Erstellt am: 23. 12. 2016 - 14:38 Uhr
Sadcom, Science-Fiction, Sinnsuche
Rewind 2016
Der FM4 Jahresrückblick
Es war das beste Jahr des Fernsehens. Wie immer: Ausgesiebt, abgewogen und gereiht, vieles Gutes ist haarscharf aus der Liste gekippt. Eine Liste ist eine Liste.
20. Westworld
HBO
Science-Fiction und Existenzphilosophie: Was macht den Menschen zum Menschen? Noch nicht ganz angekommen.
19. The Get Down
Ein farbenprächtiges Musical über die Entstehung des HipHop, das es mit der Historie nicht so genau nimmt und lieber die Kunst, die Liebe, die Ekstase der Nacht feiert.
18. Fleabag
BBC Three
Phoebe Waller-Bridge taumelt durch London. Ein Hadern zwischen Sex, Liebe, Familie und Job, zwischen Comedy und Verzweiflung. Ein modernes, ein verwirrendes Leben.
17. Marvel’s Luke Cage
Die beste Marvel-Serie bislang. Ein Held, der freilich keiner sein will, eine topsolide Crime-Story, erzählt in Cognac-Tönen, begleitet von großartigem Soundtrack.
16. The OA
Der große Spalter: Alberner Eso-Kitsch oder fremdartig frische Erzählform? Beides - und super-addictive.
15. Better Things
FX
Pamela Adlon erzählt uns gemeinsam mit Homie und Co-Erfinder Louis C.K. in knappen Episoden vom Älterwerden im Show-Biz, vom Straucheln, vom Frau-Sein, vom Mutter-Sein.
14. High Maintenance
Ein namenloser Drogen-Kurier cruist auf seinem Fahrrad durch New York und beglückt die unterschiedlichsten Bewohner der wilden Stadt mit Rauchwaren. Weniger Serie als vielmehr eine Verkettung voneinander unabhängiger Kurzfilme.
Hipster, Künstler, Möchtegern-Künstler, Späthipster, Hippies, Studenten. Mit kleinen Andeutungen ausgerollte Geschichtchen über die komische Welt und die Menschen, die in ihr leben.
13. Better Call Saul
Die Sinnkrise und die Zerknirschung, die einem die Familie zufügen kann. Der schmale Grat zwischen guter Absicht und den Privatbedürfnissen. Ein gelber Hummer.
12. Horace and Pete
Louis C.K. bereitet sich selbst, Steve Buscemi und einer Reihe herausragender Nebendarsteller die kleine Bühne. Ein minimalistisches Kammerspiel, ein abgefilmtes Theaterstück, Dialoge für die Ewigkeit, Drama, die Traurigkeit einer leeren Bar.
11. Unbreakable Kimmy Schmidt
Dass die Grundidee vom großherzigen Mädchen, das sich nach Jahren in unterirdischer Gefangenschaft in der großen Stadt zurechtfinden muss, recht anfällig für schnelle Abnutzung sein dürfte, war abzusehen.
In Staffel 2 hat die emotionale Tiefe etwas gelitten, dafür ist die Witzdichte noch einmal gestiegen. Nach wie vor lustig wie kaum etwas sonst: "I don't get pissed off, I get pissed ON".
10. The Girlfriend Experience
Starz
Die Neuerfindung der Idee "Erotik-Thriller", auf die niemand mehr gewartet hat. Man soll sich von dem Titel und dem anfänglichen gehörigen Nerv-Potenzial nicht abschrecken lassen.
Eine junge Frau jongliert Studium, Internship in einer großen Kanzlei und den Job als High-End-Escort-Girl. Beklemmung, Überraschung, kalter Schweiß. Eine im Fernsehen nach wie vor selten gesehene Bildsprache, harte Schnitte, unvermittelt abreißende Plotfäden. Kubrick, Bergmann, Nouvelle Vague im Eiskasten. 100 Shades of Grey.
9. Insecure
"Insecure" vibriert vor Energie. Es ist eine kleine, funkelnde Show, in der nicht viel passiert. Das Leben von Menschen um die 30, der Job und das Suchen nach Spaß und so etwas wie vielleicht Erfüllung.
