Erstellt am: 17. 1. 2017 - 14:20 Uhr
Eine Schatzkiste im Chillout-Modus
Vor drei Jahren, direkt im Anschluss an die Veröffentlichung des riesig erfolgreichen Albums "The North Borders", packt Simon Green aka Bonobo seine Koffer. Die New Yorker Wohnung wird leergeräumt, Sachen in Containern verstaut. Die Tour geht los. Das wäre jetzt für einen großen Künstler kein außergewöhnlicher Tatbestand, aber Steve Green war gute drei Jahre lang unterwegs. Ohne festen Wohnsitz, ohne base, wie er selbst sagt.
Neil Krug
Wie auf einem anderen Planeten
Zurück in New York scheint ihm die Stadt zu rastlos, zu lärmig, zu stressig. Die andere Küste, L.A., erscheint verlockender. Er veröffentlicht mit "Migration" ein nicht nur dem Titel nach auf die Situation zugeschneidertes Album, auch das Artwork folgt der Idee.
Tipps!
Mehr gute Musik gibt es hier.
Entworfen von Neil Krug spiegelt es die Wichtigkeit des neuen Ortes, des neuen Zuhauses, wider. Berge und Täler wie Marslandschaften tauchen da auf und sind dabei aus Greens nähester Umgebung aufgegriffen.
Er postet im Rahmen der Veröffentlichung von "Migration" folgendes auf Facebook:
Was ist also Zuhause? Wo komme ich her und demnach: Wer bin ich? Nicht nur das Unverwurzelte, sondern auch private Verluste machen Simon Green zu schaffen. Die Geschichte ist spannend, und noch spannender ist ihre Umsetzung. Die Frage nach dem Suchen, Weggehen, Abwenden, vom Getriebensein.
Und die Kollaborationen...
... sind sogar noch besser als vorher
Ein Ton, eine ganz feine, kleine, hingehauchte Klaviernote. So beginnt das Album mit dem gleichnamigen Opening Track. Simon Greens mittlerweile nicht mehr nur Studiokollege, sondern sehr enger Freund, Superproduzent Jon Hopkins, hat sich da an die Tasten gesetzt und ist nur der erste der prominenten Kollaborationen auf "Migration". Schon auf "The North Borders" waren hochkarätige Vocal-Features versammelt (Erykah Badu, Grey Reverend/Cinematic Orchestra) oder Cornelia/Portico Quartet), und das wird nun fortgesetzt. Das Studio ist nicht der hypersoziale Ort, wie es vorher der Tourbus war, aber wichtige Gäste gehen nichtsdestotrotz inspirierend und unterstützend ein und aus. Darunter nicht nur der erwähnte Hopkins, sondern unter anderem auch der amerikanische Produzent Machinedrum, Leon Vynehall, mit dem Simon Green regelmäßig auflegt, oder der englische Elektro-Künstler George Fitzgerald.
Ninja Tune
"Migration" von Bonobo erscheint via Ninja Tune.
Bonobo live
Leider noch keine Konzertankündigung für Österreich - aber alle weiteren Tourdaten gibt es hier.
Schließt man kurz die Augen und überlegt, welche Stimmen zum Konzept der Rastlosigkeit, der schönen Melancholie passen könnte, tröpfelt einem ziemlich sicher „The Fall" des Indie-Duos Rhye durch die Ohren. Und tatsächlich, Mike Milosh, Sänger eben jenes Duos, leiht am zweiten und schönsten Stück auf "Migration" seine klagende, aber starke Stimme. "Break apart" ist ein hymnisches, kleines Meisterwerk. Auch "Second Sun" ist so ein entrücktes Stück, eine Traumwelt, die sich auftut. Minimalistische Soundgerüste, unterstützt von leisen Gitarrenzupfern, sanften Streichern oder dem erwähnten, schlicht-eindringlichen Klaverspiel.
"Migration" wächst von Nummer zu Nummer. Samples, die teils wirken, als wären sie direkt aus der Natur gegriffen, die mehr von Atmosphäre, von räumlichem Empfinden leben als von stringenter Melodie. Dort aber bleibt Bonobo nicht hängen. In verschiedenste musikalische Ecken schnuppert "Migration" hinein, pickt sich Inspirationen heraus, huscht weiter. House, Pop, Indie-Elektronik. Eingehüllt in dicke, wattige Synthesizerwolken. Erfahrungen seiner New Yorker DJ-Shows, die Simon Green mittlerweile perfektioniert hat, streifen ebenso durch das neue Album, aber bedeckt und unaufdringlich. Poppig wird die Platte dann, wenn Nick Murphy seine Stimme leiht ("No Reason") oder wenn R'n'B-Sängerin Brandy gesampelt wird ("Kerala").
Divers, das ist "Migration". Das Schönste sind nicht die Stücke darauf, zu denen man im Club mit den Hüften wackeln wird. Sondern die, die vom notwendigen Vorwärtsdrängen, von steter Transformation erzählen. Simon Green hat aus einem Gefühl, aus seiner momentan entwurzelten Identität, Musik gemacht. Und wegen dieser Errungenschaft ist dieses neue wahrscheinlich sein wichtigstes Album.