Erstellt am: 19. 1. 2017 - 19:37 Uhr
#yolocaust: Die Zukunft nach dem Holocaust
Schon bei der Errichtung des Denkmals für die ermordeten Juden Europas in Berlin, auf halbem Weg zwischen Potsdamer Platz und Brandenburger Tor, gab es zahlreiche Kontroversen. 19.000 Quadratmeter groß, 2700 hohle Betonquader, sogenannte Stelen und Millionen Besucher jedes Jahr (Bei der Eröffnung waren es 2701 Stelen; eine wurde wegen Baumängel abgebaut).
Es sei viel zu groß, die beliebige Form ohne (plakativen) Hinweis auf den Holocaust sei unpassend, wurde kritisiert, außerdem zu teuer, und der Gipfel: die Anti-Graffiti-Beschichtung stammt von der Firma Degussa (Die Degussa-Tochter Degesch hat während der NS-Zeit das Giftgas Zyklon B für die Gaskammern hergestellt). Aber auch eine sehr grundlegende Kritik wurde vielfach formuliert: die Ästhetisierung eines Ortes, der ein Holocaust-Denkmal ist.
yolocaust.de
Ort der Zerstreuung
Denn der Ort lädt zum Verweilen ein, zum Schlendern zwischen den Betonklötzen, zum Fotografieren von Perspektiven und zum Versteckspielen für Kinder. Für Jugendliche sogar zum Skaten und Turnen auf und zwischen den Stelen. Vielfach ist das dokumentiert auf Facebook, Instagram und sogar Tinder und Grindr, schreibt Shahak Shapira auf seiner Seite Yolocaust. Die breiten Lächeln auf den Selfies zwischen Betonkadern und das Verhalten am Erinnerungsort seien für manche Menschen respektlos, schreibt Shapira in den FAQ zu seiner Seite. Mit seiner Seite wolle er die Erinnerungskultur hinterfragen. Auf Facebook widmete Shapira das Projekt seinem, Zitat: „Lieblings-Neonazi, Bernd Höcke“.
Björn (nicht Bernd) Höcke ist ein Politiker der rechts-populistischen Partei AfD (Alternative für Deutschland), der am Tag des Starts von Yolocaust mit einer radikalen Rede auffiel. Darin bezeichnete er das Holocaust Mahnmal in Berlin als „Denkmal der Schande“, und forderte unter anderem den Rücktritt von Bundeskanzlerin Angela Merkel, und dass Dresden die neue Bundeshauptstadt werden solle. Das am Rande.
Zurück zur Einordnung und Rolle des Mahnmals in Berlin.
Eine vorschnelle These lautet, dass die sogenannte Selfie-Generation, die verloren in ihren sozialen Welten taumelt, nichts mehr aus der Geschichte lernt. Ein gefälliges Urteil für Kulturpessimisten. Ein anderer Entschuldigungs-Versuch: die schlichte Überforderung einer jungen Generation, die den Schrecken der NS-Zeit nicht mehr erleben musste. Deutungen, die vage bleiben.
Post-Holocaust-Generation 4.0
Bereits im vergangenen Sommer, im allgemeinen Pokemon-Hype, wurde die Selfie-Generation Thema in Bezug auf die Erinnerungskultur. Als an den Holocaust-Gedenkstätten allerorts spielende Menschen auftauchten. Das Verhalten wurde als respektlos und würdelos den Opfern gegenüber empfunden und Parallelen zu gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen gezogen. Die Ursachenforschung folgte einmal mehr den Kulturpessimisten, mit der These von den ignoranten Millennials.
Wenn man nach den Wurzeln sucht, muss man aber viel früher ansetzen, muss man sich der Frage stellen, nach der Idee und Konzeption der Orte des Erinnerns. Wie bereits Eingangs angeschnitten, schon bei der Errichtung des Denkmals in Berlin, aber auch anderer Erinnerungsorte wurden die Grundsteine gelegt. „Ich glaube, es ist ein bisschen zu ästhetisch. Es sieht ein wenig zu gut aus“, sagte Architekt Peter Eismann kurz nach der Eröffnung in einem Spiegel-Interview. Damit entsprach das Denkmal dem Wunsch des damaligen Kanzlers Gerhard Schröder: „Ein Mahnmal, zu dem man gerne geht“ und eben auch fotografiert.
Die Diskussion, die schon damals bei der Planung und Errichtung geführt wurde, hat in der Generation-Selfie nur die Übersetzung in den Social-Media-Plattformen gefunden. Die gerne gerühmte Deutsche Aufarbeitung des Nationalsozialismus und die im Vergleich noch schlechtere Vergangenheitsbewältigung in Österreich haben einen klaffenden, blinden Fleck: Die Reflexion der eigenen zurecht gezimmerten Erinnerungskultur. Diese wird manifest an eben diesem Holocaustdenkmal, genauso wie an allen Orten der Verbrechen und des Mordens in Europa.
