Erstellt am: 11. 1. 2017 - 13:23 Uhr
The daily Blumenau. Wednesday Edition, 11-01-17.
#fußballjournal17
The daily blumenau hat im Oktober 2013 die bisherige Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
Hier eine heute in FM4-Reality Check getroffene Einschätzung der FIFA-Expansion
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Und das wäre eine mögliche, nur so aus dem Handgelenk geschüttelte Gruppen-Einteilung einer WM von 2026...
A: USA, Russland, Irak
B: Deutschland, Senegal, Costa Rica
C: Argentinien, Schweiz, Kamerun
D: Niederlande, Côte d'Ivoire, China
E: Spanien, Ghana, Peru
F: Wales, Ecuador, Iran
G: Belgien, Ägypten, Honduras
H: Portugal, Japan, Canada
I: Brasilien, Irland, Usbekistan
J: Serbien, Paraguay, Panama
K: Chile, Türkei, Haiti
L: Italien, Australien, Algerien
M: Uruguay, Polen, Marokko
N: Frankreich, Nigeria, Südkorea
O: Kolumbien, Tschechien, Tunesien
P: Mexico, Kroatien, Neuseeland
Der zuletzt von Skandalen gebeutelte Fußball-Weltverband FIFA, mit 211 Mitgliedern (und über 200 Nationen, mehr als die UNO) der am breitesten aufgestellte globale Verbund überhaupt, versucht sich neu zu positionieren. Gestern etwa mit dem Beschluss die WM von 32 auf 48 Teilnehmer aufzustocken.
Neben der strategischen Komponente (die neue Führung um Gianni Infantino will wiedergewählt werden und hat bei der one-member-one-vote-Regel nun die Symphatien aller kleinen Verbände) ist dieser move auch einer philosophische (Diversifizierung, Erweiterung, Globalisierung) Grundhaltung geschuldet und schielt auch auf die Zukunftsmärkte in Asien und Afrika.
Ist die Aufstockung nun böse, weil die FIFA per se böse ist und voller Hintersinn steckt?
Bedeutet diese Erweiterung eine qualitative Verwässerung, wird sie in einem organisatorisches Desaster enden?
Oder ist die aktuelle öffentliche und mediale Gegenwehr wieder einmal eine eurozentristische Überreaktion?
Im Folgenden der Versuch einer Entwirrung der von fake news, preconceptions und Aufgeregtheit bereits recht zerfransten Debatte.
1: die ökonomischen Rahmenbedingungen
Daran, dass die FIFA-WM ein riesenhaftes Geschäft ist, bei dem einzelne Player (Regierungen, Wirtschafts-Lobbies, Oligarchen etc) ordentlich Gewinn machen und Umwelt/Anrainer nicht nur in autokratischen Ländern auf der Strecke bleiben, regionale/nationale Budgets gesprengt werden und so der Steuerzahler (ökonomisch gesehen) aufräumen muss, ändert sich kaum etwas.
Im Gegensatz zu einem Turnier mit 32 Teilnehmern und 64 Spielen in etwas mehr als vier Wochen wird eine 48er-WM (80 Spiele, wohl 5 Wochen) nur mehr von infrastrukturell gut ausgestatteten Ausrichtern veranstaltet werden können. Südafrika, Chile, Schweden oder die Schweiz, wohl auch Katar, könnten das nicht mehr stemmen; Brasilien war bereits am Anschlag. Im Wesentlichen kommen so nur mehr große europäische Länder (Frankreich stieg 2014 mit Gewinn aus), aufstrebende Asiaten (China ist ein Kandidat) oder Zusammenschlüsse in Frage. Für 2026 etwa (also nach Trump) werden sich wohl Kanada, die USA und Mexico gemeinsam bewerben.
Die gepimpte WM schützt also eher kleinere Nationen/Verbände, die sich übernehmen könnten, und wird sich an den großen Playern orientieren. Im Gegensatz zu Kontinental-Turnieren wie der Euro, für die sich etwa die Türkei bewirbt.
2: die Übertragungs-Situation
Die WM existiert nur, wenn sie im globalen Fernsehen (oder künftig auf anderen Bewegtbild-Kanälen) stattfindet. Bis dato konnte die FIFA von den 64 Spielen nur 56 als Live-Spiele vermarkten - weil ja die jeweils letzten Gruppenspiele zeitlich parallel angesetzt werden mussten. Das fällt bei den 3er-Gruppen weg. Die Zahl der verkaufbaren (und wertvollsten) Echt-Live-Spiele steigt also nicht um 16, sondern um 24.
Mit vier täglichen Spielen in Gruppen-Phase sowie dem neu eingezogenen Sechszehntel-Finale kriegt man das Turnier in knapp 5 Wochen hin und kann jedes einzelne Match live anbieten/vermarkten. Und erstmals seit 1982 kriegen die Konsumenten/Fans die Chance alle Matches live zu sehen.
PS: Demnächst wird die FIFA - nach dem Vorbild des IOC - ohnehin einen eigenen 24/7-Kanal anbieten.
PPS: letztlich tilgt Infantino mit seiner Reform die Schande, die auch Österreich über den internationalen Fußball gebracht hat.
3: die Mehrbelastung für die Spieler
Für den einzelnen Spieler wird sich kaum etwas ändern. Es braucht weiterhin 7 Matches um ins Finale zu kommen. Statt bisher drei Gruppenspiele und danach den Einstieg mit dem Achtelfinale gibt es künftig nur nur zwei Gruppenspiele und danach eine Round of 32.
Bei 16 Gruppen sind jeweils (zumindest) drei Tage Spielpause aufgelegt.
Das ist wichtig um die mächtigen europäischen Vereins-Verantwortlichen nicht zu verärgern.
