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Lisa Schneider

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17. 2. 2017 - 10:55

"This is Monterey! We pound people with nice!"

"To death." Das ist die ganze Wahrheit über die hervorragende Serie "Big Little Lies".

Ein Mord in der wunderschönen, ruhigen Stadt Monterey, Kalifornien? Das ist für die dort Lebenden fast so unwahrscheinlich, als würde Schnee fallen - und doch ist es passiert. Die in der HBO-Serie "Big Little Lies" porträtierte Upperclass ist zwar durchaus des nötigen Zorns, der eine solche Tat verlangt, fähig. Aber um diesem nachzugeben, muss erst die klebrige Zuckerschicht, die über alles gegossen wird, aufgebrochen werden.

Cast von "Big Little Lies"

HBO

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Shut up, bitch

Jane Chapman, gespielt von Shailene Woodley, ist neu in der Stadt. Sie lernt am ersten Schultag ihres Sohnes Ziggy die anderen Mütter der Erstklässler kennen, und das ist eine der schön-bizarren Eröffnungsszenen, die die Rollen sofort verteilt: Renata Klein, eine reiche, hager-freudlose und wunderbar unerträglich von Laura Dern gespielte Cholerikerin, will Jane mit der Nanny ihrer Tochter bekanntmachen. Bis Madeline Mackenzie (Reese Witherspoon) einspringt, und ihr erklärt, dass Jane ja wohl kein Kindermädchen sei, sondern ebenfalls eine "Mum", eine junge eben. "She's just young. You know, the same as you were once".

Das ist die Szene, die die Diversität in "Big Little Lies" aufdeckt. Man lernt Reese Witherspoon zuvor als die schrecklichste der Vorstadt-Mums kennen, eine von der Sorte, die aus lauter Fadesse beginnen, eine Theatergruppe zu leiten, immer mit knallpinkem Lippenstift und auch dann noch in Highheels unterwegs, wenn der Knöchel bereits verstaucht ist. Die jedes Gespräch, unabhängig von Inhalt oder Wichtigkeit an sich reißt, an den blondierten Mittelpunkt ihres selbstgeschaffenen Universums. Aber eben dann, wenn man glaubt, ihre egozentrische Dramatik, mit der sie unter anderem verhindert, dass das beliebteste Kind der Schule keine Gäste auf der Geburtstagsparty hat, um es nicht minder deren Mutter zu vermiesen, zeigt sie eine ungeahnt sensible, fast selbstlose Seite. Madeline unterstützt die noch fremde Jane, die doch so völlig anders als sie selbst ist.

Reese Witherspoon in "Big Little Lies"

HBO

Jane ist jung und ungewollt schwanger geworden, ist eine vom Schicksal gebeutelte und vertrauenslose, aber tapfere junge Frau. Ein dunkler Schatten scheint über ihrer kleinen Familie zu liegen, der oft über ihr Gesicht huscht, sonst aber noch im Verborgenen bleibt. Sie ist so sehr das Gegenteil der anderen Monterey-Mums, dass es beinahe weh tut.

Plakat "Big Little Lies"

HBO

Die Menschen, die hier leben, sind schön, reich, wohnen in luxuriösen Villen im skandinavischen Designer-Korsett. Sie sind erfolgreich und unglücklich. Madeline ist zum zweiten Mal verheiratet, obwohl sie nie aufgehört hat, etwas für ihren Exmann zu empfinden. Ihre ältere Tochter macht obligatorische pubertäre Probleme, der neue Mann Ed fühlt sich unbegehrt – was er auch ist. Auch die Affäre, die Madeline aufgrund des Fehlens ehelicher Intimität beginnt, hilft nicht weiter.

Der Krieg, der nach einem Vorfall in der Schule zwischen den Müttern losbricht, ist wie ein Medikament für sie.

Die Mini-Serie "Big Little Lies" basiert auf dem gleichnamigen Roman von Liane Moriarty.

Für die Leinwand adaptiert wurde das Buch von David E. Kelly, Regie geführt hat der kanadische Regisseur Jean-Marc Vallée.

