Erstellt am: 18. 1. 2017 - 10:26 Uhr
Gähnen über Gene
Wer bisher zu wenig Madonna gehört hat oder "Dumbo" nicht oft genug gesehen hat, dem könnte entgangen sein, dass die Erscheinung von "pink elefants", das durchaus extravagantere englische Pendant zu dem deutschen Sprichwort mit den "weißen Mäusen" ist. Eine alkoholbedingte Halluzination.
Disney
So glaubt der Obdachlose Schoch in Martin Suters neuem Roman "Elefant" zunächst auch an eine bier-induzierte Wahnvorstellung, als ihm in der Höhle, die ihm als Schlafplatz dient, ein kleiner, sagen wir mal Foxterrier-großer rosa Elefant begegnet, der im Dunklen leuchtet. Aber Halluzinationen haben keinen Durchfall und Schoch beginnt sich um dieses kleine Wesen zu kümmern.
Rosa Rosa
Vor zehn Jahren hat Martin Suter, so erzählt er in Interviews immer wieder, von einem Forscher erfahren, dass es möglich ist, das Genmaterial von Tieren derart zu manipulieren, dass sie im Dunklen leuchten. Seither sei ihm der rosa Elefant nicht mehr aus dem Kopf gegangen.
Sicher ebenfalls im Dunklen leuchten die Dollarzeichen in den Augen der Schweizer Forscher und chinesischen Geldgeber in "Elefant". Ein cholerischer Bleifuß und ein stoisch wortkarger Typ mit Pferdeschwanz, ein Duo wie aus einem französischen Achtziger-Jahre-Actionfilm. Um das märchenhaft anmutende Element des kleinen rosa Elefanten, das so wundersam-entrückt scheint, reiht Martin Suter Figuren, die in eine recht märchenartige Vorstellung von Gut und Böse passen. Die einen haben Geld, die anderen ein Gewissen.
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Obdachlose statt Oberschicht
Suter ist ein Bestsellerautor, der gern vom Feuilleton für seine einfache, Hauptsatz an Hauptsatz reihende Sprache gerügt wird. Keine ausufernden Beschreibungen, keine Schachtelsätze, keine Wortkreationen. Der Kritik an seiner Sprache konnte man lange entgegenhalten, dass er ein guter Konstrukteur von Spannung ist. In der "neurologischen Trilogie" - "Small World", "Die dunkle Seite des Mondes" und "Ein perfekter Freund" - hat Suter das Thema "Gedächtnisverlust" ins Krimi- bzw. Thrillergenre eingebettet. Mit großem Erfolg.
Diogenes
Am eindrucksvollsten ist sicherlich "Die dunkle Seite des Mondes", in dem ein Wirtschaftsanwalt nach der Einnahme von halluzinogenen Pilzen die Kontrolle verliert. Und wir folgen ihm von den Hochhäusern der Finanzwelt in den dunklen Wald. Suters Stärke war auch die - mal ironisch mal süffisante - Schilderung der Schweizer Oberschicht. Dort, wo noch immerhin der Mief dieser Oberschicht in der Luft hängt, entfalten sich in "Elefant" die interessantesten und einnehmendsten Passagen des Romans: In einer leerstehenden Villa kommen Schoch und sein Elefant unter. Derartige Momente der Isolation sind oft Suters Stärke. Und dem kleinen rosa Elefanten ist man ohnehin zugetan, Kindchenschema funktioniert auch über Sprache, selbst über eine so knappe wie die von Suter. Tatsächlich gelingt es "Elefant" auch, das Band, das zwischen Schoch und dem Tier entsteht rührend zu schildern, ohne in Sentimentalitäten zu verfallen. Doch leider bleiben die beiden nicht alleine in dem Roman.
Zu dem Obdachlosen mit dem goldenen Herzen gesellen sich neben den weiter oben genannten Schurken, an denen vielleicht Luc Besson im Jahr 1985 eine Freude gehabt hätte, auch noch ein meditierender Elefantenflüsterer und ein Zirkusdirektor namens Pellegrini. Frauen tauchen hier nur am Rande auf, bekommen Adjektive wie "keine Schönheiten" oder "grell geschminkt" umgehängt. Vielleicht kann sich da ja auch die Gentechnik drum kümmern, wenn das mit den im Dunkeln leuchtenden Tieren unter Dach und Fach ist.
"Wirtschaftsthriller", wie so oft in Ankündigungen zu lesen ist, ist "Elefant" übrigens keiner. Dazu gehört schon mehr, als eine halbe Seite von einem global operierenden chinesischen Unternehmen zu berichten, das als Geldgeber in Sachen Genforschung und -manipulation agiert. Und so hetzt der böse Kapitalismus denen hinterher, die dem Tier mit Respekt und Liebe begegnen.
Bryan Adams
Weil aber weder der Alltag der Obdachlosen, noch die Zirkuswelt, noch das Schweizer Genforscher-Universum mit dieser Glaubwürdigkeit erzählt werden - und dabei geht es jetzt nicht einmal unbedingt um Authentizität, sondern nur um die Stimmigkeit innerhalb eines Romans - fühlt sich "Elefant" bald an, wie eine dieser unbefriedigenden "Tatort"-Episoden.
Wenn die Geschichte und der Spannungsbogen so aufgeht, wie in seinen früheren Romanen, dann gibt es keinen Grund, sich an Suters wenig opulentem Stil zu stoßen. Wenn aber der Spannungsbogen fehlt, dann stolpert man über Plattitüden oder wundert sich noch Seiten später, dass in einem Universum, das so gar nicht popkulturell verankert ist, plötzlich erwähnt wird, dass Bryan Adams im Autoradio läuft. Ich hab also für die nächsten hundert Seiten "Summer of '69" (I am an old soul) im Ohr, aber das macht "Elefant" leider auch nicht vergnüglicher.