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Lukas Tagwerker

Beobachtungen beim Knüpfen des Teppichs, unter den ihr eure Ungereimtheiten kehrt.

24. 12. 2016 - 12:04

Kurz gegen Südwind?

Nach einem abschiebungskritischen Artikel streicht das Außenministerium dem Monatsmagazin Südwind die Fördermittel.

Gletscherschmelze?

Rohstoffabbau?

Die UN-Erklärung der Rechte Indigener Völker?

Globale Zusammenhänge außerhalb der Schlagzeilen-Filterbubble bleiben in heimischen Medien oft Randnotizen.

Das österreichische Magazin Südwind erreicht mit seinen Berichten über internationale Politik, Kultur und Entwicklung monatlich circa 20.000 LeserInnen und ist damit ein Unikat zwischen PublicRelations - Postille, Wirtschaftsbeilage, Zeitschrift und Fachjournal.

1979 mit finanzieller Förderung des Außenministeriums gegründet, hält die dreiköpfige Südwind-Redaktion Kontakt mit über 100 KorrespondentInnen rund um den Globus.

In der aktuellen Ausgabe schreibt der Afrikanist Dominic Johnson z.B. über den Ausnahmezustand in Äthiopien und ein Schwerpunkt reflektiert Handwerk im digitalen Zeitalter.

Der Chefredakteur des Südwind-Magazins Richard Solder könnte zufrieden in die Weihnachtsferien fahren. Doch er sitzt etwas zappelig im Café Rüdigerhof und bemüht sich die Contenance zu bewahren.

Südwind-Magazin-Cover

Südwind

Ausgaben Juli - Dezember 2012

Solder berichtet von einem Treffen mit einer freundlichen Diplomatin des Außenministeriums. Die Art und Weise wie das Außenministerium - mittels outgesourcter Agentur ADA - versucht, das Südwind-Magazin ruhig zu stellen, ist dem Chefredakteur so peinlich, dass er sich anstrengen muss, cool zu bleiben.

Diplomatisch ein Monatsmagazin killen - wie geht das?

Hand mit Schild: Stop Deportation

Südwind

Südwind-Illustration zum inkriminierten Artikel

Die Südwind-Ausgabe vom Juni 2015 war anders als bisherige Ausgaben. Der Auftakt-Artikel einer neuen Rubrik informierte darüber, was Flugzeugpassagiere tun können, wenn sie bemerken, dass ein Mitreisender zur Abschiebung gezwungen wird.

Die Entwicklungsagentur des Außenministeriums ADA habe "sehr heftig" auf den Artikel reagiert, sagt die stellvertretende Südwind-Chefredakteurin Irmgard Kirchner. Es folgten eine Anzeige beim Staatsanwalt wegen §282 StGB - "Aufforderung zu mit Strafe bedrohter Handlung", die Androhung der Kündigung des Fördervertrages und die Aufforderung einer Distanzierung vom Artikel durch die Redaktion.

Die Distanzierung der Südwind-Redaktion erscheint auf der rechten Netzplattform unzensuriert.at unter dem Titel Förderskandal: Kurz finanziert Anleitung gegen Abschiebung.

Im Parlament fragt die FPÖ den Außenminister:

  • Seit wann wurde das Südwind-Magazin in welcher Höhe durch welche Budgetposten gefördert?
  • Wie viele syrische Flüchtlinge hätten mit diesen Geldern in jordanischen, libanesischen oder türkischen Lagern versorgt werden können?
  • Haben Sie Anweisung gegeben, die Förderungen für das Magazin umgehend einzustellen?
  • Wenn nein, warum nicht?

Sebastian Kurz listet in seiner Antwort rund 230.000 Euro an jährlichen Fördermitteln für die Monatszeitschrift auf, betont einerseits die entwicklungspolitische Inlandsarbeit als "wichtige Aufgabe" zur "sachlichen Bewusstseinsbildung" und urteilt andererseits grundsätzlich: "Der Inhalt des Artikels entspricht nicht den Grundsätzen der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit."

Südwind Cover

Südwind

Ausgaben Juni 2015 (rechts unten) bis Mai 2016 (links oben)

Im September 2016 stellt die FPÖ im Parlament eine Anfrage an den Justizminister um alles über "Täter", "strafbare Handlungen" und "Strafverfahren" im Zusammenhang mit dem 12-Sätze langen Südwind-Artikel zu erfahren.

Justizminister Wolfgang Brandstetter antwortet: die Staatsanwaltschaft hat nicht einmal ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, da in dem Artikel "lediglich zu Protestmaßnahmen aufgerufen wurde, die nicht als mit Strafe bedrohte Handlung qualifiziert werden konnten."

Der Kriminalisierungsversuch ist gefloppt.

Das reguläre Förderansuchen des Magazins wurde vor zwei Monaten dennoch erstmals seit 37 Jahren abgewiesen. Das Südwind-Magazin, dessen Bildungsinhalte zu globalen Zusammenhängen Eingang in Schulbücher und 2016 auch in Zentralmatura-Beispiele fanden, steht jetzt vor dem Aus.

Hat der kurze Artikel, der nicht Sebastian Kurz' Grundsätzen entspricht, etwas mit den gestrichenen Fördermitteln zu tun?

"Ich glaube nicht, dass das in einem Zusammenhang steht." sagt eine Sprecherin der ADA, die nicht namentlich genannt werden will. Die Rechtsabteilung der ADA habe gesagt, man solle das Südwind-Magazin aufgrund des EU-Beihilferechts aus der Förderung herausnehmen.

Der Südwind-Anwalt nennt diese Vorgangsweise "rechtwidrig" und "Willkürakt". Das Magazin erfülle die im österreichischen Entwicklungszusammenarbeitsgesetz festgeschriebene Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit, auf die Artikel 106, Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union anzuwenden sei.

Ein Insider aus dem Außenministerium hält den Vorwand des EU-Beihilferechts für "Diskussionsverweigerung". Die Verantwortlichen würden sich nicht inhaltlich mit der Blattlinie des Südwind-Magazins auseinandersetzen wollen und zeigten ein bedenkliches Verständnis von Pressefreiheit.

Der wahre Hintergrund sei ein aktueller Ministerratsbeschluss. Demnach soll die künftige Entwicklungszusammenarbeit an die Bedingung sogenannter Rückübernahmeabkommen geknüpft werden: Länder des globalen Südens, mit denen Österreich EZA-Projekte realisiert, sollen Einreisepapiere für Österreichs Schubhäftlinge produzieren.

Sebastian Kurz

APA/HANS KLAUS TECHT

Datum-Magazin, Wirtschaftsblatt, Népszabadság - 2016 war kein leichtes Jahr für Print-Information. Immerhin, das Datum-Magazin ist wieder zurückgekehrt.

Der Entfall von 230.000 Euro ist fürs Südwind-Magazin existenzgefährdend. Die Redaktion hat eine offene Petition an Sebastian Kurz eingerichtet:
Herr Bundesminister, retten Sie das Südwind-Magazin!

Auf seine Frage, wie es mit dem Südwind-Magazin weitergehen solle, erzählt Chefredakteur Richard Solder, habe die freundliche Diplomatin des Außenministeriums ihm ins Gesicht gelächelt und wortlos mit den Schultern gezuckt.

Bei der ADA ist die Rede von "partnerschaftlichem Dialog".