Erstellt am: 9. 1. 2017 - 13:22 Uhr
FM4 Schnitzelbeats #11: "Hotel zur Einsamkeit"
Am 8. Jänner 1935, also vor 82 Jahren wurde Elvis Presley in Tupelo, Mississippi geboren. Der King of Rock ’n’ Roll feierte im Jahr 1953 sein Debüt als Recording Artist, als er bei der Sun Record Company für preiswerte $3.98 erste Demos als Geburtstagsgeschenk für seine Mutter Gladys einspielte. Eine löbliche Geste, wie auch ein lohnendes Investment. Der Rest ist gewissermaßen Geschichte: Der Rock ’n’ Roll eroberte das Publikum im Sturm und entwickelte sich zur wesentlichsten Jugendkultur der späten 1950er Jahre.
FM4 Schnitzelbeats
Sonntagnachts im FM4 Soundpark und anschließend für 7 Tage im FM4 Player
Elvis gab nie ein Konzert in Österreich. Allerdings war Bill Haley hier. Sein erstes Wien-Konzert fand im Oktober 1958 statt und wie sich Zeitzeugen erinnern, war die Show erwartungsgemäß ausgekocht und überzeugend. Gleichzeitig lief die ganze Sache, im Gegensatz zu anderen Metropolen der Welt, relativ harmlos ab: Keine Jugend-Unruhen auf den Straßen der Stadt, keine brennenden Autos, noch nicht einmal zerschmetterte Sitzplätze im Wiener Konzerthaus waren zu beklagen. Dabei hätte eine sichtbare Initialzündung halbstarker Teenager-Gegenkultur der kleinen Kulturnation Österreich wohl ganz gut getan und schleppende Pop-Entwicklungen der kommenden Jahre essentiell beflügeln können. Doch es ist, wie es ist.
Insgesamt ließe sich der österreichische Rock ’n’ Roll als Genre der vergebenen Chancen subsumieren. Entwicklungen internationaler Popmusik erfuhren im Alpenland der späten 1950er und frühen 1960er Jahre kaum mediale Aufmerksamkeit und wurden seitens der kommerziellen Musikindustrie nur selten für wert befunden, auf Schallplatten konserviert zu werden. Dass dennoch Tonträger eines unkommerziellen heimischen Rock ’n’ Roll-Movements existieren, ist oftmals allein dem Zufall geschuldet.
Die FM4 Schnitzelbeats widmen sich heute den ersten österreichischen Aufnahmen auf den Spuren von Elvis Presley.
Trash Rock Archives
Voice-O-Graph
Die Erkundung von relevanten Artefakten lässt uns einmal mehr in obskuren Gewässern fischen. Die Gründe liegen auf der Hand: Brauchbare infrastrukturelle Einrichtungen für heimische Teenage-MusikerInnen abseits des Mainstreams waren in den 1950er Jahren weitgehend noch nicht geschaffen. Wer sich tatsächlich zum Rock ’n’ Roller berufen fühlte, musste folglich ungewöhnliche Wege gehen - in etwa so, wie bei unserem ersten Beispiel. Der hier ausgewählte Tonträger im 6-Zoll-Format ist ein Einzelstück - 1 Stück! - aus dem Jahr 1959 und entstand in einem öffentlichen Recording Booth der Firma Voice-O-Graph. Das technische Prinzip dieser mittlerweile in Vergessenheit geratenen Tonaufzeichnungskabinen ließe sich mit dem Ablauf eines Passbildautomaten vergleichen: Nach Münzeinwurf ging ein Licht an und gab dem Benützer die Möglichkeit, sich innerhalb von zwei Minuten mit einem akustischen Gruß an Freunde und Verwandte zu verewigen. Simultan wurde im Inneren des Apparats der produzierte Klang auf einen 6-Zoll großen Vinyl-Rohling geschnitten. Was auch immer während der Aufnahmezeit geschah oder in die Hose ging, wurde auf Schallplatte dokumentiert. Eine Momentaufnahme für kommende Generationen.
