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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

4. 1. 2017 - 16:41

2017 und das Kino brennt (1)

Trio Infernal: Eine kleine virtuelle Plauderei über kommende filmische Ereignisse.

CHRISTIAN: Da sitzen wir also wieder, Sebastian Selig, Christoph Prenner und meine Wenigkeit. Kaum sind alle cineastischen Rückblicke halbwegs verdaut, stürzen wir uns gemeinsam in das kommende Kinojahr. Schwärmen, diskutieren, parlieren, putschen unsere gemeinsame Vorfreude auf filmische Ereignisse am Horizont. Diesmal allerdings mit bewussten selbstauferlegten Beschränkungen. Anstatt einen auch nur vagen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, widmen wir uns nur ausgewählten Streifen, von denen wir uns besonders viel versprechen.

CHRISTOPH PRENNER schaut sich immer wieder mal gern Sachen im Kino oder Fernsehen an, über die er sich dann in den schönsten Fällen in Periodika wie SKIP, Wiener oder Prime Time (R.I.P.) buchstäblich freut.

CHRISTOPH: Nachdem uns beim Durchforsten der üppig wuchernden Filmstartlisten vor lauter generisch gezimmerten Multijahresfranchises gleich mal wieder die Augen zugefallen sind, wollen wir uns hier wirklich nur auf potentielle echte Glanzlichter einfreuen. Wobei unter dem halben Dutzend heuriger Comic-/Superhero-Auswürfe aber immerhin das erste eigene Film-Abenteuer von "Wonder Woman" für eine angemessene Dosis Euphorie sorgen könnte. Nicht zuletzt, weil es so gut eineinhalb Dekaden nach "Monster" wieder mal eine Kinoarbeit der famosen Patty Jenkins geben wird.

SEBASTIAN SELIG lebt im Kino und schreibt darüber online ausschweifende Erlebnisberichte, u.a. auch für so aufregend bunte Magazine wie Hard Sensations, NEGATIV oder Deadline.

SEBASTIAN: "Wild", "Evolution", "Toni Erdmann“, "American Honey" - schon 2016 kamen ja beinahe alle wirklich tollen, neuen Kinofilme von Frauen. Das darf jetzt gerne immer so weitergehen. Ganz besonders in dem bislang zu weiten Teilen ja eher pubertär verklemmten, groß-budgetierten Superhelden-Genre. Patty Jenkins traue ich hier durchaus zu, mit "Wonder Woman" ein göttliches neues Role Model ins Kino zu wuchten.

CHRISTIAN: Man wird sehen, wieviel von der Vision dieser wirklich tollen Indie-Regisseurin im Multimillionen-Kontext übriggeblieben ist, ich hörte da einige Gerüchte. Aber grundsätzlich bin ich bester Dinge. Wonder Woman, deren Auftritte im sträflich unterschätzten, von uns dreien aber geliebten DC-Epos "Batman v Superman: Dawn Of Justice" ein absolutes Highlight waren, lässt auch mich ungeduldig auf ihren Soloauftritt warten. Der Trailer hat die perfekte Mischung aus dunklem Pathos und Camp-Gespür, Gal Gadot ist wahrlich eine toughe Göttin und ich mag auch die Szenen mit Chris "Captain Kirk" Pine darin gerne. Mal abgesehen von dem großartigen 80er-Metal-Musikthema, das die Auftritte der Amazonenprinzessin stets einleitet.

