Erstellt am: 11. 1. 2017 - 13:03 Uhr
La-La-Liebe im Schwebezustand
Es ist kein Wunder, dass gloriose Melodramen wie der Vorjahresfilm "The Light Between Oceans" oft in einem historischen Kontext angesiedelt sind. Unsere Gegenwart, mit ihren auf Tarnung und Täuschung abzielenden Facebook-Profilen, auf eine Handvoll Emoticons reduzierten Gefühlswallungen, Tinder-Annäherungen und SMS-Trennungen, arbeitet eher gegen die Idee einer rückhaltlosen Romantik.
Film, Film, Film
Klar, so ein Befund hört sich auch gleich etwas kulturpessimistisch verstaubt an. Aber das digitale Hier und Jetzt stellt zumindest Drehbuchschreiber von Liebesfilmen vor ähnlich grobe Herausforderungen wie die Autoren bestimmter Thrillerszenarien. Smartphones und soziale Netzwerke mögen in der realen Welt untrennbar eng mit hormonellen Schüben verbunden sein und auch in tagesaktuellen RomComs eine Rolle spielen. Für Beziehungsstreifen, die auf großes Drama statt kleine Knutschereien setzen, sind sie Gift.
OK, ich verzettle mich etwas. Aber mir fällt auf, dass Hollywood auf verschiedene Weise dem platten Alltag mit seinen dazugehörigen Gadgets zu entkommen versucht. Der Golden-Globes-Abräumer "La La Land" wirkt stellenweise in einem zuckerlbunten Niemandsland angesiedelt, in dem weder Emma Stone noch Ryan Gosling Nächte vor dem Computer und Tage vor dem Handydisplay verbringen. In der Science-Fiction-Lovestory "Passengers" wiederum, die letzte Woche bereits bei uns angelaufen ist, nähern sich Jennifer Lawrence und Chris Pratt einander in der kosmischen Isolation eines riesigen Raumschiffs an.
Constantin
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Verschenktes dunkles Potential
Bevor zwischen den beiden Superstars die Funken sprühen, herrscht aber gespenstische Stille an Bord des Luxus-Raumkreuzers Avalon. Befinden sich alle 5000 Passagiere doch im künstlichen Tiefschlaf und via Autopilot auf dem Weg zu einem Kolonieplaneten. Dort herrscht weder Überbevölkerung, noch ist das Klima verseucht wie auf der Erde. Die Avalon bietet einen perfekten Neuanfang. Bis durch einen Meteoritenschauer eine der Passagierkapseln viel zu früh aufspringt.
Als der Maschinenbauingeneur Jim realisiert, dass er das ersehnte Ziel nie erreichen wird, dass er stattdessen dem einsamen Tod entgegentreibt, mit einem Roboter-Barkeeper (Michael Sheen) als einziger Gesellschaft, brennen innere Sicherungen durch. Jim zögert zwar lange, aber dann trifft er eine moralisch fatale Entscheidung. Er weckt eine junge, schöne Frau names Aurora ebenfalls aus dem Tiefschlaf auf. Natürlich verschweigt Jim der panischen Schriftstellerin seinen egoistischen Entschluss.
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Allerspätestens wenn die Aussichtslosigkeit der gemeinsamen Situation die beiden Figuren zusammenführt und Aurora sich unwissend in ihren de-facto-Mörder Jim verliebt, könnte sich "Passengers" in eine existentialistische Tragödie in outer space verwandeln.
Aber das Drehbuch von Jon Spaiht ("Prometheus") ist leider nicht in den Händen eines Denis Villeneuve oder Alex Garland gelandet. Statt einer Weltraum-Parabel voller gnadenloser Wahrheiten über das Menschsein im Angesicht nachtschwarzer Leere legt der norwegische Regisseur Morten Tyldum ("The Imitation Game") den Film überwiegend als romantische Komödie an.
In einer der offensichtlichsten Casting-Fehlentscheidungen des Jahres spielt ausgerechnet Chris Pratt den besessenen Stalker, der einer Frau die Zukunft raubt. Genau, der Sympathieträger aus "Guardians Of The Galaxy" und "Jurassic World", dessen flappsig-verblödeltes Trademark-Acting hier leider völlig daneben wirkt. Die großartige Jennifer Lawrence trifft da schon eher die richtigen dramatischen Zwischentöne. Aber sie steht in diesem Film, der sein dunkles Potential verschenkt, im wahrsten Sinn des Wortes alleine auf weiter Flur.
