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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

13. 1. 2017 - 15:06

The daily Blumenau. Friday Edition, 13-01-17.

Die Fremden vor unserer Tür, der tote Zygmunt Bauman und die Fluchtwege des Denkens.

#demokratiepolitik #flüchtlingspolitikkrise

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die bisherige Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.

Danke an Alexandra Ganser, die Wissenschaftlerin meines Vertrauens, für die Empfehlung.

Es war eines der Bücher, die ich über die Feiertage gelesen hatte, und lag seither bereit, um beim nächsten entsprechenden Anlass zitiert zu werden: Die Angst vor den anderen, ein Essay über Migration und Panikmache von Zygmunt Bauman - im Original Strangers at Our Door.
Jetzt ist der Anlass da.

Bauman ist die seltene Autoren/Denker-Ausnahme eines weisen Alten, der die neuen Phänomene, die eine sich im Digitalen verflüssigende Welt mit sich bringt, nicht altersstarr wegstrampelt, sondern umarmend erklären kann, was die solchermaßen in einer erweiterte Assoziations-Spanne abgehangenen Gedanken dann umso wertvoller macht.

Seit Anfang dieser Woche muss dieser Satz in der Vergangenheits-Form geschrieben werden: der in Polen geborene, in England lehrende Soziologe ist nämlich gestorben, 91jährig.

Zygmunt Bauman

APA/AFP/MICHAL CIZEK

Zygmunt Bauman 2012

"Die Angst vor den anderen" ist im Herbst erschienen, im Deutschlandfunk wurde es damals als "das Buch der Stunde, das hoffentlich über den Tag hinaus wirkt", bezeichnet.

Bauman analysiert die Ursachen für die schwelenden Ängste, er geißelt die Individualisierung der Verantwortung, die das ökonomisch-politische System übernehmen müsste, anstatt den Einzelnen vor die unerfüllbare Aufgabe zu stellen, Lösungen für gesellschaftlich produzierte Probleme zu finden. Bauman seziert die seit 9-11 reflexhafte "securitization", die den westlichen Gesellschaften postfaktische Phantomlinderung verspricht.

Und er verweist auf einen zentralen Denkansatz von Hannah Arendt (aus: Über das Böse), die den Hauptunterschied zwischen Denken und Handeln so auslotete: "während ich denke, bin ich mit meinem eigenen Selbst zusammen [...] wohingegen ich mich in dem Augenblick, in dem ich zu handeln beginne, in der Gesellschaft der Vielen befinde." Das verknüpft Bauman mit den Differenzen zwischen Online- und Offline-Welt, und das unser ununterbrochenes stetiges Switchen zwischen diesen Welten (und da ist der Verweis auf sein Zentralthema der Verflüssigung) uns zunehmend unempfindlicher für reale Nöte und empfindlich wehleidiger für nur gefühlte Probleme macht.

Thomas Edlinger spielt am Sonntag, 15.1. 2017 in FM4 Im Sumpf zwischen 21 und 23:00 Auszüge seines 2009 mit Zygmunt Bauman geführten Interviews

Bauman spricht von durch den bloßen Glauben (der auf Überzeugung, nicht auf Beweisen basiert) eröffneten, vielfältigen Fluchtwegen, denen gemeinsam wäre, dass "sie den Hinterhalt der Selbstverachtung umgehen, indem sie Heuchelei und Verlogenheit nahezu unsichtbar machen oder verhindern, dass sie ins Bewusstsein des Lügners treten." Präziser ist der postfaktische Selbstbetrug der Wutbürger-Massen nie beschrieben worden.

Bauman sieht den Lösungsansatz, da ist er ganz Soziologe, im Gespräch, und zitiert den Philosophen Kwame Appiah aus dessen Buch Cosmopolitanism - Ethics in a World of Strangers: "Gespräche, die über Grenzen hinweg geführt werden, können ein Genuss oder eine Qual sein - je nach den Umständen. Aber eines sind sie ganz gewiss: unvermeidlich."