Wasser Weblog ein Nebenprojekt, auf dem gemeinsam mit Leuten von Bands wie Schnipo Schranke klassische Eurotrashsongs gecovert werden. Darunter auch: die beste Coverversion, die jemals von Andrea Bocellis "Time to Say Goodbye" aufgenommen wurde.