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Barbara Köppel

Durch den Dschungel auf die Bühne des Lebens.

8. 1. 2017 - 11:17

Ein Fetter Schinken des Verzichts

Intrigen, Sex und Hunger. T.C. Boyle erzählt, was passiert, wenn man vier Frauen und vier Männer in ein riesiges Terrarium einschließt, um eine neue Welt zu erschaffen.

Fette Schinken

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Über die Feiertage ist endlich Zeit für fette Schinken. Dabei denken wir weniger ans Essen als vielmehr an dicke Wälzer. An Bücher, die mindestens 500 Seiten haben und in die man so richtig reinkippen kann.

Zum Jahresanfang erscheint nun das neueste Werk des schreibwütigen Thomas Coraghessan Boyle, in dem von fast nichts anderem als von Fleischesgelüsten die Rede ist.

Um also bei fetten Schinken zu bleiben - hier der fast literarische Dialog neulich an der Wursttheke:

Porträt T.C. Boyle

Martin Prechelmacher, Wikipedia

Na was hom denn Sie do?
"Die Terranauten" von T.C. Boyle, in der deutschen Übersetzung von Dirk van Gunsteren.

Wieviele Seiten hat des?
608.

Wie schwer ist das?
Nicht ganz so schwer wie ein neugeborenes Ferkel. Knapp ein Kilo.

Worum gehts?

Buchcover "Die Terranauten" von T.C. Boyle. In einer Waldlandschaft vor einer Hütte steht eine Figur im Weltraumanzug.

Hanser Verlag

"Die Terranauten" erscheint heute in der Übersetzung von Dirk van Gunsteren im Hanser Verlag.

Um Ecosphere 2, kurz E2, und seine BewohnerInnen. Vier Frauen und vier Männer lassen sich in eine künstliche Atmosphäre unter einer riesigen Glaskuppel mitten in der Wüste von Arizona einschließen, um eine neue, sich selbst erhaltende Welt zu erschaffen. Das Ökosystem besteht aus Regenwald, Ozean, Anbauflächen, ein paar Ställen für Schweine, Ziegen und Hühner sowie einem menschlichem Habitat inklusive jeder Menge Technik. Dort sollen die Terranauten zwei Jahre lang überleben. "Nichts rein, nichts raus", lautet das Motto, und Ziel ist es, den Prototyp für geschlossene Lebensräume zu gestalten, die eines Tages zu fremden Planeten fliegen und die Menschheit vor dem Untergang durch den Klimawandel retten könnten.

Heute erinnert das stark an Elon Musks Marsmission, zumal das Projekt auch im Roman von einem wissenschaftlich interessierten Milliardär finanziert wird. Tatsächlich ist dieses Experiment bereits Anfang der Neunziger Jahre in Oracle, Arizona durchgeführt worden - und weil T.C. Boyle schon lange weiß, dass in den Chronikspalten die besten Geschichten stehen, baut er vieles aus den damaligen Presseberichten ungeniert ein.

Das Biosphere-2-Gelände in Oracle, Arizona. Eine Glaspyramide und ein Kontrollzentrum vor einer Berglandschaft

Johndedios - Wikipedia

Am Biosphere-2-Gelände in Oracle, Arizona werden heute noch wissenschaftliche Forschungen durchgeführt. CC BY 3.0

Warum ist das Buch so dick?
Weil die Handlung aus drei verschiedenen Perspektiven erzählt wird. Da ist zum einen Dawn, die hübsche Nutztierwärterin, die sich ganz der E2-Ideologie verschrieben hat. Sie wird vom charismatischen Ramsay, dem Kommunikationschef der Terranauten-Crew, schwanger. Ein Großteil des Buches widmet sich daher der Frage, ob sie das Kind innerhalb des geschlossenen Systems bekommen kann. Ramsay macht gute Miene zum bösen Spiel und ist trotz großer Reden von Liebe und Teamgeist stets sich selbst am nächsten. Zuletzt ist da noch Dawns beste Freundin und Feindin Linda. Nachdem sie zu ihrem Leidwesen nicht für die Mission ausgewählt wurde, spioniert sie für das Kontrollzentrum.

Ab wann ist man drin?
So richtig erst nach etwa 100 Seiten, als sich die Luftschleuse der Glaskuppel hinter den acht Terranauten schließt. Zuvor beschreibt Boyle akribisch die Gruppendynamik und der große Showdown erfolgt auf den letzten 60 Seiten.

Gibt’s da auch Längen?
Leider ja. Nach dem Einschluss im März muss man bis Weihnachten durchhalten, bis Dawn und Ramsey endlich miteinander schlafen. Wie in einer Soap Opera wartet man nur darauf, dass es endlich passiert, weil bei allen ständig davon die Rede ist. In der Zwischenzeit hat man alles über das Verhalten von Galagos gelernt, afrikanischen Primaten, die besser als Buschbabies bekannt sind, und weiß, wie oft die Wasserfilter überprüft werden müssen und wie weit die Sauerstoffsättigung sinken kann, bevor es wirklich kritisch wird.

Sonst noch irgendwas, was ich wissen muss?
Boyle illustriert auch eindrücklich den Sektencharakter der ganzen Mission. Der Visionär, der E2 erdacht hat und leitet, wird von allen nur "Gottvater" genannt. Er hat zudem ein Faible für Theaterstücke, die er von den Terranauten zu besonderen Anlässen aufführen lässt, darunter auch "Geschlossene Gesellschaft" von Jean-Paul Sartre.

Dürft ich vielleicht a Kostprobe haben?
"Die Leute begriffen nicht, was das Besondere an E2 war: Es war eine mögliche Welt, und die Absicht war, sie im Laufe von hundert Jahren nach und nach so zu verändern, dass es eine ideale Welt sein würde. Das Konzept der Artenpackung zielte darauf ab, festzustellen, welche Spezies eine Nische finden und überleben würden, und zu erforschen, auf welche Weise sie zum Ganzen beitrugen. (...) Je mehr ich darüber nachdachte, desto klarer wurde mir, dass das menschliche Element für das Experiment von entscheidender Bedeutung und so willkürlich wie jeder andere Faktor war."

Na. Des taugt ma - können S' mir gleich einpacken.