Falsche Liebe

Die interessanteste der Vorstadt-Mums ist die viel zurückhaltendere Nicole Kidman. Nach vielen gescheiterten Versuchen hat sie Zwillinge bekommen, mittlerweile ebenfalls Erstklässler. Sie ist eine erfolgreiche, wunderschöne Anwältin, verheiratet mit einem jüngeren Mann, gespielt von Alexander Skarsgård. Im Gegensatz zur Ehe von Madeline ist das Feuer zwischen den Eheleuten sogar so heiß, dass es Wunden hinterlässt: Zwischen den beiden herrscht zwar eine enorme erotische Spannung, diese schlägt aber immer öfter, von ihm ausgehend, in Gewalt um. Nicole Kidman beim innerlichen Zerbrechen zuzusehen, ist unglaublich.

Wie sehr sie sich mit der Frage quält, ob sie ihren Mann verlassen soll, ob die Therapie helfen wird, was er ihr noch antun wird. Der leere Blick, die gleichzeitig eingefrorenen Gesichtszüge, das Verzagen. Die Lösung, die es nicht gibt.

Alexander Skarsgård und Nicole Kidman in "Big Little Lies"

HBO

Fegefeuer der Banalitäten und Eitelkeiten

Die Geschichte setzt ein, als der Mord schon geschehen ist, und doch erfährt niemand, wer getötet wurde – und vor allem nicht, von wem. Vielmehr geht es um die Umstände, die zum Gewaltakt geführt haben. Immer wieder sieht man ruckartige, erschreckende Vor- oder Rückblenden, manchmal auch nur Phantasievorstellungen von Jane, die dunkle Abgründe erahnen lassen.

Eine steile, steinige Küste, aufflimmernde Szenen einer rauschenden Gala-Nacht am Strand, dazwischen zerfetzte Kleider, Fußabdrücke im Sand. Diese kurzen visuellen Hinweise werden von Zeugenbefragungen begleitet, bei denen die gesamte Stadt vorgeladen wird. Der urteilende, kompetitive Tonfall aller Befragten gleicht einem hämischen griechischen Chor: Ein Fegefeuer der Banalitäten und Eitelkeiten, während die Wellen auf die Küsten schlagen und der Rotwein gar nicht subtil als Heilmittel für alles herhalten muss.

Laura Dern in "Big Little Lies"

HBO

Ein Vergleich mit Desperate Housewives liegt nahe, wegen Genre-Affinität und der Tatsache, dass die Serie ausschließlich weibliche Hauptdarsteller hat. Aber auch, wenn die Großartigkeit der Dramen in der Wisteria Lane unbestritten bleibt, ist "Big Little Lies" subtiler, bedrückender und von einer kalten Ehrlichkeit, dass die Gänsehaut nur so den Rücken hinauf- und hinunterläuft. Das bezieht sich nicht nur auf die beschriebenen Charaktere, sondern auch auf die ganz eigene Grundstimmung der Serie, auf die Bilder, über denen immer ein leichter Grauschimmer zu liegen scheint. Die rauschende Meeresbrandung ist allgegenwärtig, und schwelt wie ein unzähmbares Ungeheuer im Hintergrund. Windstöße streichen zwar die Haarsträhne aus dem Gesicht, reißen aber gleichzeitig die wohlige Wärme mit sich.

Außerdem: Der Soundtrack ist fantastisch. Da tummeln sich unter anderem Leon Bridges, Irma Thomas, The Flaming Lips, Big Brother And The Holding Company. Die jüngere Tochter von Madeline, Chloe, ist von Anfang an für die musikalische Untermalung der Serie verantwortlich. Sie sitzt im Auto und hört viel zu laut über ihr iPhone Musik, sie springt vor dem Fernseher herum und sieht sich Konzerte an, sie bespielt die gemeinsamen Familienessen. Und das mit einer Musikkenntnis und charmant-frechem Feingefühl für Situationen, das für eine Sechsjährige erstaunlich ist. Sie ist es auch, die in betretenen Situationen, etwa wenn sie ihre Eltern beim Möchtegern-Hardcoresex in der Küche erwischt, schnippische Bemerkungen fallen lässt, die zeigen, dass sie sehr wohl alles durchschaut.

Und der Titelsong "Cold Little Heart" von Michael Kiwanuka ist es schließlich auch, der die bittersüße Vergänglichkeit einfängt, von der die Serie lebt. Von der Resignation in Ahnung dessen, dass etwas Schreckliches passieren wird.

Das Ungeheuer, es wird sich bald losreißen.