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Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

17. 1. 2017 - 16:24

"Es sieht aus wie Krieg"

Theresa May hat heute erklärt, wie sie sich das mit dem Brexit so vorstellt - raus aus dem Binnenmarkt, raus aus der Zollunion und strenge Auslese an den Grenzen. Dass ihre Worte schon niemand mehr erschreckten, ist das wahrlich Erschreckende dran.

Ein bisschen Symbolik gefällig? Gestern wurden die bunten Lichter am Piccadilly Circus abgedreht (bis Herbst, weil die Leuchttafeln erneuert werden müssen). Die stets blinkende Verkörperung der endlosen Käuflichkeit Londons als werbegraphisches Wahrzeichen der Pop-Kultur erlosch rechtzeitig zu Theresa Mays Verlautbarung des Endes einer Ära.

Denn wir sollten uns nichts vormachen: Da kann sie vom "globalen Britannien“ reden und „best friends forever“ sein, so viel sie will:

Wenn Großbritannien das, was die Premierministerin heute verkündet hat, durchzieht, dann ist das das Ende der - in den letzten 20 Jahren ohnehin zunehmend umstrittenen - Rolle Londons als Europas Fenster zur Welt.

Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen extrem, schließlich sind wir alle noch eingelullt von den positiv klingenden Worten, mit denen May um sich warf (sogar „internationalistisch“ kam vor). Schon überhaupt, wo das Vorspiel gar so furchterregend war, dass der Hauptakt im Vergleich geradezu antiklimaktisch gutmütig ankommen musste.
Zumindest hierzulande.

Zwei Tage lang hatten hier nämlich die in ihrem apokalyptischen Surrealismus nicht zu toppenden, verwackelten Bilder von Michael Gove zu Gast im Trump Tower die Nachrichten dominiert.

Wie er unterwürfig und um Anerkennung heischend auf halbem Weg über den Schreibtisch des Potentaten kroch.

Wie der ihm versicherte, Brexit sei eine tolle Sache gewesen, „Obama hat euch gesagt, wenn ihr aus der EU austretet, müsst ihr zurück ans Ende der Schlange.“

„Und jetzt sind wir die ersten in der Schlange.“

„You're doing great.“

Ich sah diesen Clip zum ersten Mal am Sonntagabend in den Abendnachrichten, direkt nach dem Ende der letzten Folge der letzten „Sherlock“-Staffel mit ihren hektisch aneinander montierten Subplots, vom Flugzeugabsturz und explodierenden Detektivbüro bis zum gefesselten Dr. Watson am Boden eines sich füllenden Brunnens.

Wie Trump Gove da windig einwickelte und dreist jede konkrete Versprechung mied, die Naivität, mit der jener ihm die süße Milch von den Fingern schleckte, und dann die Bereitschaft der BBC News, die verblendet-optimistische Botschaft dieser gruseligen Begegnung weiterzutragen, gefolgt von zwei Dokumentationen (auf Channel Four und BBC One) über Trumps Verbindungen zur Klimawandelverleugnungslobby und zu Vladimir Putin, das war alles schon zu viel der Verstrickungen. Jeden Moment würde Moriarty dämonisch vom Bildschirm grinsen, aber da kam keine Auflösung.

Bis zum Morgen drauf, als uns die Nachrichten erzählten, russische Hacker hätten die Sherlock-Folge geklaut und schon Stunden vor der Ausstrahlung im Internet verbreitet.

„Tick tock tick tock“, zischt Moriarty hämisch.

Und damit zurück zu Theresa May, die also nichts sagte, was uns nicht schon Tage zuvor als das neue Normale verkauft worden war.

Großbritannien wird also nicht mehr Teil des EU-Binnenmarkts sein, will aber trotzdem zumindest teilweise freien Zugang zu diesem haben.
Nicht Teil der Zollunion sein, aber sektorenweise schon. Vor allem der Autoindustrie und der Finanzwirtschaft zuliebe.