Blaues Mondlicht und rote Zukunftswüste

"Kong: Skull Island"
Es gibt auch vielversprechende Franchises. Nach dem furiosen Comeback von "Godzilla" anno 2014 plant der Warner-Konzern eine Megamonster-Saga. King Kong, endlich befreit von Remake-Fesseln, wird dabei als nächstes ins heftige Rennen geschickt. Samuel L. Jackson, Brie Larson und Tom Hiddleston begegnen einem Affengott, der den Atem stocken lässt. Fragt sich nur, wovon sich der größte Kong aller Zeiten auf seiner Totenkopfinsel ernährt? (CF)

SEBASTIAN: Lasst uns auf dann ins satte Blau eintauchen. "Moonlight", der mit dem Frühling hitzig und farbenprächtig in unseren Kinos aufschlagen wird, hat ja international nicht nur wegen seiner prachtvollen Inszenierung und dem wunderschönen Kinoplakat bereits einiges an Liebe erfahren. Nun knallt er bald auch in unseren Kinos auf. Was erwartet ihr von Barry Jenkins‘ viel gelobtem Wuchtwerk?

promo/Moonlight

CHRISTIAN: "Moonlight", diese Geschichte eines jungen schwulen Afroamerikaners, der zwischen seiner cracksüchtigen Mutter und einem Dealer als Vaterfigur pendelt, wird tatsächlich auch schon als Oscar-Kandidat gehandelt. Ich gebe zu, mein Interesse an dem Film wurde etwas durch Bret Easton Ellis gedämpft. Der Autor betreibt ja einen Podcast, in dem sehr spannende Auseinandersetzungen mit dem Kino stattfinden. Und in einer der letzten Episoden startete Ellis eine kleine Tirade gegen "Moonlight". Als Homosexueller, meinte er, finde er den gehypten Film unerwartet bieder, verklemmt und auf fast schon kitschige Weise politisch korrekt. Aber Bret Easton Ellis muss natürlich nicht recht haben und auch er lobte die grelle visuelle Ebene als herausragend.

"The Beguiled"
Sofia Coppola hat ein Remake von Don Siegels verträumtem Bürgerkriegs-Epos gedreht, in dem ein Soldat (damals: Clint Eastwood, jetzt: Colin Farrell) in einem Mädchen-Internat von den dortigen Schülerinnen und Lehrerinnen in Stücke gerissen wird. Mit Nicole Kidman, Kirsten Dunst und "Neon Demon" Elle Fanning. (SE)

CHRISTOPH: Aber ja, der gute Bret gibt ja gern mal den aufwühlerischen Advocatus Diaboli in solch vermeintlichen Konsensangelegenheiten. Was ja auch ganz erfrischend und unterhaltsam ist, wenngleich auch nur eher selten wirklich treffsicher. So oder so freu ich mich jedenfalls, dass der feine Charismatiker Mahershala Ali, der doch schon in "House of Cards" und "Luke Cage" für die besten Momente zuständig war, nun auch seinen Platz im Rampenlicht bekommt – und eventuell bald ja sogar einen dieser gefragten Goldjungen.

SEBASTIAN: Neben dem thematischen Ballast ist kraftvolles Kino ja immer noch viel mehr eine Frage von magischem, ungreifbar bleibendem Licht - und jenes, welches hier, durch den Mond gebrochen, bereits in dem wundervollen Trailer von "Moonlight" an den Strand fällt, knallt mir direkt ins Herz. Ich bin und bleibe gespannt.

"Dunkirk"
Neuland für Christopher Nolan, gleichsam echte Erdung nach seinen letzten eineinhalb Dekaden in vielfältigen Sci-Fi-Fantasy-Comic-Universen. Ein genuiner Kriegsfilm ist angesagt, gebaut rund um die Operation Dynamo im WWII, eine waghalsige Evakuierung von 300.000 Menschen aus der Stadt Dünkirchen. Mit Tom Hardy, Kenneth Branagh und Harry Styles (ja, der!) an der Front und den ersten Bildern nach zu urteilen wohl mehr als nur ein bissl David Lean im Geiste. (CP)

