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Valerie Kattenfeld

Auf Weltreise.

23. 12. 2016 - 08:30

Away from home, Baby!

Warum mir in unserem kleinkarierten Österreich die Decke auf den Kopf fällt und wo mich das hinführt: einmal um die Welt herum! Gerne nehme ich euch mit auf eine Reise, die auch zu mir selbst führt.

Meine Mama hat ein paar Sprüche auf Lager, die sie unermüdlich bei jeder passenden Gelegenheit wiederholt. So auch an jenem Augustnachmittag, an dem ich von meiner dreiwöchigen Mexiko-Reise zurückkehre. "Es ist immer schön, auf Urlaub zu fahren, aber es ist genauso schön, wieder nach Hause zurück zu kommen, gell Schatzi?"

Ich habe aufgegeben, meiner Mama zu erklären, dass ich als erwachsene Frau nicht mehr so gerne Schatzi genannt werden möchte. Ebensowenig lasse ich mir anmerken, dass sich meine Freude über die Rückkehr nach Österreich in Grenzen hält. Genauer gesagt: meine Freude ist kleiner gleich Null. Das harte Deutsch am Flughafen erschlägt mich. Ich schiele zu den blauen Anzeigetafeln mit den weltweiten Destinationen hinüber, da ruft meine Mama ungeduldig: "Trödel nicht rum, in zehn Minuten fährt die nächste S-Bahn!" Ich finde mich damit ab, dass meine nächste Destination erst mal Wien Mitte heißt.

Im Zug überwinde ich allmählich meinen Ankunfts-Widerstand und erzähle, wie ich in Mexiko das erste Mal tauchen war. Zwölf Meter unter dem Meeresspiegel bin ich zwei kleinen Haien begegnet und hatte überhaupt keine Angst. Ich bin absurd stolz auf mich und vor allem: so dankbar. Ein Großstadtkind, dem vorher gar nicht klar war, was für ein Natur-Defizit es hatte. Ich spüre meine Augen leuchten, während die Hände die Umrisse meines Lieblingsfisches in der Luft beschreiben. Ein großer Brauner mit Schmollmund, ich muss Cesar nochmal nach dem Namen fragen. Um meinen Hals baumelt die neue Totenkopfkette wild hin und her. Es ist ein Einzelstück von einer Designerin aus Oaxaca, sie hat dem orangenen Schädel eine goldene Blume ins linke Auge gepflanzt. Recht hat sie! Viva la Vida!

Ich bin voll von archaischen Naturerlebnissen, Salsa tanzen, dem Türkis der Cenote-Becken, saftigen Mangos, Maya Pyramiden und Frida Kahlo. Ich könnte der ganzen S-Bahn einen Spontan-Vortrag halten. Ich hätte sogar Lust dazu. Aber in Österreich macht man sowas nicht. In Österreich tun die Leute in den Öffis so, also würden sie nicht hören, was die anderen reden oder als müssten sie gerade dringend sehr wichtige E-Mails auf ihren Handys tippen. Die wichtigen E-Mails entpuppen sich bei näherem Hinschauen oft als Candycrash-Game.

Türkisblaues Wasser

Valerie Kattenfeld

Wenn ich nicht hier bin, bin ich...

Der Nachhall meiner Reise ist enorm, genauso der Jetlag. Ich kann nächtelang nicht schlafen und es arbeitet die ganze Zeit in mir. Besonders ein Gespräch mit meinem Airbnb-Gastgeber Cesar in den letzten Tagen auf Cozumel ist mir hängen geblieben. Wir saßen in seinem Zimmer und dachten laut über das Glücklichsein nach. Wir teilten die Bewunderung für Frida Kahlo und da erzählte er mir, dass sie Folgendes gesagt haben soll: "Das größte Glück habe ich in meinem Leben nicht durch den Erfolg erfahren, sondern dadurch, dass ich immer versucht habe, die zu sein, die ich wirklich bin." Diese außergewöhnliche Künstlerin hat mich seit meinem ersten Tag die ganze Reise lang begleitet und es ist kein Zufall, dass sie das letzte Wort hat.

Frida Kahlo, mein Jetlag und ich liegen wach zwischen den Welten. Der Morgen dämmert schon, als sich aus einer Ahnung eine Gewissheit heraus kristallisiert: Ich habe die eigentliche Version von mir in Mexiko zurück gelassen. Die Version von mir, die vor nichts Angst hat und sich die Freiheit nimmt, ihren Impulsen zu folgen. Es existiert eine Valerie-Version, die es immer nur im Urlaub gibt, aber sie hat noch nie den Weg zurück nach Hause geschafft. Jede Rückkehr ist ein Dämpfer: Nimm dich mal wieder schön zurück, hier herrschen andere Regeln!

Immer, wenn ich woanders bin, bin ich mehr ich

Da begreife ich es: Mexiko war die Generalprobe. Ich bin jetzt bereit für meine Weltreise. Ich treffe die Entscheidung, prompt, jäh, unwiderruflich. 100 Prozent aus dem Bauch heraus. Das ist extrem untypisch für mich und gefällt mir sofort. Ein wahrer Gefühlscocktail explodiert und ich taumle in eine Freude hinein, wie sie wohl entsteht, wenn man die Hormone von Schwangeren, frisch Verliebten, praktizierenden Bungee Jumpern und Weltrockstars vermischt. Mit dem Schlafen war's das und so mache ich mir einen Kaffee mit Milchschaum und unterzeichne feierlich einen Vertrag mit mir selbst: Vier Kontinente, zwanzig Länder, mindestens ein Jahr lang. Abreise in vier Monaten. Eine Frau, allein. Ich.

