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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

23. 1. 2017 - 15:37

The daily Blumenau. Monday Edition, 23-01-17.

Milieu-Studien. Oder: der ewige Kampf um die Deutungshoheit in Sprache und Benennung, Folge 8.

#demokratiepolitik

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die bisherige Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.

Der ewige Kampf um die Deutungshoheit.
Folge 1: Wer ist Terrorist?
Folge 2: Flüchtlinge
Folge 3: Rechts
Folge 4: Zivilgesellschaft und die besorgten Bürger
Folge 5: IS oder Daesh?
Folge 6: Sozial/Social im Zusammenhang mit Medien und Demokratie
Folge 7: Qualität. Und Qualitätsjournalismus.

Der Duden sagt, dass ein Milieu das soziale Umfeld, die Umgebung sei, in der ein Mensch lebt und die ihn prägt. Das sozial deutlich engagiertere Wikipedia spricht von den sozialen Bedingungen, denen ein Einzelner oder eine Gruppe ausgesetzt ist.

Beide rufen dann aber auch die zweite Bedeutung ab, die das "Milieu" in der Welt der Prostituierten und Zuhälter verortet, dem Rotlichtmilieu, einer von Prostitution geprägten soziale Umgebung.

Neben den wertfreien, auch in der Literatur gern gebrauchten Milieu-Begriff ist es also auch die Halb- und Schattenwelt, die bei der Verwendung des Wortes mitschwingt.

Warum ich nachgeschaut habe?
Weil der aktuelle Innenminister, der Verlierer im Landeshauptmann-Playoff gegen Frau Mikl-Leitner, das Milieu in einem interessanten Zusammenhang genannt hatte, in einem die Öffentlichkeit wohl zurecht bewegenden Fall.

Der noch 17-jährige IS-Sympathisant aus Neunkirchen, der einen Anschlag geplant haben soll, war Freitag verhaftet worden. In der ZiB 2 sprach Sobotka von einer "Selbstradikalisierung" eines "österreichischen Staatsbürgers aus dem albanischen Milieu".

Nun sehen für von Sicherheitsagenden durchflutete und solcherart präjudizierende Augen von Innenministern womöglich alle Nigerianer oder eben alle Albaner irgendwie gleich aus. Dazu kommt, dass das Milieu (also die Unterwelt) in Wien einen durchaus hohen albanischen Anteil aufweist. Trotzdem: so etwas wie ein albanisches Milieu in Wien gibt es ebenso wenig wie es ein österreichisches Milieu in Berlin gibt. Weil der Milieu-Begriff eben die soziale Umgebung definiert, nicht die ethnische.

Interessanterweise hat der Minister nicht die Diktion der Polizei übernommen. Ein Blick auf die Wortwahl der PR-Agentur der Wiener Polizei, der Kronen-Zeitung zeigt, dass man dort von "einem radikalen albanisch- islamistischen Milieu" spricht, also den Islamismus als gleichmachenden Milieu-Herbeibringer annimmt - eine Wortwahl, die auf Karl-Heinz Grundböck, einen Sprecher des Innenministeriums zurückgeht.

Das hier erwähnte, der Kronen Zeitung zur gefälligen Veröffentlichung überlassene Dokument des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), spricht sogar von einer "Gruppierung albanisch-stämmiger, radikaler Islamisten", bleibt also völlig milieufrei.

In weiterer Folge übernahmen die verschiedenen Medien die verschiedensten Begrifflichkeiten, die Kleine Zeitung oder auch die Salzburger Nachrichten orientierten sich am Minister, ausländische Medien (hier der mdr aus den ostdeutschen Kernländern) sprachen etwa von einem "albanischen Migrationshintergrund".

Nun klingt das alles ein bisserl nach ghupft wie ghatscht oder Jacke wie Hose.
Ist es aber nicht.
Sprache prägt Bewusstsein.
Und wenn der oberste Security des Landes mit einem Begriff wie "Milieu" eine gesamte Ethnie über einen Kamm schert, dann ist das kein Lapperl.

Rechtsradikale Medien (das sind solche, die auf alternative Fakten setzen) in Österreich etwa verwenden die Milieu-Begriff (auch weil er aus der Sozialwissenschaft kommt, die ab einer stramm-rechten Einstellung auf CSU-Höhe per se als Spinnerei gilt) ausschließlich im kriminellen Kontext.

Wenn der Minister nun ein "albanisches Milieu" herbeiredet, dann ist das in etwa so daneben wie der in Deutschland verwendete Begriff des Schluchtenscheißers für mich als Flachland-Österreicher. Und nur etwa ein Zehntel so lustig. Weil damit nämlich gleich doppelt diffamiert wird.

Positiv: dass die (meisten) Medien sich diesmal nicht blindlings auf einen fluffigen Begriff draufsetzen, sondern eigene Sprachregelungen getroffen haben.

Negativ: dass die Gepflogenheit ethnische Verwurzelung eines Verdächtigen in der Öffentlichkeit nur dann zu verwenden, wenn sie ursächlich mit dem Verbrechen zu tun hat oder von großer Wichtigkeit ist, von allen, Minister und Polizei, Krone und Medien gebrochen wurde, als hätte sie nie existiert.

Denn, sorry, ob der Bombenbau-Verdächtige jetzt albanische, maghrebinischen oder pinzgauerischen Hintergrund hat, ist angesichts seiner IS-Verherrlichung (und das ist es, was mordlüsterne und fundamentalistische junge Europäer, auch Konvertiten in ihrer Weltsicht eint) sehr zweitrangig. Letztlich hat die gesamte, völlig undurchdachte öffentliche Diktion nur dazu geführt, dass man sich als Albaner in Wien gerade voll Scheiße fühlt.