Erstellt am: 1. 2. 2017 - 16:45 Uhr
The Struggle is Real
Anfang letzten Jahres gehen die Social-Media-Wogen hoch. Es geht um eine Celebrity-Dreiecksgeschichte und einen Suizidversuch. Die damals 20-jährige R'n'B-Hoffnung Kehlani postet auf Instagram ein Foto in einem Krankenhaus-Setting. Auf dem Foto ist nur ihr Arm an einem Tropf gehängt zu sehen. Darunter steht: "Today I wanted to leave this earth. Being completely selfish for once. Never thought I'd get to such a low point ..."
Atlantic Records
Aber mal ganz an den Anfang. Kehlani wächst in Oakland unter prekären Verhältnissen auf. Als Tochter einer alleinerziehenden Mutter, die immer mal wieder Haftstrafen absitzen muss. Mit 15 macht Kehlani bei "America's Got Talent" mit und belegt mit ihrer Schulband Poplyfe den vierten Platz. Man könnte meinen, der Struggle sei damit überwunden. Aber dem ist nicht so. Die Knebelverträge des Castingformats hindern sie daran, Musik zu machen, so wie sie möchte, und Kehlani muss zurück an den Start. Sie wird wieder obdachlos und übernachtet auf diversen Couches.
Drei Jahre später ruft sie Nick Cannon, Moderator von "America's Got Talent", Comedian und Mariah Careys Ex an. Er meint, er sieht ihr Potenzial und finanziert ihr eine Couch samt Wohnung in Los Angeles. Kehlani fliegt sofort hin, produziert ihre ersten Songs für Soundcloud, ihr erstes Mixtape und bekommt relativ schnell einen Major-Label-Vertrag.
Schon seit Jahren versuchen die großen Plattenfirmen, eine weibliche R'n'B-Größe heranzuziehen. So eine wie einst Aaliyah oder Brandy. Aber irgendwie klappt das nie so recht. 2014 setzen sie all ihre Hoffnung in Tinashe, die mit "2 On" und "All Hands on Deck" relativ große Hits verantwortet. Doch dann kommt nichts. Ihr 2016er Album "Nightride" interessiert kaum jemanden und sie wird zum Featuregast für Britney Spears und Co. degradiert. Bei Jhene Aiko, ebenfalls große Pop R'n'B-Hoffnung, läuft es nicht viel anders. Wobei Aiko sich jetzt auf eigene Faust musikalische Alternativen sucht und so sicher in ein, zwei Jahren zur "alternative" R'n'B-Größe wird.
Aber zurück zu Kehlani. Sie ist es, die aktuell zum Superstar gepusht werden soll. Und es funktioniert auch einwandfrei. Ihr Debüt "SweetSexySavage" bekommt die Mischung aus Gefühl und Single-Tauglichkeit prima hin. Die Skits am Anfang einiger der Songs mögen zwar Menschen wie mich total nerven, aber sie vermitteln das Gefühl, dass Kehlani hier was von sich reingepackt hat. Dass es in diesem Album um mehr als nur "Okay, jetzt startet meine Superstar-Karriere" geht. Und doch besingt sie mit keinem Wort, was Anfang 2016 passiert war. Als man ihr vorwarf, den NBA-Star Kyrie Irving mit dem kanadischen Produzenten PartyNextDoor betrogen zu haben und sie wenige Tage später im Krankenhaus war. Das ist natürlich eine mehr als legitime Entscheidung. Die Causa geht auch niemanden was an.
"SweetSexySavage" ist ein souveränes Erstlingswerk, das zwar etwas langweiliger als ihre Mixtapes "Cloud 19" und "You Should be Here" daherkommt, aber trotzdem sehr viel Spaß macht. Und es bringt endlich wieder den Neo Soul, poppigen R'n'B-Spirit der 90er zurück.