Ob der namenlose junge Wiener, der auf vorliegender Voice-O-Graph-Platte zu hören ist, einer jungen Frau imponieren wollte? Einer gewissen Carolin? Oder ob er einfach nur Lust darauf hatte, sich selber auf einem Tonträger singen zu hören? Wir werden es wohl nie erfahren. Allerdings können wir mit einiger Sicherheit davon ausgehen, dass es keine gute Idee war, einen Freund in die Kabine mitzunehmen, der sich über ihn lustig machte, während die Lampe gerade leuchtete und die Recording Session lief. Neben alkoholgeschwängerten Lachausbrüchen distanziert sich der unbekannte Sänger jedenfalls mehrmals von der anwesenden Begleitperson mit dem emphatischen Ausdruck der Desillusion: "Oaschloch".
Die Ted Herold-Coverversion "Carolin (Darf ich nicht Dein Boyfriend sein?)" ist vielleicht eine der rauesten und sogar punkigsten Aufnahmen, die wir in diesem Radio-Format bisher gespielt haben. Gleichzeitig versinnbildlicht das seltene Einzelstück - man kann es nicht of genug sagen: tatsächlich nur 1 Stück! - die Ankunft des Rock ’n’ Roll in der österreichischen Teenager-Peripherie. So eindrucksvoll, dass man es mit eigenen Ohren gehört haben sollte. Eine Welt-Uraufführung steht ins Haus.
Trash Rock Archives
Harmona 3D
Der Teenage-Sänger Robert Rausch alias Robert Benett zählte zu den schillerndsten österreichischen Recording Artists der ausklingenden 1950er Jahre. Geboren 1935 (wie auch Elvis), war der stimmgewaltige Niederösterreicher einer der ersten, die es hierzulande mit Rock ’n’ Roll-Covers ins Radio schafften: "Secretly", "Diana", "Love letters in the sand", "All shook up" und letztlich auch "Baby I don't care", das wir in Benetts deutschsprachiger Fassung als "Sag' wieso" ausgewählt haben. In seiner kurzlebigen Karriere durchlief der junge Entertainer Engagements bei einigen namhaften österreichischen und deutschen Plattenfirmen der späten 1950er, bevor er sich 1962 überraschend ins Privatleben verabschiedete. Vor wenigen Tagen wurde Robert Benett übrigens 82 Jahre alt. Happy Birthday an den österreichischen King of Rock ’n’ Roll!
Trash Rock Archives
Discoclub
Den Tausendsassa Ferry Graf sollte man stets auf der Rechnung haben, wenn man sich auf österreichische Ausnahmekünstler der 1950er Jahre beruft. Graf war charmant und gut aussehend. Zudem konnte er tanzen, singen und swingen wie ein Weltmeister. Ja, sogar jodeln hatte der Rock ’n’ Roller im Portfolio. Mit einem Wort: Ein voll-ausgestatteter Entertainer alpiner Unterhaltungsmusik. Arrangiert wurde vorliegende Aufnahme vom berufenen Orchesterleiter Will Fantel, dessen bedrohlich swingende Beatnik-Jazz-Klangwelt der Nummer noch den letzten Feinschliff verpasste. Erschienen ist die intensive Elvis-Coverversion von "Heartbreak Hotel" übrigens im Jahr 1958 - deutschsprachiger Rock ’n’ Roll jener Ära hat selten so anrüchig geklungen.
FM4 Schnitzelbeats
Sonntagnachts im FM4 Soundpark und anschließend für 7 Tage im FM4 Player
Unsere Erkundungsreise endet nun im "Hotel zur Einsamkeit", wo wir uns mit übelriechenden Spirituosen benebeln, immer wieder dieselben Abschiedsbriefe lesen und uns in letzter Konsequenz über Fotos aus glücklichen Tagen in den Schlaf weinen.
Digatone/Konkord
Dreiste Eigenwerbung: Weiterführende Informationen und Tonbeispiele zum Thema finden sich auf der LP/CD-Zusammenstellung "Schnitzelbeat Volume 1", die im Jahr 2013 von den Trash Rock Archives kompiliert und veröffentlicht wurde.