Erstellt am: 16. 1. 2017 - 14:29 Uhr
"Ein Holocaustforscher mit Humor...
Eine der Blumen von gestern, von der im Filmtitel die Rede ist, ist Totila „Toto“ Blumen, gespielt vom Held der Berliner Schaubühne, Lars Eidinger. Er ist Mittvierziger, Holocaustforscher, aber zuallererst unsensibler, moralkeulenschwingender Neurotiker. Ein bisschen autobiographisch hat Regisseur Chris Kraus die Figur ausgeschmückt, hat er vor einigen Jahren selbst erst herausgefunden, dass sein Großvater ein Nazi war. So ist es auch bei Toto der Fall. Dessen Großvater war für jüdische Massenmorde in Riga zuständig, worüber der Enkel schon mehrere Bücher veröffentlicht hat. Toto ist sehr stolz auf seine wissenschaftlichen Errungenschaften, seine Familie weniger: die spricht nämlich seit der Veröffentlichung derer nicht mehr mit ihm.
Schreien, brüllen, auszucken
Toto ist eine fast schamlos überzeichnete Figur, die nicht an sich halten kann. Er schlägt seinem schmierigen Chef „Balthi“ Balthasar Thomas (Jan Josef Liefers) von der Zentralen Stelle der Holocaustforschung in Ludwigsburg schon in einer der ersten Szenen einen Zahn aus. Geflucht wird obligatorisch in so gut wie jedem Satz. Vögeln, ficken, Fresse, Scheiße.
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In seinem rastlosen Grant, seiner Negativität und Unausgeglichenheit ist Toto aber nur ein Teil des verrückten Charakterensembles in „Die Blumen von gestern“. Mitten in den letzten Vorbereitungen zu einem „Ausschwitz-Kongress“ heuert Zazie (Adèle Haenel), eine französische Jüdin, deren Großmutter von den Nazis vergast wurde, als Praktikantin an. Die schräge Dynamik und wenig subtile Liebesgeschichte, die sich aus dieser Begegnung bald ergibt, nährt sich von den ewigen Wut-, Freudes- und Wahnsinnsausbrüchen der beiden. Der ewig grummelde Toto sieht in Zazie eine wandelnde Provokation, die es schließlich aber schafft, seine Mundwinkel doch ab und an nach oben schnellen zu lassen. Dank ihr überwindet er sogar seine Impotenz, während seine Ehefrau erlaubter- und skurrilerweise Affären mit Männern nachgeht, die Toto trotz tobender Eifersucht mitauswählt.
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So schlagfertig, rastlos und unterhaltsam die Dialoge auch gebaut sind - das etwas kläglich durchschimmernde Ziel, sie an den Unterhaltungswert einer zappelnd-quengelnden Romanze ganz nach Woody Allen anzupassen, lässt sie bald auf einer eher lustlosen Ebene hängenbleiben. Ein ewiges Hick-Hack, Schwarz-Weiß, freudiges oder furchteinflößendes Gekreische. Auch Möpse (Hunde!) fliegen aus fahrenden Autos, und in Nitsch-Manier macht sich die Protagonistin nebenbei schnell selbst zum roten Schüttbild.
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Davon nämlich ernährt sich der Film, wenn die Geschichte etwas ins Einschlafen kommt: von der Situationskomik. Momente, die eine bitterböse Wahrheit entlarven, sind die lustigsten. Wenn zum Beispiel Totos Frau, die von seiner Nacht mit Zazie und seiner wiederhergestellten Männlichkeit laut von „ihrem Ersatzkind“ spricht, das ja dann vielleicht doch unnötig adoptiert wäre. Und das alles, während das dunkelhäutige, kleine Mädchen in der Wiese daneben sitzt und zuhört.
Gute Schauspieler, falscher Film
Das abgekaute Thema der deutschen Holocaust-Aufarbeitung ist, wie man zuerst annehmen könnte, nicht das Problem des Films. Ein Opfer-Enkel hilft einem Verbrecher-Enkel, sich nicht mehr länger schlecht zu fühlen, und das ist nicht so schrecklich, wie es sich anhört. Diese Entwicklung noch zu vertiefen, den offenen Umgang mit dem Problem der Vergangenheitsbewältigung, hätte dem Film gut getan. Stattdessen werden Zazies fünf Selbstmordversuche, weil sie ja „gestört“ sei aufgrund ihrer Vergangenheit, in wenig amüsanter Slapstick-Manier hinuntergespült. Es ist klar, was Chris Kraus hier probiert, aber irgendwann im Laufe des Films steht fest, dass sein Versuch, die Thematik komödiantisch rüberzubringen, nicht so ganz funktionieren will.
Filmstart
"Die Blumen von gestern" läuft seit 13.1.2017 in unseren Kinos.
DOR FILM
Adèle Haenel, als französischer Shootingstar gefeiert, müht sich an ihrer Rolle der ewig überdrehten, kindischen und nervigen jungen Frau zu sehr ab. Lars Eidinger, der neben seinem längst bewiesenen Bühnentalent auch schon auf der Leinwand (u. a. in „Alle anderen“, Regie Maren Ade, ausgezeichnet mit dem Großen Preis der Jury auf der Berlinale), schlägt sich tapfer. Wie akribisch er seine Figur und deren neurotisch-chaotische Schübe studiert hat, ist an seiner hervorragenden Mimik abzulesen. Die Unglaubwürdigkeit der Figur ist dem hin- und herspringenden Skript geschuldet, die Widersprüchlichkeiten seines Charakters sind anfangs ironisch-komisch, dann allenfalls ebenso nervraubend. Wenn er Polen als „das Land der besten Putzfrauen“ bezeichnet, um sich gleich danach in Schuldgefühlen zu suhlen. Oder wenn er sich pseudomoralisch weigert, französische Schmankerl bei Zazies Welcome-Dinner vor einem Ausschwitzgemälde hängend zu essen, kauft ihm das niemand mehr ab.
„Die Blumen von gestern“ ist eine rasante, leichte Filmbegleitung für den faulen Sonntagabend. Am Montag wird man sich allerdings leider nur mehr dunkel daran erinnern.