CHRISTIAN: Ich reihe mich jetzt mal in die Legionen von Filmfans in aller Welt ein, die "Blade Runner 2049" mehr als entgegenfiebern. Das ganze Gerede von einem Genrekino-Heiligtum, das mit dem Sequel nun geschändet wird, halte ich nicht nur prinzipiell für überzogen. Anbeter des Originals sollten spätestens mit der Verlautbarung des Regisseurs verstummen. Denis Villeneuve gehört seit "Sicario" und spätestens "Arrival" zu den ambitioniertesten Künstlern im Kommerzdschungel. Dass der große Roger Deakins hinter der Kamera steht, auf reale Sets statt CGI-Bauten gesetzt wurde und Ryan Gosling im elegischen Teaser wie aus "Drive" entlaufen wirkt, all das freut mich ungemein. Und ich hoffe auf einen Generationskonflikt der Replikantenjäger Gosling und Harrison Ford, der auch etwas über unsere Gegenwart erzählt und über die Zeit, die seit dem Originalfilm vergangen ist.

CHRISTOPH: Angefangen beim tollen "Incendies" über "Prisoners" bis hin zu den von dir erwähnten Streifen hat dieser Denis Villeneuve derzeit wirklich einen der berauschendsten Läufe der jüngeren Filmgeschichte. Als einer, der mit Aplomb und Finesse Genre-Gängigkeiten immer wieder neu kalibriert und dabei immer das garantiert größte Glück raushaut. Und nichts deutet darauf hin, dass sich das mit seinem ersten Auftritt in der Big-Budget-Liga ändern wird. Für mich eine absolute Bestbesetzung für eine im Prinzip alles andere als unheikle Aufgabe.

"Annihilation"
Alex Garland, schon als Autor ein Toptyp ("The Beach", "28 Days Later") setzt seine Regiekarriere nach dem fantastischen Sci-Fi-Drama "Ex Machina" fort. Und schnappt sich als dystopische Vorlage den genialen Roman "Auslöschung". Darin stolpert eine Gruppe von Wissenschaftlerinnen durch ein mysteriöse, abgesperrte Waldzone. Natalie Portman und Jennifer Jason Leigh treffen auf das bedrohliche Unbekannte. (CF)

CHRISTIAN: Sebastian, du hast doch die Filmstudios in Budapest besucht, wo "Blade Runner 2049" zum Großteil gedreht wurde?

SEBASTIAN: Ja, ich hatte tatsächlich das unglaubliche Glück den Ort besuchen zu dürfen, an welchem wohl tatsächlich in größtmöglich CGI-freiem Sinne, die von giftigen Schneetreiben umwehten Bauten der Zukunft aufgerichtet wurden. Dort waren alle Beteiligten, mit denen ich sprach, in höchstem Maße auch ganz besonders von Harrison Ford beeindruckt, dessen Part im neuen "Blade Runner 2049", so hörte ich, wohl deutlich mehr Raum einnimmt, als ein ja auch möglich gewesener, größerer Gastauftritt. "Arrival" noch frisch im Blut, bin ich zudem fest davon überzeugt, da besteht wirklich einiger Grund zur Hoffnung, zumal inzwischen ja schon bekannt wurde, dieser dunkle Trip ins Jahr 2049 wird mit einer "R-Rated"-Altersfreigabe ganz auf ein erwachsenes Publikum zielen und sich wohl eher nicht bei den Fanboys anbiedern. Gut so.

Dunkle Türme und windige Flüsse

CHRISTOPH: "Der Mann in Schwarz floh durch die Wüste, und der Revolvermann folgte ihm." Mit diesem Satz, den man ohne weiteres auch über den sandstaubigen ersten Trailer zu "Blade Runner 2049" legen könnte, wuchtete Stephen King 1982 sein Opus Magnum, den "The Dark Tower"-Zyklus, in unsere Welt. Über drei Jahrzehnte hat sich der Schreckensfürst an acht zugehörigen Romanen abgearbeitet – und dabei eine episch und episodisch erzählte Großgeschichte geschaffen, eine wilde Sci-Fi-Horror-Western-Fantasy, die eine derartige Ausuferung anhaftet, dass sie im gründlichst bewegtbildbearbeiteten Schaffen von King bisher eine echte, weil hartnäckig adaptionsresistente Ausnahmestellung einnahm.

