Erstellt am: 23. 12. 2016 - 16:00 Uhr
"Zusammen ist es wärmer"
"Schwer dass man es eindeutscht", schreibt Robert Neumann im Vorwort zur deutschen Übersetzung seines Romans "Children of Vienna" und er denkt laut nach, was aus den Hauptfiguren geworden sein könnte. 1946 im Original auf Englisch erschienen, tun sich in der Fiktion sechs Kinder in einem Keller zusammen, inmitten eines chaotischen Nachkriegslandes, zwischen zerbombten Häusern.
Die Andere Bibliothek
"Mit was hast du sie zugedeckt? Mit Papier?" - "Das ist die Zeitung von voriger Woche", sagt Curls. "Begräbnisspielen." Hebt das Blatt auf, liegt darunter ein Girl so winzigklein, mit einem Gesicht, so groß man glaubt der Mond.
Das "Kindl" ist die jüngste und kleinste. Die anderen kümmern sich um das abgemagerte Mädchen und um einander. Da ist ein Bub mit blonden Löckchen, der "Besitzer" ihres Verstecks, die junge Ewa, die sich prostituiert, mit ihrer Freundin, die ihre Ansichten vom BDM hat, und Goy, bei dem Jid eine Vergangenheit bei den Werwölfen vermutet, nachdem der ein Messer zückt. Und Jid, der jüdische Waise und KZ-Überlebende, /"dreizehn, klein wie zehn, mit Augen ungeglänzt wie ein Mann von fünfunddreißig oder fünfundfünfzig", der stiehlt und die anderen zu beschützen versucht. Wie sich die verlorenen Kriegsopfer durchschlagen und so komplett sich selbst überlassen sind, ist die Handlung des Romans.
"'Gut, Ihnen geb ich sie für nur achtzig Tschik. Was sagen Sie, what do you say? Die Jacke ist die enormste Okkasion in ganz bloody Austria. Von ein amerikanischen General! Eisenhower selbst hat sie getragen, mein Ehrenwort, soll ich tot umfallen in dieser Sekunde wenn Eisenhower sie nicht getragen hat. Gut, siebzig Tschik.' Schaut ihn verzweifelt an."
Ihr kindlicher Blick auf die Welt um sie, auf NationalsozialistInnen und alliierte Soldaten, ist ungeschönt und doch können sie für kurze Momente in ein Spiel kippen, das ihnen verwehrt wurde und wird. Den alltäglichen Terror gewalttätiger Erwachsener gegen die Minderjährigen packt Robert Neumann in prägnante Sätze. Es überrascht einen beim Lesen, wie da von traurigsten Zuständen und zugleich so viel Lebenswillen geschrieben wird ("Er wächst und wächst, mit Brotrinden wächst er, mit Kartoffelschalen, er würde weiterwachsen auch mit Gras, auch mit Ziegelschutt."). Und es erstaunt, dass die Sprache überhaupt nicht aus der Zeit gefallen ist, sondern auch von einem jungen zeitgenössischen Autor stammen könnte.
„Die Kinder von Wien“ ist ein unterhaltendes und berührendes Zeitdokument, das man an einem Wintertag am Stück liest. „It was written for the sake of the children of Europe“, lautet die Widmung des Autors. Robert Neumann, so wird man in einem Nachwort erfahren, wenn man es nicht zuvor wusste, hat sich 1975 das Leben genommen. Im deutschsprachigen Raum schätzten einige GermanistInnen Neumanns Parodien, seine Romane wurden zu oft übersehen.
1897 in Wien als eines von drei Kinder jüdischer Eltern und in einfachen Verhältnissen geboren, begann Robert Neumann als junger Mann das Studium der Medizin, besuchte Vorlesungen bei Freud, doch die Hypochondrie war eine Nebenwirkung des Studiums. Er wechselte das Studium, erst Chemie, dann Germanistik. Erste Aufmerksamkeit bekam er für seine Parodie „Mit fremden Federn“.
1933 verbrannten NationalsozialistInnen seine ersten Bücher. Robert Neumann emigrierte 1934 nach England, und schrieb dort wie auch später in der Schweiz. Über hundert Bücher, Theaterstücke als auch Hörspiele und Drehbücher gehören zu seinem Werk. Zeit für eine Entdeckung.