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Knallig und poppig, leise und intim
Während die amourösen Verbindungen von Jennifer Lawrence und Chris Pratt schon bald vergessen sein werden, dürfte ein anderes Leinwandpaar zumindest für die Millennial-Generation ikonische Qualitäten entwickeln. Emma Stone und Ryan Gosling heben in der vielleicht schönsten Szene von "La La Land" ebenfalls vom Erdboden ab. Aber nicht, weil es zu einem plötzlichen Druckverlust wie in "Passengers" gekommen wäre, sondern einfach dank ihrer eigenen Imagination - und dem Zauber des Kinos.
Genau diese pure Magie der klassischen Hollywood-Ära versucht Regie-Wunderkind Damien Chazelle anzuzapfen. Ja, ihr wisst es längst, "La La Land" ist eine Hommage an die Zeit, als "Musical" noch kein schmutziges Wort war und Gene Kelly, Judy Garland, Ginger Rogers oder Fred Astaire singend durch den Regen oder über den Regenbogen tanzten.
Der Film ist zwar in der Gegenwart angesiedelt, wie ein typischer Stau auf den Stadtautobahnen von Los Angeles in der Anfangssequenz klarmacht. Aber er spielt auch in einem zuckerlbunten Niemandsland, in dem besagtes Verkehrschaos gleich eine entfesselte Tanzsequenz auslöst.
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Natürlich ist so ein Unterfangen eine überaus schwierige Angelegenkeit. Schließlich lässt sich die (vermeintliche) Unschuld und Naivität der Postkarten-Vergangenheit nicht einfach gefiltert in die abgeklärt-zynische Postmoderne retten. Weil Damien Chazelle aber - und das ist die beste Nachricht - kein neuer Baz Luhrmann ist, versucht er es nicht krampfhaft mit rastloser Hysterie und plakativer Rundum-Überwältigung.
"La La Land" ist zwar knallig und poppig, aber gleichzeitig auch oft leise und intim. Und statt erstickender Dauerperfektion, die die meisten zeitgenössischen Musicals so unerträglich macht, setzt der Film auf Indie-Attitude und klitzekleine Brüche, auch in den charmanten Gesangsstimmen der beiden Hauptdarsteller, die sich angenehm vom Castingshow-Schrecken unserer Dekade abheben.
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Verbissener Kampf für Retro-Seifenblasen
Filmstart
"La La Land" kommt am 13. Jänner 2017 in unsere Kinos
Ich könnte jetzt weiterschwärmen über den Konsensfilm schlechthin, über die fantastische Choreografie oder die wunderbare Melancholie der Schlüsselsongs, die ich mir gerade beim Schreiben dieses Textes auf Repeat anhöre. Und klarerweise möchte man beide Hauptdarsteller gleich heiraten, die hinreißende Frau Stone, die schon bei Woody Allen und in "Birdman" so faszinierte und den charmanten Herrn Gosling, der von "Drive" bis "The Nice Guys" nur Bonuspunkte einsammelte bei mir.
Aber da ist, nicht ganz vernachlässigbar, die Story von "La La Land". Diese Geschichte zweier Traumtänzer in der Albtraumfabrik, die in ihren Gedanken im Golden Age verweilen und in der Realität ihre Körper und Kreativität an die Maschinerie verkaufen, sie hinterlässt einen seltsamen Nachgeschmack. Vor allem Goslings Figur, der Jazzpianist Sebastian, existiert in einem unauflösbaren Widerspruch zwischen verklärter Nostalgie im Kopf und der rauen Wirklichkeit.
Anstatt mit diesem Zwiespalt produktiv umzugehen, klammert sich Damien Chazelle aber mit festem Griff an den American Dream: Du musst nur an dich glauben und bereit sein alles zu opfern, dann wirst du es schaffen. Der Regie-Shootingstar, das wird vor allem im Zusammenhang mit seinem Vorgängerfilm, dem beinharten Drummer-Leidensepos "Whiplash" klar, entpuppt sich als Fürsprecher aller notorischen, puristischen, verbissenen Streber, die für ihr Ziel die Liebe und das Leben hintenanstellen.
Constantin
Ob man soweit geht und gleich neoliberalen Leistungsterror aufblitzen sieht, ist diskutierenswert, aber zumindest ambivalente Emotionen bleiben nach dem formal bestechenden Werken von Chazelle zurück. Bedenkt man jetzt noch, dass sich die Visionen, für die seine Helden kämpfen, als reine Retro-Seifenblasen entpuppen, hält der Schwebezustand, in den einen "La La Land" versetzt, nicht lange an. Dann landet man auch als Romantik-Junkie und Los-Angeles-Liebhaber doch wieder rasch auf dem Erdboden.