"Song To Song"
Same Procedere As Every Year: Man weiß bei Terrence Malick nie so recht, ob etwas kommt, worum es gehen wird und wer vom Superstar-Cast im Final Cut noch mit von der Partie sein darf. Und doch versetzt uns hier die Aussicht auf einen neuen Streich des Regisseurs stets von Neuem in purstes Verzücken. Im Quasi-Begleitstück zu "Knight Of Cups" sollen nun u. a. Ryan Gosling, Michael Fassbender und Rooney Mara durch ein Szenario aus sexuellen Obsessionen und Rock’n’Roll traumwandeln. (CP)

CHRISTIAN: Jetzt hat es aber doch geklappt ...

CHRISTOPH: Ja, so scheint es. Der Däne Nikolaj Arcel dürfte im Gegensatz zu J.J. Abrams und Co. offenbar den rechten Dreh raushaben. Mit einem Ansatz, der zugleich als werkgetreue Umsetzung wie auch als Sequel zur Story funktionieren soll und einer Besetzung, die mit Idris Elba und Matthew McConaughey in den zentralen Rollen auch echte Gravitas im Spielbetrieb eingebaut haben dürfte, könnte dieser Saga bei richtiger Handhabung ein sehr langes und aufregendes Leben beschieden sein – nicht zuletzt durch die bereits fixierte fortführende TV-Serie. Was für mich als einer der eher mutigeren Moves im aktuellen Majorstudio-Betrieb durchgeht.

The Dark Tower

Sony

The Dark Tower

SEBASTIAN: Mir bereitet so eine Kinofilm-/TV-Serie-Kombination Bauchweh. Ich habe keine Lust darauf im Kino zu sitzen und dann auch dort nur dem lediglich aufs Anfüttern abzielenden Erzählstil von Serien anheim zu fallen. Gerne folge ich dem Mann in Schwarz in die Wüste, aber dann will ich dort auch unter Geiern landen und ohne Aussicht auf ständiges Weitererzählen schmerzvoll intensiv und bildgewaltig enden. Dann will ich Kino, kein Fernsehen.

CHRISTOPH: Ohne zu weit, auch spoilermäßig, vorgreifen zu wollen, kann ich da jetzt nur einwenden, dass so ein Procedere für die zahlreichen Seitenerzählstränge hier schon sinnvoll sein kann, so man sich nicht durch eine Handvoll inhaltlich hoffnungslos überladener Kinofilme kämpfen möchte. Sehe das Seriending also eher als lustvolle Leinwandergänzung – zumal die zentrale Geschichte ja bei entsprechendem Erfolg wohl so oder so in den obligatorischen Film-Sequels weiterhin gut aufgehoben sein dürfte.

CHRISTIAN: Ich kenne ja die Bücher nicht und kann mich dem ganzen unbefangen nähern, es hört sich aber alles gut an, auch die Gegenspieler Elba und McConaughey. "The Dark Tower" ist aber nicht die einzige ambitionierte Stephen-King-Verfilmung heuer oder?

IT

New Line

"It"

CHRISTOPH: Stimmt, es wird ergänzend dazu spannend zu beobachten sein, ob das "It"-Remake des Horrorhandwerkers Andres Muschietti einige der von King konsequent eingewirkten Querverbindungen zwischen den Geschichten aufgreifen wird. So oder so scheint mir diese Neuauflage terminlich viel zu geschickt in die von "Stranger Things" in unser aller Herzen hinterlassene Lücke geparkt worden zu sein, als dass man sich da besonders viel Sorgen um ein gutes Gedeihen machen müsste.

CHRISTIAN: Scheint, dass wir uns überhaupt wenig Sorgen um dieses Kinojahr machen müssen. Ich freue mich auf die baldige Fortsetzung dieses Gesprächs!