Erstellt am: 13. 1. 2017 - 16:31 Uhr
The xx: Immer noch Leise, aber diesmal etwas lauter
Es mag ein bisschen ein Zufall gewesen sein, dass der Gruppe The xx mit ihrem ersten, 2009 erschienenen und ganz richtig schlicht bloß "xx" betitelten Album ein neues, unerhörtes Klangdesign eingefallen ist.
Aus Mangel an technischen Möglichkeiten und vielleicht nur rudimentären Fähigkeiten am Instrument. Aus der magischen Wechselwirkung zwischen starken Persönlichkeiten und drei Freunden ist da betont karge Musik in Aschgrau und Anthrazit entstanden. Musik, in der die bloß nötigsten Töne aus Bass und Gitarre getropft sind, dazwischen zischelten und klopften letzte Spuren von Elektronik – sonst war Luft und Leere.
Producer und Beatbeauftragter Jamie xx kitzelte schmale Beats und Blubbern aus den Maschinen, Gitarristin Romy Madley Croft und Bassist Oliver Sim umschwirrten und betasteten einander mit ihren Stimmen, sie sangen schöne, kleine, freundlich-trübsinnige Lieder.
Alasdaie McLellan
So erwachte eine rätselhafte Modelbaukasten-Musik – gerade mal so – zum Leben: Minimalster Postpunk, Goth-Pop und der absolute Rest von verspuktem Dubstep in kühler und kühner Umschlingung. Müde, dabei doch voller elektrischer Energie.
Am Montag überträgt FM4 in der Homebase einen Mitschnitt von einem Konzert von The xx aus Tokio.
Das hervorragende zweite Album "Coexist" hat diesen Soundentwurf des Spröden und der Reduktion ins Extrem geführt, oft ist er imitiert worden, versuchsweise. Gerade ist das neue, dritte Album von The xx erschienen, heiß-kalt erwartet: Es muss alles ein klein wenig neu werden, das war für die Platte namens "I See You" abzusehen.
Der Eröffnungstrack auf "I See You" möchte uns also gleich erzählen, dass hier im System The xx etwas anders geworden ist, ein bisschen.
"Dangerous" heißt der Song – auch bei aller nachtschwarzen Trübsal und der bitter-süßen Melancholie hätte man in der Vergangenheit die Vokabel "gefährlich" nicht mit der Band in Verbindung gebracht.
Romy Madley Croft und Oliver Sims umsingen und teasen hier einander forscher und aufgebrachter als bisher, sie singen vom feinen Risiko, von der Liebe, dem Sex, der Körperlichkeit als gefährliche Unterfangen, in die man sich gerne Kopf über hineinstürzen mag. Es brennt so gut.
Eine ungewohnte, ungewohnt aufregende Pose für The xx – vor allen Dingen aber kündet das Stück "Dangerous" in musikalischer Hinsicht von den Verschiebungen: Blecherne Fanfaren, Sirenen, Dubstep-Geklapper, Andeutungen von digitalem Dancehall schieben die Gruppe hier heftig wie nie auf den Dancefloor.
Young Turks
"Dangerous" wird der aufgedrehte Ausreißer auf "I See You" bleiben, der ausgestellte Wunsch nach Wandel ist etwas forciert. Es ist nicht das beste Lied, das sich The xx jemals ausgedacht haben. Jedoch: Hier auf dieser Platte ist mehr Dancefloor, mehr Elektronik, mehr Beat.
Die Im Vorfeld veröffentlichten Tracks "On Hold" und "Say Something Loving" haben da nicht wenige Fans vergrämt: Handelte es sich hier nicht vielmehr um Jamie-xx-Stücke, in denen halt die anderen beiden Bandmitglieder mitsingen dürfen?
Jamie xx verbrät in beiden Stücken Samples von im Zusammenhang mit The xx bislang unbekannter Qualität: Einmal den Blue-Eyed-Soul von Hall & Oates, einmal den sonnendurchfluteten Cheese-Pop der Alessi Brothers, nachgerade gut gelaunt, beinahe albern. Sind The xx zu fröhlich geworden?
Tatsächlich sind "Say Something Loving" und "On Hold" nahezu idealtypische und für das Album prototypische Songs. Alle drei Mitglieder leuchten auf dieser Platte heller. Es gibt von allem mehr und von allem weniger. In der Umschlingung, der Überlagerung, aber auch der strengen Nebeneinanderstellung liegt die Kunst.
Madley Croft und Sim sind als Sänger gewachsen, haben dabei nicht ihren porösen Charme, die Aura des Unfertigen und Verschreckten verloren. Die delikate Produktion von Jamie xx ist präsenter - wo die Elektronik früher selten mehr als interessanter Zaungast war, ist hier oft ein Sample oder ein Beat das Fundament für den Track. Er hat da aber nicht bloß stumpf eine Bassdrum druntergeschnallt.
Es gibt den Krautrock-Motorik-meets-House-Pop von "I Dare You" und verpitchte Chor-Samples in "Lips", es grummelt, faucht, zwitschert und poltert zärtlich. Dann wieder erschüttert ein nackter Song wie "Performance", der kaum aus mehr als Madley Crofts Stimme, Streichern und Gitarre besteht, wohlig das Gemüt. Er erzählt genau davon: Der Performance, dem Sich-Verstellen, dem traurigen Täuschen im intermenschlichen Taumel.
The xx singen auf "I See You" zwar auch von den Highs der Nacht, dem aufkommenden Saft und dem Glühen, das die Liebe verheißen mag. Aber auch wieder von der Isolation, der Entfremdung, der emotionalen Kälte, der Sucht, dem Abschiednehmen und dem Stechen in der Brust. Auch in der Disco ist man allein: "Now I Go Out, But Every Beat Is a Violent Noise", heißt es im Stück "A Violent Noise".
Nach wieder nur 10 Liedern und knapp 40 Minuten Spielzeit ist der Spuk auch schon wieder vorbei. In der Abschlussnummer "Test Me" gelingt The xx noch einmal eine wunderlich entrückte Preziose: eine weich tropfende, durch den Rauch schaukelnde Nummer, in der sich Art-Pop im Geiste von Brian Eno und John Cale, Minimal Music und vernebelter Ambient umschmiegen.
"Test Me, See If I Break", heißt es da. Eine kleine, zerbrechliche Platte, eine zarte Knospe, langsam, langsam öffnet sie sich und erblüht in leiser Pracht.