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Ali Cem Deniz

Das Alltagsmikroskop

26. 12. 2016 - 15:24

Ein Kriegskind in Österreich

Süleyman erhält im Therapie-Zentrum Hemayat psychologische Betreuung. Das hilft ihm, die Vergangenheit zu bewältigen und die Gegenwart zu meistern.

„Ich bin eigentlich ein Kriegskind“, sagt Süleyman. Er ist einer von vielen afghanischen Kriegskindern. Als Jugendlicher hat ihn der Afghanistan-Krieg aus seiner Heimat vertrieben. Zunächst in den Iran.
Seit Jahrzehnten fliehen Afghanen aus ihrer Heimat ins Nachbarland. Zuerst war es die Besetzung durch die Sowjets in den 1980er Jahren, dann durch die Amerikaner im Rahmen des „War on Terror“, der Millionen Menschen heimatlos gemacht hat. Heute leben laut UNHCR knapp eine Millionen Afghanen im Iran – viele von ihnen sind betroffen von Armut, Ausbeutung und Diskriminierung. Das iranische Innenministerium schätzt die Zahl sogar auf drei Millionen.

Hemayat

Radio FM4 / Clemens Fantur

In Begleitung der Erinnerungen

Für die meisten afghanischen Jugendlichen ist der Iran kein sicherer Ort. Viele nutzen das Nachbarland deswegen als Zwischenstopp. Sie arbeiten unter schlimmsten Bedingungen, sparen etwas Geld und versuchen dann über die Türkei nach Europa zu gelangen.

Süleyman ist in Österreich gelandet. Die Gewalt und den Krieg hat er hinter sich gelassen. Die Erinnerungen blieben jedoch und Süleyman musste sich erneut vor Gewalt fürchten. Dieses Mal ging sie von ihm selbst aus. Der Jugendliche begann sich selbst zu verletzen. „Ich war ratlos. Ich konnte mich im Deutschunterricht nicht mehr konzentrieren. Ich war eigentlich überall zerstört“ sagt Süleyman.

Neuer Mut

Im Wiener Therapie-Zentrum Hemayat erhalten Flüchtlinge psychologische und psychotherapeutische Betreuung. Der Verein wurde 1995 gegründet und ist heute zur wichtigen Adresse für viele Flüchtlinge geworden. Hier können sie erlebte Gewalt, Folter- und Kriegserfahrungen verarbeiten. Auch Süleyman hat bei Hemeyat Hilfe gefunden.

„Die Therapeutin hat mir Mut gemacht und es hat mir wirklich geholfen. Ich bin jetzt eigentlich ganz anders“, sagt Süleyman, der seinen Deutschkurs abschließen und eine Lehre als Installateur anfangen konnte. Wie viele Flüchtlinge unter ähnliche Problemen leiden, zeigt ein Blick auf die Warteliste von Hemeyat: 400 Menschen warten derzeit auf eine Therapie.

Süleyman hat nicht nur bei Hemeyat Unterstützung bekommen. Er hat mehr als zwei Jahre bei einer österreichischen Familie gelebt. Eine ehrenamtliche Patin hat ihm geholfen in Österreich zurecht zu kommen. Und auch in der Berufsschule lief es gut – bis zu diesem Jahr.

Zwischen Solidarität und Diskriminierung

War der Sommer 2015 noch von Solidarität und der sogenannten Willkommenskultur geprägt, hat sich die Stimmung spätestens nach der Silvester-Nacht in Köln verändert. Eine Veränderung, die Süleyman im Schulalltag spürt. Er wird in Gruppenarbeiten ausgeschlossen, die Lehrer und Lehrerinnen reagieren ungeduldig auf seine Fragen und er wird als Ausländer beschimpft, sagt Süleyman. Auch diese Erlebnisse verarbeitet er in den Gesprächen mit seiner Therapeutin.

Aufgeben wird das Kriegskind Süleyman nicht. Ganz im Gegenteil, er gibt sich mehr Mühe und arbeitet mit Eifer, um selbstständig zu werden. „Mein größter Wunsch ist es die Lehre abzuschließen, damit ich eine ordentliche Arbeit habe und mein Leben weiterführen kann.“

FM4 für Licht ins Dunkel

FM4 unterstützt in diesem Jahr im Rahmen von Licht ins Dunkel die Therapie von Kindern und Jugendlichen bei Hemayat. Mit euren Spendengeldern können Therapiegruppen (Psychotherapie, Kunsttherapie) für Kinder und Jugendliche sowie therapeutische Sportgruppen für traumatisierte Jugendliche finanziert, sowie ein Kindertherapieraum eingerichtet werden. Alle Spendenmöglichkeiten findest du hier.