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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

27. 12. 2016 - 05:27

Ein fetter Schinken im Speckmantel

Doppelte Böden sind eingebaut: Silke Scheuermann zeigt in "Wovon wir lebten", wie der Hase Leben laufen kann.

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...und weitere fette Schinken ausgesucht von der FM4-Literaturredaktion gibt es hier.

Über die Feiertage ist endlich Zeit für fette Schinken. Dabei denken wir weniger ans Essen als vielmehr an dicke Wälzer. An Bücher, die mindestens 500 Seiten haben und in die man so richtig reinkippen kann. Da liegt Silke Scheuermanns "Wovon wir lebten" ganz oben am Stapel.

Und um bei fetten Schinken zu bleiben - der fast literarische Dialog neulich an der Wursttheke...

Ein Bub in Badehose befindet sich im Sprung in der Luft. Das ist das Buchcover zu Silke Scheuermanns Roman "Wovon wir lebten"

Schöffling

Silke Scheuermann: Wovon wir lebten. Schöffling, 2016.

Na was hom denn Sie do?
"Wovon wir lebten" von Silke Scheuermann

Wie viele Seiten hat des?
528

Wie schwer ist das?
Fast ein halbes Kilo!

Worum geht’s?

Um Marten Wolf. Der Ich-Erzähler ist zu Beginn des Romans elf und sofort schließt man ihn ins Herz, weil er an die Buben aus Wolfgang Herrndorfs Bestseller „Tschick“ erinnert. Auch Martens Mama hat ein Alkoholproblem. In fünf Kapiteln, die Zeitsprünge markieren, wird Marten in Deutschland erwachsen und ein beliebter Fernseh-Koch. Das ist kein Spoiler, denn in seinem Privatleben spielt sich so viel mehr ab.

Warum ist das Buch so dick?

Weil die Autorin Silke Scheuermann Situationen treffend und mit Verve die Entwicklung eines Mannes beschreibt.
Eigentlich wäre dieser Marten Wolf Teil der „Normalbevölkerung“, die sein Vater so sehr preist. Aber irgendwas ist immer. Ob ein Kaninchenmord oder Drogenkurierdienste, so einfach ist das Leben nicht. "Es ist wie in einem dieser Filme, in denen außerirdische Wesen von Leuten Besitz ergriffen haben, und die sehen dann bloß noch so aus, als wären sie die alten."

Ab wann ist man drin?

Die erste Seite zieht einen sofort rein. Da liegt Martens Mutter reglos im Schilf und ein anderer Bub hält sie für tot. Silke Scheuermann macht in dieser Passage klar, dass sie nicht schwafelt, sondern erzählt.

Die Autorin Silke Scheuermann hat lange Haare

Paul Englert

Silke Scheuermann schreibt auch Lyrik. Und für die ist sie immer wieder ausgezeichnet worden. "Wovon wir lebten" ist ihr vierter Roman.

Gibt’s da auch Längen?

Nicht wirklich. Bemängeln könnte man einzig, dass sich gegen Ende die Moral von der Geschicht’ bemerkbar macht.

Sonst noch irgendwas, was ich wissen muss?

„Wovon wir lebten“ ist keine bemühte Milieustudie, sondern gute Unterhaltung. Eine der ersten Kurzgeschichten von Silke Scheuermann ist in der Anthologie „20 unter 30“ erschienen, darin waren auch Geschichten von Juli Zeh, Franziska Gerstenberg und Sasa Stanisic. Eine Klasse für sich.

Dürft ich vielleicht a Kostprobe haben?

„Der Winterhimmel ist von einer schier unbegreiflichen Schwärze; geheimnisvoll, still, unendlich. Vor dieser Nicht-Farbe muss man keine Angst haben. Sie ist nötig, damit man die Sterne so gut sehen kann, wie wir es jetzt tun: einzelne, funkelnde Punkte, die sich zu Bildern gruppiert haben.
Und auf einmal, während ich neben Stella am Fenster stehe und einzelne Flocken vom Himmel rieseln, weiß ich, was ich will.“

Na. Des taugt ma – können S' mir gleich einpacken.