Erstellt am: 23. 1. 2017 - 15:39 Uhr
Lieben und Leiden in Singapur
"Liebe ist keine große Wahrheit" - so nennt sich gleich überdeutlich eine der Geschichten in Amanda Lee Koes Buch "Ministerium für öffentliche Erregung", das vor Kurzem in deutscher Übersetzung erschienen ist.
Die 1987 in Singapur geborene Autorin hat für den Kurzgeschichtenband schon etliche Auszeichnungen erhalten, beispielsweise ist das Buch – schöner Originaltitel: "Ministry of Moral Panic" – unter die zehn besten englischsprachigen Bücher Singapurs der letzten 50 Jahre gewählt worden.
Dass die Liebe möglicherweise und sicherlich ein seltsames Spiel sein könnte, davon hat man schon gehört. Bei Amanda Lee Koe ist die Liebe aber eher Sport und Konkurrenz, so heißt es in einer der meist gerade mal zehn bis zwanzig Seiten langen Geschichten wörtlich, oder auch Kampf.
"Es gibt auf der ganzen Welt kein 'Ich kann ohne dich nicht leben; du kannst ohne mich nicht leben.' Die Erde dreht sich. Zeit vergeht. Reis wird gegessen. Wer kann das widerlegen?"
Und davon handelt "Ministerium für öffentliche Erregung" in all seinen Facetten und Farben: vom Suchen nach der Liebe, ab und an vom Glauben daran, sehr, sehr oft jedoch von der Resignation, der Zerknirschung, der Unmöglichkeit der Liebe.
Kirsten Tan
Da ist zum Beispiel die Story namens "Faustpfand" - die traurige Geschichte von der hier so genannten "hässlichen Frau": eine Frau mittleren Alters, der Bürojob ist öde und egal, das Leben ist leer und ohne Zuneigung.
Sie kann nicht anders als sich einen ärmlichen, jugendlichen Schönling zu erkaufen, der ihr einmal einen ausnahmsweise nicht herablassenden Blick geschenkt hat. Gar nicht mal für Sex, vielmehr als trostspendenden Begleiter. Sie beschenkt ihn mit Handy, Laptop und putzt ihn modisch heraus, es ist ein beidseitiger Handel, der keine Gewinner kennen wird.
"Es ist eine Tatsache, keine Frage: Die Frage ist nicht, ob sie ihn liebt, dass er sie nicht liebt, ob es um Liebe geht oder was Liebe überhaupt ist; die Tatsache ist, dass Liebe keine Rolle spielt. Es geht nur noch um Macht, und der Lauf der Dinge ist ganz beiläufig ausgesetzt - und fürs Erste, mit sofortiger Klarheit, ist er der Laufbursche und sie die Königin."
"Ministerium für öffentliche Erregung" erzählt von den sozialen Schieflagen und Ungleichgewichten in Singapur: einer der teuersten Städte der Welt, einer Stadt mit rigoroser Verbotshuberei, Reinlichkeits- und Ordnungswahn, gleichzeitig voller Abgründe und archaisch erstarrtem Wettbewerbsdenken.
Das Buch erzählt vom Hausmädchen aus unwirtlichsten Verhältnissen, das sich in ihren Arbeitgeber verliebt. In ihrer Jugend ist sie von mehreren Männern vergewaltigt worden, es folgt keine Strafverfolgung der Täter, dafür Schande und Verstoßung für das Opfer.
Gar munter und herzerwärmend ist da im Vergleich die Geschichte vom zunächst antriebslosen Musiker Deddy Haikel, der zum Superstar und sexuell attraktiven Frauenhelden wird – und sich auch im Alter doch bloß an die unerfüllte Jugendliebe erinnert.
Wir hören von den Reibungen zwischen den ethnischen Gruppen, von Chinesen, Malaien und Indonesiern, die in Singapur ihr Glück versuchen und nur den unbarmherzigen Moloch vorfinden.
Von erfolgreichen Performance-Künstlern, dann wieder von brotlosen Kioskverkäufern, die auf engstem Raum zu acht in Schlafsälen zusammenleben müssen. Vom Wunsch nach Freiheit und von den alten Traditionen.
Culturbooks
"Als asiatische Frau lernt man, den Mund zu halten. Der Ehemann hat immer Recht - es lohnt nicht zu streiten. Manchmal, wenn ich ein bisschen die Nerven verlor und Widerworte gab, sagte er: Wer bringt den Reis auf den Tisch? Halt gefälligst die Fresse."
Amanda Lee Koe gelingt in "Ministerium für öffentliche Erregung" ein außergewöhnlicher, neuer Ton: Ohne falsches Schmalz, dabei doch rührend werden hier vielschichtige Biografien zum Leben erweckt.
Immer wieder bleiben die Storys lange Zeit rätselhaft, knapp und zeitlos, üben sich in kaltem Realismus, kippen dann wieder kurzfristig ins vage Fantastische, Märchenhafte. Oft abgeklärt und niederschmetternd, dann wieder funkeln die Geschichten, die Körper glühen, Chilikrebse, Hähnchenschenkel, die Reisbällchen, die Süßkartoffeln und die Haifischflossensuppe dampfen.
Es scheint noch Hoffnung zu geben, auch wenn sie hier bloß mit der Erkenntnis "Einsamkeit ist Freiheit" transportiert werden mag.
"Zurotul war für die Liebe geschaffen, aber sie war auch eine geborene Verliererin. Sie war nicht überrascht, dass sie nicht ausgewählt worden war; aber sie war überrascht, dass sie noch immer den Drang verspürte, etwas zu wollen."