Erstellt am: 25. 1. 2017 - 15:00 Uhr
Selfie ist Pflicht
Mit Akzent
Die unaussprechliche Welt des Todor Ovtcharov und sein satirischer Blick auf das Zeitgeschehen - jeden Mittwoch in FM4 Connected und als Podcast.
"Die Leiden des jungen Todor" - Das Buch mit den gesammelten Kolumnen gibt es im FM4 Shop.
Bis vor einigen Jahren wurde man an jedem touristischen Ort gefragt: „Entschuldigen Sie bitte, können Sie ein Foto von uns machen?“ und ein lieber Tourist reichte einem seine riesige Kamera. Es folgte eine Erklärung, wo und wie man auf einen Knopf drückt. Man kniete sich hin, um den Touristen zusammen mit dem Stephansdom zu fotografieren. Auf dem Foto schaute der dann zwar meistens wie ein Einhorn aus, denn der Turm des Doms ragte aus seinem Kopf hinaus. Er schien aber trotzdem zufrieden zu sein und ging weiter zur nächsten Sehenswürdigkeit.
Heute fragt dich niemand, ob du zu einem Selfie dazugehören magst. Wir ziehen unsere Köpfe zusammen und Click, wir sind dabei, vor dem Eiffelturm, am Strand oder im Restaurant. Es ist eigentlich egal, wo man sich fotografiert, denn oft nehmen die Gesichter auf dem Foto so viel Raum ein, dass man nicht erkennt, ob man in seiner Wohnung ist oder auf dem Mount Everest.
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Es ist egal wie unser Charakter ist und wo wir herkommen: Selfie ist Pflicht. Die Selfies machen uns Normalsterbliche den Hollywoodstars ähnlich. Ihr wisst ja, wie oft irgendein Star „zufällig“ ein Selfie von sich in die sozialen Netzwerke stellt, wo er/sie ein bisschen „neglige“ aussieht. Danach sammelt er/sie „zufällig“ Millionen von Likes.
Auch Politikern ist die Selfie-Mode nicht fremd. Ex-Präsident Obama zum Beispiel veröffentlichte eine Serie von Selfies in seinem Büro im White House. Dabei zeigt er uns das ganze Spektrum menschlicher Emotionen. Und Neu-Präsident Trump ist da auch keine Ausnahme. Er ist ja eine laut Wladimir Putin „auffallende Persönlichkeit“. Mein Lieblingsselfie von ihm ist das mit einer Kopftuchträgerin und der Botschaft „Wer sagt, dass Trump islamophob ist?“
Bei Putin selbst ist das ein bisschen anders. Vielleicht macht er ja auch Duckface-Selfies - an die Öffentlichkeit gelangen aber nur solche mit Soldaten am Roten Platz. Ich habe mich immer über diese russischen Filme gewundert, wo ein gewöhnlicher Mensch über den roten Platz geht und ganz zufällig auf Stalin oder sonst einen berühmten russischen Politiker trifft. Sie sitzen dort und warten auf den gewöhnlichen Menschen, um sich dessen Probleme anzuhören und etwas Gutes für die Menschheit zu tun. Wie etwa zum Beispiel sich Polen mit Hitler aufzuteilen.
Zu Hause machen wir auch Selfies. Gegen meinen Willen. Das lustige daran ist, dass sie Selfies meiner lieben M viel mehr Likes auf Facebook sammeln, als diese Kolumnen. Das verunsichert mich manchmal. Ich beruhige mich dann damit, dass jeder dieser Texte ein Selfie von der Welt in der wir leben ist. Und wie ich oben schon gesagt habe: es gibt sowieso nichts Verlogeneres als Selfies.