Erstellt am: 18. 1. 2017 - 16:04 Uhr
Mischen Impossible
Es ist natürlich nie so, wie es scheint. Die letzte Woche komplett ins Netz gestellte erste Season der Show "Sneaky Pete" spielt mit den Ideen von Performance und Identität, von der Überlagerung der Ebenen und der Tatsache, dass jeder ein paar Leichen im Keller liegen hat.
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Sie tut es mit leichter Hand - in erster Linie ist "Sneaky Pete" eine Krimi/Thriller-Serie, oft hart, kalt und der Gewalt nicht abgeneigt, es schwingt jedoch ein flauschiger, sachte humoriger Ton mit.
Miterfinder und Co-Produzent ist Bryan "Breaking Bad" Cranston - in ihrer Schlingelhaftigkeit ähnelt "Sneaky Pete" nicht selten "Better Call Saul". Oder auch dem Noir-Light-Licht des Neo-Hard-Boiled-Westerns "Justified". Die Welt ist voller Schlawiner. Es gibt aber auch Schwerverbrecher.
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In "Sneaky Pete" ist Hauptfigur Marius ein so genannter Con Man, ein Confidence Man - dem man aber eben besser nicht trauen sollte. Wenn er sich dein Vertrauen erschlichen hat, dann luchst er dir das Geld ab.
Marius ist Trickbetrüger, spezialisiert auf im großen Stile - oft mit Partnern - inszenierte Casino-Gaukeleien und Karten-Schwindel, aber auch katzenhafter Taschendieb und schauspielerisch hochtalentierter Gefühls-Manipulator.
Hauptdarsteller Giovanni Ribisi gibt diesen Marius vieldeutig: mal als verschrecktes, dünnes Männchen, dem der ständig potenzielle Angstschweiß in den Gesichtsausdruck eingeschrieben ist, dann wieder als großspurig und arrogant auftrumpfender Behaupter und Macker.
Die Prämisse der Serie ist schon gut an den Haaren herbeigezogen. Nach einigen Jahren in Haft nimmt Marius in neu erlangter Freiheit die Identität seines einstigen Zellengenossen an: Pete. Ewig und ewig ist Pete Freund Marius mit Geschichten und Geschichtchen über Privatleben, Kindheit und Jugend in den Ohren gelegen - das sollte für Marius ausreichen, um so ungefähr eine Biografie nachzustellen.
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Aus Mangel an Alternativen und finanzieller Hochnot infiltriert Marius in der Rolle des Pete die Familie von Petes Großeltern, die in einem Kleinstädtchen auf einer Farm leben. Er meint, dort einiges abstauben zu können.
Dass diese tolldreiste Unternehmung so halbwegs zu funktionieren scheint, ist auch nur möglich, da der echte Pete den Kontakt zu seiner Familie vor gut zwanzig Jahren abgebrochen hat. Seine Eltern sind lange schon aus dem Familienszenario verschwunden, die Großeltern erinnern sich an Enkel Pete bloß noch mit zugekniffenen Augen als Kind und sehr jungen Teenager.
Etwas höhere Glaubwürdigkeit erlangt die Situation durch den Umstand, dass die neue Ersatzfamilie durchaus Zweifel über die Absichten des Rückkehrers hegt und versucht ihn auszutesten. Als feiste Großeltern glühen: Character Actress Margo Martindale und Peter Gerety. Natürlich haben auch Oma und Opa und der gesamte Clan unfreundliche Skelette im Schrank.
Wie es das Schicksal so will, betreibt die Familie ein Bail-Bonds-Kleinstunternehmen, also ein Kautions-Büro, das im Notfall Jagd auf gerichtsflüchtige Ganoven macht.
Auch in diesem Business scheint nicht alles sauber zu laufen. Marius/Pete kann sich hier dank Insiderwissen und Milieukenntnis hinsichtlich der Gauner-Codes und tendenzieller Flucht-Präferenzen gut in den Job einbringen. Lügen, Intrigen und Wendungen - gar logisch ist das alles nicht immer.
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Neben dem vertrackten Hochstapler-Plot und den damit einhergehenden Wirrungen, Katz-und-Maus-Spielen und Troubles im Gefüge der Surrogat-Familie wird Marius auf anderer Erzählebene von den Schatten der Vergangenheit eingeholt: Den kaum zimperlichen Crime-Boss Vince - ebenfalls gewiefter Kartentrickser und Betreiber eines illegalen Hinterzimmer-Casinos für gelangweilte Superreiche - hat er nämlich vor dem Gefängnisaufenthalt übers Ohr gehauen und so ungünstig gestimmt.
Bryan Cranston erfreut sich in der Rolle des Vince an süffisantem Overacting, zeichnet den Stereotypen des lächelnden, ausladend monologisierenden, dabei freilich ruchlosen und topbrutalen Superschurken im windigen Designer-Anzug an der Grenze zur Karikatur - bisweilen auch drüber.
Mit 100.000 Dollar kann Marius seine Schuld begleichen, naturgemäß muss die Kohle rasch herangeschafft werden, derweil ist Bruder Eddy bei Vince als menschliches Pfand gebunkert und wird schon mal mit der Kneifzange behandelt.
"Sneaky Pete" ist eine Show aus dem Zufallsgenerator, oft spuckt er schöne Sachen aus. Immer wieder scheint die Situation der Hauptfigur kurz vor dem Zusammenbruch zu stehen, ständig tänzelt Marius unter Hochspannung an der Kippe zwischen Einsturz und Erlösung. Hier deutet sich an, ein Plan könnte nun zur Abwechslung einmal aufgehen, die Rädchen würden fein ineinandergreifen, da wieder meint man, es dürften ihm all die Teller, die er da gleichzeitig in der Luft halten muss, nun endgültig zu Boden krachen.
Unvorhergesehene Zwischenfälle, das Auftauchen neuer unguter Gesellen, ungeahnte Geheimnisse - aber auch bloß beiläufige Alltäglichkeiten durchkreuzen Marius immer wieder seine in der Anlage doch ach so ausgefuchst ausgeklügelten Vorhaben.
Man kennt viele der Muster und kauzigen Typinnen und Typen schon, die da in "Sneaky Pete" den Plot immer wieder neu durcheinanderwirbeln und vorantreiben. Oft wirkt das wie bloß im Dienste der Motorik der Geschichte recht beliebig zusammenjongliert, sorgt dabei für Rasanz. Und leise komische Würze.
Immer wieder sind guter Wille und Phantasie gefragt, um an die Plausibilität der hier vorexerzierten oder immerhin angetesteten Schwindel, Finten und rätselhaft gedeichselten Betrügereien so ein bisschen glauben zu können.
Wenn sich dann aber nach und nach in der Manier von "Mission Impossible" oder "Ocean's Eleven" im Dickicht und dem verschachtelten Trick-im Trick-im-Trick-Spielchen neue Türen auftun, ausnahmsweise die Puzzleteilchen fast perfekt - eines fehlt immer - zueinanderfinden oder sich aus Safeknackern, Zauberern, Schauspielerinnen und liebenswerten Aufschneidern ein Team herausbildet, dann strahlt "Sneaky Pete".
Die erste Staffel endet zunächst auf versöhnlicher Note - hat dann aber doch noch einen funkelnden Cliffhanger im Ärmel, der unserem Helden - klassisch und meisterlich - seinen vermeintlich und zeitweilig erfolgreichen Lösungsansatz bloß als Startrampe für ein noch viel gewaltigeres Problem präsentiert.