Die von Hauptdarstellerin Issa Rae entwickelte HBO-Comedy verhandelt bekannte Plotmuster unter neuem Blickwinkel, mit neuem Licht und ist dabei nicht weniger als die breitenwirksame Geburtsstunde eines Stars.
8. Baskets
FX
Zach Galifianakis als verträumter – und schon auch unsympathischer – Clown, der seinen Job als delikate Kunst verstanden wissen will und dann doch bloß als Tollpatsch beim Rodeo landet.
Die Nebenfiguren leuchten: Martha Kelly als unscheinbare "beste Freundin" Martha, Sabine Sciubba als Ehefrau Penelope, Louie Anderson als Mutter Christine Baskets: "I miss the Reagans". Schauplatz Bakersfield als trostlose Stadt, deren größte Sehenswürdigkeiten Fastfood-Restaurants und ein Multiplex-Kino sind.
7. Stranger Things
Der Blockbuster der Herzen. You know it. Hat irgendjemand "Stranger Things" nicht gesehen? Liebevoller Sciene-Fiction-Pastiche und am Gemüt rührende Freundschaftserzählung in allen Farben. Ein Haufen Kids, der die Welt erobert hat.
6. Quarry
Seltsam, dass diese fiebrige Noir-Neudeutung nicht höhere Wellen geschlagen hat. Spannend, dynamisch, hypnotisch zähflüssig. Technisch sauber ausgemessen und fesselnd. Das Leben ist ein langer, ruhiger Fluss, manchmal kommen Stromschnellen.
5. Rectify
Sundance Channel
Ein letztes Mal quält sich der einstige Death-Row-Insasse Daniel Holden durch die schweren Tage Georgias. Es gibt kurze Momente des Staunens und des kleinen Glücks. Ein unfassbares Ensemble, ein versöhnliches Ende in den goldensten Tönen. Many rivers to cross, wirklich angekommen werden wir nie sein.
4. Atlanta
FX
Blassgrauer Sozialrealismus und surrealer Klamauk in merkwürdiger Umarmung. Erfinder und Hauptdarsteller Donald Glover streunt mit seiner Gang durch die Randzonen Atlantas und des HipHop-Business, gerade mal so mäßig erfolgreich.
Traum-hafte Sequenzen mischen sich mit beiläufig trockenem Wortwitz und großem Quatsch. Justin Bieber als Afroamerikaner, ein unsichtbares Auto, eine Couch: das Leben als wundersamer Wartesaal.
3. Search Party
TBS
Eine bislang tatsächlich unbekannte Note: Eine Gang von selbstverliebten, egozentrischen New Yorker Hipstern macht sich auf die Suche nach einer vermissten jungen Frau, die einst eine irgendwie vage Bekannte gewesen ist. Motor der Mission ist jedoch weniger echte Empathie als vielmehr der Umstand, dass man dem Leben ja irgendeinen Sinn geben muss und sich ein bisschen bedeutsam vorkommen will.
Noir-Thriller trifft Indie-Comedy, "Girls" trifft "Die drei ???" trifft David Lynch trifft das Bizarro-Comic "Like A Velvet Glove Cast in Iron" von Daniel Clowes.
2. BoJack Horseman
Netflix
Tristesse und Humor in perfekter Verschraubung. In Season 3 noch einen Tick zwingender als in Staffel 2. Kurz scheint es gut zu laufen für unseren abgehalfterten Star. Der Absturz ist dann umso schmerzhafter. Davor aber noch: Eine nahezu komplett dialogfreie Unterwasser-Episode und das längste Drogen-Abenteuer aller Zeiten. Stars, they come and go.
1. The Americans
FX
Nach leichtem qualitativem Nachlassen in Staffel 3 ist Season 4 wieder beyond. Farbmatter Spionage-Thriller und ausgefuchstes Familiendrama. Was soll man wollen dürfen? Ideologie und Emotion. Zerrüttung, Zweifel, ein Abschied. Martha steigt ins Flugzeug. Die besten Musik-Montagen, nie bescheiden aufgetragen. Ein Leben under pressure.