Allerdings werden insgesamt (weil ja 16 Nationen mehr teilnehmen) mehr Spieler belastet, die im Regelfall allesamt bei guten (europäischen) Vereinen spielen. Andererseits scheiden wiederum 16 Nationen nach nur zwei Matches (und also geringerer Belastung) wieder aus.
4: Was kann der neue Modus?
Es gab ja noch eine zweite Idee für einen 48er-Modus. Dass nämlich 32 Teilnehmer in einer Vorrunde um 16 Plätze spielen sollten, die sie neben 16 fix qualifizierten in ein klassisches 32er-Turnier spülen sollten.
Die Vorstellung, dass man sich zwei, drei Jahre lang in einer Qualifikation abmüht, um dann nach einem Vorrunden-Match wieder abzureisen, ist ein wenig abwegig und hinterlässt wohl zu viel Frust.
Insofern ist die Idee mit den 16 Dreier-Gruppen deutlich besser. So kommen alle Teilnehmer auf zumindest zwei echte WM-Spiele, in denen sie alle Chancen auf ein Weiterkommen haben (bisher hatten schon einige Drittrunden-Spiele nur noch Goldene-Ananas-Charakter) und 32 der 48 Teilnehmer kriegen auch noch ein drittes Match, sogar ein echtes K.O.-Duell.
Mit fünf Ausscheidungs-Runden bis ins Finale wird die WM fast schon zum Tennis-Turnier. Und da ist auch der Knackpunkt: um zu verhindern, dass sich durch eine freie Auslosung einander schon im Achtelfinale Top-Teams gegenüberstehen, wäre eine (wie im Tennis) präzise Setzung (nach Weltrangliste) sinnvoll.
Das kann (selbst wenn die Gruppensieger alle einen Zweiten bekommen) immer noch zu Überraschungen ohne Ende führen, sorgt aber für eine Verdichtung in eine hochklassige Viertel/Halbfinal-Phase.
5: Kommt jetzt Fiji - Liechtenstein?
Die Annahme, dass eine Aufstockung um 16 Nationen eine sportliche Verwässerung nach sich zieht, erzählt mehr über europäische Unkenntnis des Weltfußballs als über die Realität.
Nehmen wir an, dass sich aus Europa wie bisher 13 Teams, zb Frankreich, Portugal, Deutschland, England, Spanien, Belgien, Kroatien, Italien, Schweiz, Tschechien, Wales, die Niederlande und Polen qualifiziert haben. Die drei bis fünf zusätzlichen Plätze würden dann an Russland, Serbien, Dänemark, Schweden, Ungarn, Irland, Rumänien, Slowenien, Bosnien, Ukraine, Türkei, Norwegen oder gar Österreich gehen.
Südamerika wird 6 oder eher 7 Teilnehmer stellen: auch kein Problem wenn es sich um Argentinien, Brasilien, Chile, Uruguay, Kolumbien, Ecuador, Paraguay oder Peru handelt.
8 oder doch 9 afrikanische Starter? Ägypten, Algerien, Elfenbeinküste, Ghana, Kamerun, Marokko, Nigeria, Südafrika, Tunesien, Gabun, DR Congo, Mali, Sambia, Senegal. Nur zur Erinnerung: 2006 in Deutschland waren mit Togo und Angola zwei Außenseiter dabei, die trotzdem anständige Figur machen konnten.
Bis zu 7 Verbände aus Nord/Mittelamerika & Karibik? USA, Mexiko, Kanada, Costa Rica, Honduras, Panama, Trinidad und Tobago oder Jamaica wären allesamt Bereicherungen (und waren das bereits bei vergangenen 32er-Turnieren).
Neuseeland wird sich bei Ozeanien (1 Fixplatz) durchsetzen, Australien startet bekanntlich beim asiatischen Verband und wird dort einen der 8 Startplätze belegen. Daneben werden Mannschaften aus Japan, Südkorea, China, Irak, Iran, Saudi-Arabien, Usbekistan, Vereinigte Arabische Emirate, Bahrain, Katar, Jordanien oder Nordkorea zum Zug kommen. Da kann das eine oder andere schwache Team dabei sein - so wie bisher bei jedem großen Turnier eben auch zwei, drei Verbände Mannschaften entsandt haben, die beschämende Leistungen boten.
Für Liechtenstein und Aserbeidjan, für Fiji und Nepal schaut es weiterhin schlecht aus.
Die Panik vor Exoten, die die WM überrollen, ist ein enger Nachbar der Panik vor fremdländisch aussehenden Flüchtlingen, die Europa überschwemmen - also ein gefühltes, postfaktisches, sehr europäisches Gefühl.
Fazit
Im Gegensatz zu den Kollegen von ballverliebt.eu, die in ihrem Podcast
eher sarkastische Töne anschlagen und die negativen Seiten hervorstreichen, kann ich - eher wie die Kollegen von 90minuten.at nicht allzu viele ernsthafte Verschlechterungen wahrnehmen. Es sei denn die FIFA verbockt ihre Reform noch durch schlechte Detailarbeit, zb bei strittigen, aber zentralen Punkten wie einem Penalty-Shoot-out bei Gruppenspiel-Remis - sowohl bei den Kollegen von abseits.at als auch hier beim FIFA-Experten Jens Weinreich Thema.
Und dabei ist die prozentuelle Steigerung der ÖFB-Chancen auf eine Turnier-Teilnahme noch gar nicht mitgedacht.
Im Gegensatz zu der tatsächlich zu aufgeblähten 32er-Euro des letzten Jahres ist durch die deutlich zurückgefahrene Gruppen-Phase und deutlich mehr Ausscheidungs-Matches weniger Leerlauf möglich.