Erstellt am: 2. 1. 2017 - 11:58 Uhr
FM4 Schnitzelbeats #10: "Die letzte Melodie"
FM4 Schnitzelbeats
Sonntagnachts im FM4 Soundpark und anschließend für 7 Tage im FM4 Player
Scheiden tut weh. Wenn es aber darum geht, einem Jahr Lebewohl zu sagen, das uns große HeldInnen entrissen, gleichzeitig Trump, Brexit und beinahe auch Hofer gebracht hat, sind die Tränen womöglich schneller wieder getrocknet, als der Silvesterrausch anhält. Ungeachtet dessen bergen die FM4 Schnitzelbeats heute wieder Perlen heimischer Popgeschichte. Drei obskure Tonbeispiele mit großer Botschaft und eindringlichem Duktus: Lieder zum Ausklang, Lieder zum Abschied, Lieder vom Ende. Farewell 2016!
Trash Rock Archives
Rex Roval/1980
Der Songwriter und Multiinstrumentalist Lothar Steup wurde 1931 in Wien geboren. Schon als Teenager spielte er bei der überregional bekannten Tanzband The 5 Hawaii Boys, bevor er eine langjährige Karriere als Wienerliedsänger startete, u.a. als Mitglied der beliebten Heurigen-Formation Die 3 Grinzinger. In den späten 1970ern legte Steup einen Zwischenstopp in der Welt des Pop ein, als er mit der Show-Combo The Five Gentlemen die bizarre Endzeit-Ballade "Die letzte Melodie" aufnahm. In eine Klangkulisse aus Donnergrollen, Pedal-Steel-Gitarren, Jahrmarktorgeln und verhallten Männer-Chören eingebettet, teilt der Tausendsassa Steup – in schönster Spoken-Word-Manier – Lebensweisheiten über das Dasein und den Tod. Wer eines Tages die letzte Melodie hört, muss Abschied nehmen von der Welt. Wer hingegen "Die letzte Melodie" hört, kann sich an einem zeitlos kuriosen, hinreißend kitschigen Juwel ur-österreichischer Provenienz erfreuen.
Trash Rock Archives
Privatveröffentlichung/1980
Die Wienerlied-Sängerin Trudy Marchand (alias Judy Marchart) betrieb seit den frühen 1960er Jahren eine Heurigenschenke im 19. Wiener Gemeindebezirk. Ihr ausgelassenes Temperament und ihr stets humorvoller Umgang mit ihren Gästen machte die Gastronomin über die Jahre zu einer lokalen Berühmtheit. Prominenz aus Funk und Fernsehen frequentierten ihr Lokal und es sollte nicht lange dauern, bis auch die lokale Musikindustrie auf sie aufmerksam wurde. Mit einschlägig frivolem Songmaterial debütierte Trudy Marchand schließlich in den späten 1970er Jahren und sang im breitesten Wienerisch Heurigen-Nummern wie "Wann I in Saft geh, kräul I wie der Mundl", "Schaut’s mi ned so deppert an", "Lieber Schorsch, geh in Orsch" oder gar "I möcht a Puffmutter wer’n". Vorliegende Aufnahme entstand im Jahr 1980, begleitet von dem, mittlerweile in Vergessenheit geratenen Alleinunterhalter Maximilian Resch und dessen Electronic-Cordovox-Heimorgel: "Jeder Abschied ist schwer". Ein dreifaches Hoch auf die Wirtin.
Trash Rock Archives
Aero Sound/1973
Der Wiener Musikproduzent, Journalist und Hobby-Pilot Rocky F. Holicke erblickte im Jahr 1949 als Leopold Altgrübl das Licht der Welt. Die ersten Aufnahmen als Sänger regionaler Beat-Bands entstanden bereits Mitte der 1960er Jahre, blieben aber unveröffentlicht. Erst 1973 platzte der Knoten, als er sein eigenes Indie-Label gründete: Aero Sound. Die erste Veröffentlichung der kleinen Plattenfirma sollte gleichzeitig Rocky F. Holickes einziges Vermächtnis als Solo-Musiker an die Nachwelt bleiben. Das hypnotische Psychedelic-Rock-Meisterwerk "Ready for take off" ist möglicherweise der absolute Albtraum eines jeden Aviophobikers, also den Menschen mit Flugangst, gleichzeitig der zu Musik gewordene Lebenstraum des exzentrischen Außenseiters Holicke: Die Welt verlassen und über den Wolken fliegen, frei sein und irgendwo da oben verrecken.
FM4 Schnitzelbeats
Sonntagnachts im FM4 Soundpark und anschließend für 7 Tage im FM4 Player
Damals in einer limitierten Auflage gepresst und nur im engsten Freundeskreis vertrieben, entwickelte sich die 7"-Single in den letzten Jahren zu einer äußerst kostspieligen Angelegenheit und stellt in der Retrospektive einen der intensivsten Momentaufnahmen des heimischen Beat-Band-Movements dar. Wir verneigen uns vor dem visionären Wunderkind Rocky F. Holicke und beenden das Jahr mit "Ready for Take-Off".
2017 kann also schon mal kommen…