Erstellt am: 7. 1. 2017 - 06:00 Uhr
Ein Schinken für Experten
Über die Feiertage ist endlich Zeit für fette Schinken. Dabei denken wir weniger ans Essen als vielmehr an dicke Wälzer. An Bücher, die mindestens 500 Seiten haben und in die man so richtig reinkippen kann. Besonders aktuell und empfehlenswert ist der türkische Klassiker "Die Haltlosen" von Oguz Atay.
CC
"Die Haltlosen" ist 1972 als Debütroman von Oguz Atay erschienen und hat ihn mit gerade mal 36 Jahren zu einem der wichtigsten Autoren der türkischen Geschichte gemacht. Atay ist nur sieben Jahre später im Alter von 43 Jahren verstorben. Sein Werk übt weiterhin einen großen Einfluss auf die türkische Literatur aus. Die "haltlosen" Protagonisten wie Selim Isik und Turgut Özben sind inzwischen zu beliebten Pseudonymen im Internet geworden.
Und um bei fetten Schinken zu bleiben - der fast literarische Dialog neulich an der Wursttheke...
Na was hom denn Sie do?
"Die Haltlosen" von Oguz Atay
Wie viele Seiten hat des?
786
Wie schwer ist das?
Etwas mehr als ein Kilo.
Worum geht’s?
FM4 Buch
Viele fette Schinken
Der Titel erklärt es eigentlich ziemlich gut. Es geht um haltlose Menschen - den Bauingeneur Selim Isik, der Selbstmord begangen hat und um seinen guten Freund Turgut Özben, ebenfalls Bauingeneur, der nach dem Suizid Selims in eine tiefe Krise stürzt. Die Beziehung mit seiner Frau läuft schlecht und auch von den Kindern entfremdet sich Turgut.
Er wird selbst zum Haltlosen. Turgut macht sich auf die Suche nach den Spuren Selims und schreibt eine Biografie seines Freundes. Die ist eine Reise durch die türkische Gesellschaft der 1970er Jahre und die globale Literatur- und Philosophie-Geschichte. Eine Art Enzyklopädie der Haltlosen.
Warum ist das Buch so dick?
Atay nimmt sich viel Zeit für die Innenwelt seiner haltlosen Charaktere. Und er geizt nicht mit seinem gewaltigen Wissen und seinen Vorlieben für unterschiedliche Genres: Theater, Tagebuch, Gesänge, Brief, Autobiografie. Alles kommt hier vor.
Binooki Verlag
Ab wann ist man drin?
Entweder ab der ersten Seite oder nie. Denn das Buch erfordert Aufmerksamkeit, die sich aber lohnt. Mit tiefen Einblicken in die Seelen der Haltlosen und mit Atays Humor. Insofern ist der Roman auch ein Abbild der heutigen Türkei: komplex, manchmal verwirrend, aber eigentlich immer verdammt spannend.
Dürft ich vielleicht a Kostprobe haben?
Hier eine Stelle, in der Turgut beginnt im Tagebuch seines verstorbenen Freundes zu blättern. So ergeht es vermutlich auch den LeserInnen dieses großen Romans:
"Wie soll ich deinen Tod ertragen, wenn ich dich auf diesen Seiten leben sehe? Zeige mir einen Weg, mit diesem Schmerz fertig zu werden. Er umklammerte sein Handgelenk und drückte mit aller Kraft zu. Ich muss lesen. Ich muss zum Kern der Sache vordringen, so schmerzlich es auch für mich sein mag."
Na. Des taugt ma – können S' mir gleich einpacken.