Es will dafür nötigenfalls ein bisschen was bezahlen, aber nur minimal.

Es will statt der europäischen Bewegungsfreiheit die „Besten und Klügsten“ aus der ganzen Welt aufnehmen und alle abweisen, die nicht zu dieser globalen Elite gehören.

Ob damit auch die Besten und Klügsten unter den Obstpflücker_innen, Krankenpfleger_innen und Installateur_innen gemeint sind, die derzeit die britische Gesellschaft am Ticken halten, war nicht so klar erkenntlich.

Aber die Tatsache, dass Großbritannien sich das aussuchen können will, klingt nach viel Bürokratie, Aufenthalts- und Arbeitsbewilligungen.

Und nach der relativ kühnen Annahme, dass es überhaupt Interesse seitens der Besten und der Klügsten geben wird, in ein ärmeres, isoliertes künftiges Großbritannien zu ziehen - eine Annahme, aus der sich wiederum der ganze nationale exceptionalism ablesen lässt, der der Mayschen Vision eines „globalen Britannien“ innewohnt.

Und natürlich war da auch die Drohung: Wenn die EU nur einen „schlechten Deal“ anbietet, dann nimmt man lieber gar keinen und setzt auf ein alternatives Modell, nämlich das einer in alle Richtungen deregulierten britischen Steueroase.

Dass so ein Modell nebenbei auch Großbritannien als Industrienation abschaffen würde, ist wohl das Opfer wert. Oder komplettiert die halbfertige Mission Margaret Thatchers, egal was die politisch sowieso heimatlose Brexit-Wählerschaft im englischen Norden davon hält.

Im Übrigen müsse die britische Union zusammenhalten zugunsten dieser gemeinsamen Sache, meinte May.

Und erwähnte dabei mit keinem Wort, dass die schottische Regierung, wenn schon Brexit wider Willen, dann jedenfalls ganz entschieden im Europäischen Wirtschaftsraum verbleiben will - dass ein Austritt aus der Zollunion also förmlich nach einem neuen schottischen Unabhängigkeitsreferendum ruft.

Ebenso unerwähnt blieb die Situation in Nordirland, wo Martin McGuinness von der katholischen Sinn-Fein-Fraktion gerade unter Korruptionsvorwürfen gegen die protestantische Provinzregierung der Democratic Unionists sein Amt als stellvertretender First Minister niedergelegt und damit regionale Neuwahlen provoziert hat.

Die werden sich nun natürlich zu einem Votum über Brexit auswachsen, bei dem dann letzten Endes die Basis des Karfreitagsabkommens (dazu gehört nicht zuletzt die offene Grenze zu Irland) und somit der fragile Frieden in Nordirland selbst auf dem Spiel stehen wird.

Genauso ungelöst bleibt aber auch das Schicksal von meinesgleichen, den EU-Einwander_innen, die sich unter Garantie ihrer EU-Rechte in Großbritannien angesiedelt und dort Lebenszeit investiert und Familien gegründet haben. May macht unsere Rechte - immer noch - davon abhängig, wie 27 Regierungen mit den 1,3 Millionen auf dem Kontinent lebenden Brit_innen verfahren werden.

So als wäre es nicht Großbritannien allein, das durch seinen Schritt jene Unsicherheit in unser aller Leben erzeugt hat.

„Es gab keinen Trost für hiesige EU-Bürger_innen und somit auch keinen für die Brit_innen da drüben“, schrieb Polly Toynbee, die Politik-Chefin des Guardian in einer ersten Reaktion, „Hätte [May] ihre Worte über das Aufrechterhalten der Partnerschaft mit alten EU-Verbündeten ernst gemeint, dann hätte eine kleine Geste wahrer Freundschaft ihre Verhandlungen in einem echten Geist der Verbundenheit eröffnet. Stattdessen sieht es aus wie Krieg.“