"Björn Höcke soll sich das mal anschauen": @ShahakShapira hat uns sein neues Projekt #Yolocaust erklärt. https://t.co/zqeumLCJjx pic.twitter.com/n3EbbF5YDK
— jetzt (@jetzt) 18. Januar 2017
Man kann - wohlmeinend - dem Architekten Peter Eisenman unterstellen, er wollte einen Diskurs um Erinnerungskultur provozieren. Denn auf der konzeptuellen Ebene wecken die Grabsteine in Berlin Assoziationen, die uns im Post-Holocaust Europa den fortwirkenden Schrecken übersetzen können. Die grauen Stelen stehen nicht nur für die Grabsteine der ermordeten sechs Millionen Juden, sie zeigen auch, dass diese Grabsteine nirgendwo stehen.
In Massengräbern wurden die Ermordeten beerdigt oder zu Asche verbrannt, ihre menschlichen Überreste vernichtet. Ein Trauma für die Hinterbliebenen, denen die Möglichkeit eines jüdisches, rituellen Begräbnisses geraubt wurde. Denn nach jüdischer Tradition muss einem Verstorbenen ein Grabstein gesetzt werden und das jüdische Recht sieht unmissverständlich vor, dass der Körper - in seiner Gesamtheit - in die Erde zurückkehren muss. Somit verbietet die Tora die Einäscherung. Ein weiteres Trauma also für die Angehörigen, die keinen Ort haben, um zu trauern und zu beten.
Friedhof oder Mahnmal
Dieser Konflikt vollzieht sich bis heute an vielen Gedenkorten des Holocaust. Auschwitz sticht auch hier besonders heraus, weil es eigentlich absurd klingt, dass erst in den 1990er Jahren Gedenktafeln und Gedenksteine von jüdischen Organisationen aufgestellt werden konnten. Bis heute gibt es die nicht-erhörte Forderung, dass in Auschwitz beziehungsweise in Birkenau ein Platz für individuelle Grabsteine geschaffen wird.
In der „Frank Green Lecture“ in Oxford stellt der Sozialanthropologe Jonathan Webber im Jahr 1992 die provokante Frage nach der „Zukunft von Auschwitz“. Er zeigt dabei, dass Auschwitz für Menschen ganz unterschiedliche Bedeutungen haben kann und dass es einen sensibleren Umgang mit den Opfern in aller Dringlichkeit verlangt, dass sie die Deutungshoheit über diese Orte des Verbrechens aber auch des Gedenkens bekommen.
Das Spannungsfeld zwischen Museum/Denkmal/Mahnmal und Friedhof ist evident. Auschwitz ist zwar der größte jüdische Friedhof Europas, die menschlichen Überreste von mindestens 1,1 Millionen sind dort als Asche und auf den umliegenden Feldern verstreut. Aus der Perspektive der Opfer gibt es aber auf diesem Friedhof keinen Ort zum individuellen Beten und Trauern. Der polnische Staat will den Ort für die Nachwelt konservieren, als Mahnmal, und lässt keine Veränderungen zu - ein ungelöstes Problem bis heute also und ebenfalls Ausdruck einer fehlgeleiteten, kollektiven Erinnerungskultur.
Das Denkmal in Berlin - keine bewusste Provokation?
Wie sieht es mit der Erinnerungskultur nun in Berlin aus? Wenn man die Fakten und Äußerungen von Peter Eisenman zu seinem Mahnmal zusammenträgt, wird schnell klar, dass auch hier kaum Platz für Reflexion ist.
APA/dpa/Monika Skolimowska
Die Chance, aktiv Erinnerungskultur zu thematisieren und kritisieren hat er - bewusst oder unbewusst - nicht ergriffen. Eine Deutung für seinen Entwurf ist er schuldig geblieben. Der Architekt hat mehrmals in Interviews erklärt, dass das Denkmal „keine bestimmte Bedeutung“ habe.
In der Berliner Morgenpost erklärte er: „Ich wollte eine täglich präsente Erinnerung an den Holocaust für die Deutschen machen, keine private, sondern eine öffentliche Erinnerung. Etwas, das ganz normale Bürger besuchen können, ohne sich schuldig zu fühlen.“ Das Resultat dieses Nicht-schuldig-fühlen-wollens - und deswegen Nicht-gemahnt-werden-wollens, ist dass das Grauen bis heute wirkt. Es drückt sich nun banal in Selfies aus.
Auf jetzt.de erklärte Shapira übrigens, dass es nicht darum geht was man dürfe oder nicht. Sein Projekt soll zum Nachdenken anregen. Denn Erinnerungskultur baut auf den Säulen des Kollektiven Gedächtnis – wie es Maurice Halbwachs genannt hat. Dieses stützt sich aber vor allem auf die Geschichten der Zeitzeugen.
Wenn diese Menschen uns das Unvorstellbare nicht mehr übersetzen können, dann übernimmt die Spaßkultur das Zepter, wie wir auf Yolocaust sehen können. Shapira sagt dazu auf jetzt.de: „Die Bilder zeigen, wie schnell Erinnerung in Vergessenheit geraten kann. Viele sehen das Mahnmal leider immer mehr als Lifestyle-Foto-Objekt und weniger als Stätte der Erinnerungskultur.“ Ein guter Zeitpunkt wieder einmal darüber zu diskutieren.