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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

25. 1. 2017 - 14:21

The daily Blumenau. Wednesday Edition, 25-01-17.

Von der künftigen Bedeutungslosigkeit des Wirtschaftsjournalismus hin zur Desinformations-Ökonomie und personalisierten alternativen Fakten-Angeboten.

#medienpolitik #selfie

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die bisherige Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.

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Der Wirtschaftsjournalist, hier in der satirischen Zuspitzung von Walulis, Teil seiner genau beobachtenden Serie über Medientypen.

Es ist ein scheinbar ganz natürlicher Reflex. Immer dann, wenn ich Zustände innerhalb des Journalismus beschreibe, die nicht dem Bilderbuch-Image entsprechen, mit dem sich die Branche gerne schmückt, kommen sie daher, die "Du/Sie Nestbeschmutzer!"-Reaktionen (egal ob in mails, posts, tweets, ganz ganz selten auch facetoface), ganz egal ob es den vor allem von der älteren Generation recht unreflektiert betriebenen Sportjournalismus oder den agendagetriebenen Medienjournalismus des Landes betrifft. So auch vor wenigen Tagen, als anlässlich einer Analyse der Agenda der Agenda Austria auch die Willfährigkeit des heimischen Wirtschaftsjournalismus Thema war, die sich ja auch gerne darin äußert, dass pro-Unternehmens/Industrie/Wirtschafts-Lobbying gerne als wertfreie Nachricht und nicht als interessensgesteuerte PR dargestellt wird. Weil man sich als Partner der ökonomisch Mächtigen sieht, und aus Erfahrung weiß, dass für langjährig-brave journalistische Abnicker auch gut dotierte Posten in der Privatwirtschaft lauern.

Diesmal bot sich postwendend ein Reality Check der mimosenhaften Basis-Reaktionen an: gestern Abend lud das Wirtschaftsmuseum in Wien 5 zu einem Podium über die Krise des Wirtschaftsjournalismus. Wer da einen beleidigten Abwehrkampf von verstockten Bescheuklappten erwartet hatte, sah sich enttäuscht: vier Vertreter aus Praxis und Forschung zogen ein teilweise noch deutlich schärferes Fazit.

Reinhard Göweil, vormals Wirtschaftschef im wirtschaftsnahen Kurier, jetzt Chefredakteur der Wiener Zeitung etwa sprach dem Wirtschafts-Journalismus künftige Bedeutungslosigkeit zu, sollte er sich nicht den politischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen stellen, also einer "gesamthaften Sicht der Dinge" anbieten.
Publizistik-Professor Fritz Hausjell unterstrich das, und ortete zusätzlich drei massive ungelöste und schwer lösbare Strukturproblemzonen: 1) die zu enge Verzahnung (und Identifikation) des Wirtschaftsjournalismus mit den Unternehmen, 2) die kommunizierenden Gefäße Berichterstattung und Inseraten/Werbeschaltung sowie 3) die schrankenlose Weitergabe von PR und Lobbying.
Und auch der neoliberale Publizist Christian Ortner erwähnte nicht nur fehlende Erzähl-Kraft und die Schuld der alles todsparenden Medienbetreiber, sondern auch die Reputationskrise, den Relevanzverlust, die zu große Arroganz und vor allem die fehlende Selbstkritik nach dem (auch journalistischen) Debakel der Weltwirtschaftskrise 07/8.

Dann war da noch die Rede vom Imhof'schen Rudeljournalismus, der Konzerninteressen folgend berichtet und kritische Sachfragen auf banale Personalisierung reduziert. Motto: Alles, was dem Geschäft schadet, wird von den Medienkonzernen marginalisiert.
Bloß: das sagte keiner der Diskutanten, das sind Sätze des nahezu zeitgleich in der "Presse" als Gastkommentar erschienenen Textes von Bernhard Martin, der "das Bröckeln der vierte Säule der Demokratie" zum Thema hat.

Martins tristes und lesenwertes Bild der österreichischen Medienkrise setzt am aktuellen Schweizer Jahrbuch über die Qualität der Medien an: "Warum es um die Medienqualität in Österreich noch schlechter bestellt ist als in der Schweiz, vermag auch die verbreitete Denunzierung von kritischem Journalismus und Whistleblowing als Querulantentum oder Nestbeschmutzung indizieren. Dies ist nicht nur der degenerativen Personalpolitik der Regierungsparteien anzukreiden, sondern (in Wechselwirkung mit gefügig machender Presseförderung) auch knausrigen Verlegern und klammen Medienhäusern."

Ein Einschub zum Thema implizite Presseförderung: unter Kern hat das Kanzleramt seine Förderausgaben für den Boulevard drastisch runtergefahren - erste Zahlen dazu.

Im Vorwort des Schweizer Jahrbuchs denkt der deutsche Medienwissenschaftler Stephan Ruß-Mohl noch ein Eck weiter und führt eine These von Evgeny Morozov aus: "Wir sind auch mitten im Übergangsstadium von der Aufmerksamkeits-Ökonomie, in der eine Vielzahl gesellschaftlicher Akteure und Gruppen um öffentliche Beachtung für ihre Ideen und Anliegen ringen und konkurrieren, hin zu einer Desinformations-Ökonomie, in der es sich für eine zunehmende Zahl von Akteuren rechnet, Falschmeldungen, Konspirationstheorien und anderen 'Bullshit' zu verbreiten – vor allem über die sozialen Netzwerke, aber auch über die Massenmedien, deren Recherchekapazität schwindet."

Das erinnert dramatisch an den Zugang den heimische Gratis-Medien zum Journalismus pflegen: sie begreifen Veröffentlichungen als Ware, offen für Lobbying und PR, als Angebot für Gegengeschäfte. Sie erfüllen alle drei Hausjell-Kriterien weit über den Wirtschaftsjournalismus hinaus; die angebliche Trump-Neuerung der "alternative Facts" bieten Boulevard, die diversen ihre Agenda verschleiernden Lobby-Institute, die PR-Experten doch schon seit Jahren ganz offen an - und ein interessiertes Publikum greift jetzt schon gerne zu.

Der große Zukunftsmarkt wird die Schönung der eigenen Weltsicht durch darauf spezialisierte alternative Fakten anbietende alternative Medien sein, als quasi analoges Gegenstück zur neuen augmented reality. Das wird zwar den altbackenen Copy-Paste-Journalismus aktueller Prägung wegblasen, aber auch jenen Bereichen der Berichterstattung, die den Versuch unternehmen die Realität jenseits von Partikular-Interessen abzubilden massiv erschweren bis verunmöglichen.