Erstellt am: 19. 1. 2017 - 18:48 Uhr
Fegefeuer auf Erden
Ich glaube, ich habe längst mehr austauschbare Thriller über herumschleichende Serienkiller gesehen, als ich mich nur annähernd erinnern kann. Manchmal bringt eine Locationveränderung aber schon einen entscheidenden Twist.
"Die Hölle", das ist im neuen, gleichnamigen Film von Stefan Ruzowitzky eben nicht der New Yorker Großstadtdschungel oder ein verregneter Vorort von Paris. Der psychopathische Ritualmörder, der in diesem Streifen Muslima und Prostituierte grausam hinrichtet, irrt durch das nächtliche Wien.
Filmstarts:
"Die Hölle" und "Manchester By The Sea" kommen am 19. Jänner 2017 in unsere Kinos.
Als die Taxifahrerin Özge (Violetta Schurawlow) ein Fenster in den Innenhof öffnet und dabei zufällig den Killer bei einer blutigen Tat beobachtet, verwandelt sich ihr Leben in einen Horrortrip. Von der Polizei belächelt, die beim Thema Zeugenschutz gleich einmal abwinkt, ist ihr der gefährliche Unbekannte bald auf der Spur. Eine Hetzjagd durch ganz Wien beginnt, während der zynische Polizeikommissar Steiner (Tobias Moretti) den Mörder nur langsam enttarnt.
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Stunts, Pyrotechnik, reale Schauplätze
Ein Film wie "Die Hölle" war überfällig. Natürlich begeisterten etwa die fulminanten Brenner-Filme mit Josef Hader auch als Kinokrimis österreichischer Herkunft. Aber während dort das Hauptaugenmerk auf Charakterstudien und morbidem Humor liegt, will Produzent Helmut Grasser nun beweisen, dass auch ein knallharter Actionthriller hierzulande machbar ist. Mit dem in der heimischen Provinz angesiedelten Splatterschocker "In drei Tagen bist du tot" und dem Alpenwestern "Das finstere Tal" zeichnet der Chef der Allegro-Film bereits für mitreißende Genre-Exkursionen verantwortlich, die ebenso als eindringliche Milieustudien funktionieren.
Mit Ruzowitzky hat Grasser jedenfalls den passenden Regisseur gefunden. Wagte sich der gebürtige Wiener bislang mit dem ruralen Drama "Die Siebtelbauern" über den Horrorthriller "Anatomie" bis zum Oscar-gekrönten Holocaust-Historienfilm "Die Fälscher" auf unterschiedlichste Terrains, scheint er nun ganz bei sich angekommen zu sein. Sprich: Stefan Ruzowitzky verknüpft seine handwerkliche Hollywood-Erfahrung, das Wissen um die plakative Inszenierung von beispielsweise Autocrashs und Gewaltsequenzen, mit einem wirklichen Gespür für die Donaumetropole im Hier und Jetzt.
Dabei wirkt der Film, trotz einiger Szenen aus dem Nachtleben, die an Nicolas Winding Refns Farbversessenheit erinnern, weder stark stilisiert, noch im Gegenzug der biederen Bildsprache heimischer TV-Krimis unterworfen. Ruzowitzky ist ganz dicht dran bei seinen Figuren, verfolgt sie mit der Handkamera, verlässt sich, wenn es kracht, knallt und brennt, stets auf Stunts, Pyrotechnik und reale Schauplätze statt artifizielle CGI-Effekte.
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Faszinierend starke Antiheldin
Wenn sich das jetzt bloß nach brachialem Bubenkino anhört: Neben dem Handlungsort hebt sich "Die Hölle" vor allem durch die Hauptfigur und deren Lebensumstände von durchschnittlichen Actionkrachern ab. Die wortkarge Özge, Taxifahrerin und Thaiboxerin, besticht als faszinierend starke Antiheldin, wie man sie zu selten in vergleichbaren Filmen sieht. Sie kämpft dabei nicht nur gegen den auflauernden Serienkiller mit fundamentalistischem Huscher, sondern ringt als junge Frau mit Migrationshintergrund auch mit ihrem patriarchalischen Vater und muss sich mit dem Chauvinismus der Wiener Polizei auseinandersetzen.
