Erstellt am: 17. 1. 2017 - 19:24 Uhr
Was ist ein "Gefährder"?
Die deutsche Polizei nennt jemanden einen "Gefährder", bei dem bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass er oder sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen könnte.
Der LKW-Attentäter vom 19.12.2017 Anis Amri war bei den deutschen Behörden als so ein Gefährder eingestuft.
Auf der Gefährderskala Stufe 5.
wikipedia
FM4 Auf Laut
Heute ab 21:00 Uhr Live mit Ali Cem Deniz
Der schleichende Ausnahmezustand
Was passiert mit dem Rechtsstaat, wenn sogenannte „Gefährder“ ohne Verfahren oder Urteil zum Tragen einer Fußfessel gezwungen werden?
Lassen sich damit Anschläge und andere Verbrechen tatsächlich verhindern?
Oder ebnen solche Grundrechtsverletzungen den Weg in einen neuen Totalitarismus?
Eine Kontaktperson vom deutschen Verfassungsschutz fährt Anis Amri Anfang 2016 von Dortmund nach Berlin, dabei äußert er Anschlagspläne. In Deutschland gibt es laut Verfassungsschutz zur Zeit 549 so genannte "Gefährder", davon sind 190 islamistische "Gefährder" auf freiem Fuß.
Obwohl noch nicht klar ist, worin das Behördenversagen genau bestand, kommt von der deutschen Regierung schon ein neuer Vorschlag: alle "Gefährder" sollen Fußfesseln bekommen.
Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im deutschen Bundestag, Konstantin von Notz, kritisiert diese Unklarheit. "Herr de Maizière und Herr Maas [CDU-Innen- bzw. SPD-Justiz-Minister] geben Pressekonferenzen, obwohl sie die im Raum stehenden Fragen noch gar nicht geklärt haben.Wir reden über Fußfesseln und alle möglichen Dinge, ohne überhaupt zu wissen, was im Fall Amri eigentlich falsch gelaufen ist."
In Österreich gibt es (noch) keine "Gefährder"
Die Verdachtskategorie ist hierzulande nicht in Verwendung.
Auch wenn durch das seit 1.7.2016 in Kraft getretene und noch davor beim Verfassungsgerichtshof angefochtene Polizeiliche Staatsschutzgesetz eine problematische "Gefährderdatenbank" vorgesehen ist.
ÖVP-Innenminister Wolfgang Sobotka übernimmt dennoch die Forderung aus dem Nachbarland: Fußfessel für Gefährder.
Er fordert dazu auch noch den kleinen Lauschangriff fürs Mithören von Gesprächen im Auto, die Vernetzung sämtlicher privater Überwachungsvideokameras und fast wie nebenbei: ein Kopftuchverbot für Beamtinnen.
Christoph Weiss über racial profiling im Netz
Für Amnesty International Österreich sind diese Forderungen eine pauschale Verdächtigung einer Bevölkerungsgruppe. Damit beziehe die ÖVP menschenrechtswidrige Positionen.
In seiner Welser Rede sagte SPÖ-Kanzler Kern zum Thema:
"Wir brauchen eine Diskussion mit Augenmaß und mit Realitätssinn. Und mit Blick auf die Sicherstellung von Bürgerrechten und unserer Freiheit."
Augenmaß? Realitätssinn?
Mit Big Data und so genannten vorhersagenden Analysen soll der Polizei möglich gemacht werden, kommende Gefahren abzuwehren.
An der Universität Wien frage ich gestern am Rande einer Diskussion über die "digitale Zukunft" IT-Studierende nach ihrer Meinung, einer von ihnen sagt mir: "Nach der Logik müsste jeder Mensch eine Fußfessel kriegen, weil jeder Mensch ist potentiell gefährlich."
epicenter.works
Die Zwangsbehandlung von nicht Verurteilten und auch noch nicht straffällig gewordenen Personen stellt einen schweren Eingriff in die Grundrechte dar.
In der Diskussion in Deutschland und Österreich dürfte darüber hinaus eine Tatsache vergessen worden sein: der 19-jährige Syrien-Heimkehrer Adel K., der am 26.Juli 2016 im französischen Rouen einen katholischen Priester während einer Messe ermordete, trug während der Tat an seinem Fuß:
Eine Fußfessel.
Mhmmm?
FM4 Auf Laut - Der schleichende Ausnahmezustand
Fußfesseln für „Gefährder“, racial profiling, „lückenlose“ Überwachung und predictive policing. In der Sicherheitsdebatte tauchen neue Begriffe und Konzepte auf. Mit ihnen will der Sicherheitsapparat auf aktuelle Risiken reagieren. Doch was passiert mit dem Rechtsstaat, wenn sogenannte „Gefährder“ ohne Verfahren oder Urteil zum Tragen einer Fußfessel gezwungen werden? Lassen sich mit diesen Maßnahmen Anschläge und andere Verbrechen tatsächlich verhindern? Oder ebnen solche Grundrechtsverletzungen den Weg in einen neuen Totalitarismus?
Zu Gast im Studio bei Ali Cem Deniz:
- Alexander Czadilek, Jurist und Policy Analyst bei epicenter.works (vormals AKVorrat)
- Reinhard Kreissl, Soziologe und Leiter des Vienna Centre For Societal Security VICESSE