Dass der zwiespältige Kieberer Steiner, der Özge beschützen soll, dennoch menschelnde Züge entwickelt, verdankt er Tobias Moretti, längst Spezialist für ambivalente Figuren. Friedrich von Thun spielt den demenzkranken Vater des Kommissars großartig, karikiert in seiner Figur treffend den Verfall des Wiener Großbürgertums. Die wahre Sensation ist aber die Hauptdarstellerin Violetta Schurawlow, deren Blick von der ersten Filmminute an vereinnahmend wirkt und einen noch lange verfolgt. Wenn sie nicht bald in zentralen deutschsprachigen Filmen zu sehen ist, dann läuft etwas schief.
"Wien darf nicht Chicago werden" lautete einmal ein ziemlich dummer politischer Slogan vor vielen Jahren. In Umkehrung dessen darf man sich jetzt über einen Actionthriller freuen, der das Wien der Gegenwart als hartes Pflaster endlich ernstnimmt.
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Alltags-Authentizität statt Tragödienpathos
Wenn wir hier von höllischen Filmthemen und verlorenen Figuren reden: Da passt ein Streifen, der um unermessliche Schuld kreist, ohne Chance auf Erlösung, auf gewisse Weise auch dazu. Während ein Regieprovokateur wie Lars von Trier dazu aber das Fegefeuer auf Erden entfachen würde, köchelt Kenneth Lonergan ("You Can Count On Me") bewusst auf kleiner Flamme.
"Manchester By The Sea", der erste Film des US-Indieaushängeschilds nach längerer Pause, erzählt von zwischenmenschlichen Katastrophen, ohne das Pathos griechischer Tragödien zu bemühen. Denn Lonergan will nicht von überlebensgroßen Gefühlen erzählen, sondern bemüht sich um Alltags-Authentizität.
Mit hochgeschlagenem Kragen, die Augen stets zusammengekniffen, taumelt Casey Affleck in dem fast dreistündigen Drama durch die frostige Tristesse der amerikanischen Provinz. Ein Fehler, der ihm in einem einzigen Moment der Unkonzentriertheit passiert ist, hat die Existenz des Handwerkers Lee Chandler pulverisiert. Fern von seinem Heimatort Manchester in New England, wo ihn die Erinnerungen peinigen, fristet Lee eine Art Zombie-Existenz. Als aber sein älterer Bruder an einem Herzschlag stirbt, wird der fragile Bursche zurückgeholt in die Wirklichkeit.
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Elegische Kinoerfahrung
Während die Vergangenheit tonnenschwer auf ihm lastet, hört sich Lee apathisch die Testamentsvollstreckung an. Er soll Vormund seines 16-jährigen Neffen werden, wünschte sich der Bruder, eine zunächst unüberwindbare Herausforderung. Aber Lee wagt den Versuch und stellt sich dem Buben und dessen Teenagerproblemen.
Niederschmetternde Trauer wird in "Manchester By The Sea" von lakonischen und oft auch komischen Momenten konterkariert. Aber nicht um die Wucht der Emotionen taktisch abzumildern. Kenneth Lonergan geht es, wie er auch im FM4-Interview betont, um Wahrhaftigkeit und da blitzt eben manchmal kurz Humor mitten im Schrecken auf. Die grandiosen Schauspieler - Michelle Williams, Kyle Chandler, Lucas Hedges und natürlich Schmerzensmann Casey Affleck - treffen dabei genau die richtigen Töne.
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Kein gewöhnlicher Film jedenfalls, nichts für einen eskapistischen Kinoausflug, aber eine elegische Erfahrung, die sich lohnt, auch wenn man wie der Schreiber dieser Zeilen nicht zu den Freunden des stoischen Sozialrealismus zählt. Aber "Manchester By The Sea" entwickelt ganz eigene Qualitäten, die sich auf der großen Leinwand entfalten.