Endlich arbeitslos!

Ich.
Wer?
Na ich halt. Noch so eine Bobo-Alternativkünstlerin in gestreifter Sportjacke. Nur mit ohne Intoleranzen, also Laktose, Fleisch und so weiter - alles kein Problem! Lediglich eine leichte Inländer-Feindlichkeit hat sich im Laufe der Jahre herausgebildet, aber mehr dazu später.

Fassen wir zusammen, was wir schon wissen. Wer von seiner Mama am Flughafen abgeholt wird, ist entweder minderjährig oder hat halt sonst niemanden. Traurigerweise ist bei mir letzteres der Fall. Mit meinen 32 Jahren bin ich als kinderloser Single in meinem Freundeskreis allerdings keine Ausnahme. Hinzu kommt das große Glück, dass ich seit kurzem arbeitslos bin. Sechs Anstellungsjahre lang habe ich insgeheim auf diesen Moment gewartet. Ich hätte mich nie getraut, meinen Job zu kündigen und damit meine Sicherheit aufzugeben.

Offenbar bin ich nicht die Einzige, die das Beste aus einer kniffligen Lebenssituation macht. "Gehen jetzt alle Arbeitslosen auf Weltreise?" war meine definitive Lieblingsreaktion, dicht gefolgt von "Ich bin scheiß-eifersüchtig auf dich." Ich mag direkte Menschen. Das ist mir lieber als ein scheinheiliges "Oh, ich freue mich so für dich, wie wundervoll!".

Ja, meine Freunde sind die besten. Die meisten davon sind Schauspielerinnen, Schriftsteller, Tänzerinnen oder machen sonst krasse Sachen auf Bühnen oder im öffentlichen Raum. Als Autorin und Theaterregisseurin habe ich für mein Vorhaben Weltreise die besten Voraussetzungen überhaupt. In null komma nix sind auf einmal Leute aus Paraguay, dem Iran und Südafrika da, die sich darauf freuen, mich kennenzulernen. Ich bekomme wieder dieses "Alles ist möglich"-Gefühl, das ich damals während meines einjährigen Europäischen Freiwilligendienstes in Italien hatte. Und es war nicht nur ein Gefühl. Es war möglich, gratis eine Luxusvilla für einen Dreh mit Jugendlichen aufzustellen und es war möglich, ein Theaterstück erst drei Minuten vor Premiereneinlass fertig zu machen.

Valerie Kattenfeld

Valerie Kattenfeld

Außerhalb der Norm geht nicht

Österreich ist für mich ein "Das geht nicht"-Land. Dauernd wird mir erklärt, was ich alles nicht darf, nicht soll, nicht kann. Nicht rauchen, nicht lachen, mich nicht einmischen, nichts Unüberlegtes sagen, nicht die Hose im Schuhgeschäft ausziehen, nicht aus dem Fenster lehnen, nicht das Messer abschlecken, nicht mit Fremden sprechen, nicht den AMS-Termin verpassen, nicht schimpfen, nicht in der U-Bahnstation mit dem Augustinverkäufer tanzen. "Alles, was außerhalb der Norm liegt, da müssen Sie fragen, ob Sie das dürfen". Dieser Satz stammt von einer Stationsaufseherin in gelber Neonjacke und er hat sich für immer in mein Hirn gebrannt. Weil er für mich das Sinnbild österreichischer Beschränktheit und Kleinkariertheit ist. Ich frage mich, was so schlimm daran wäre, wenn wir uns ab und an mal nicht penibel an die Regeln halten würden. Wem fällt ein Zacken aus der Krone, wenn man die Besuchszeit um zehn Minuten überzieht oder Schularbeitshefte in türkis statt in rot korrigiert? Nein, sowas geht in Österreich nicht. Da bekommt man eine Ermahnung vom Stadtschulrat.

Gibt es so viele komplexbeladene Menschen, die sich krampfhaft an ihren Macht-Errungenschaften festhalten, um daraus ihr Fake-Selbstwertgefühl zu ziehen? Was geht vor in Menschen, die wie Zombies in der U-Bahn sitzen oder denen, die stur an Bettlern vorbeistarren? Österreich, was ist los mit dir? Wieso stehst du dir selbst so im Weg mit deiner Autoritäts- und Vorschriftenhörigkeit, mit deiner verklemmten Mentalität? Du könntest so viel mehr Gastfreundschaft, Lebensfreude und Begeisterungsfähigkeit zeigen. So viel mehr Interesse für die Menschen rundherum. Bekommst du zu wenig Sonne, ist es das? Hast du permanent Angst davor, dass dir wer was wegnimmt?

Ja, ich bin vielleicht ein bisschen gemein, aber das liegt daran, dass ich mir wünsche, dass wir es besser machen. Und ja, ich weiß, dass ich nicht unfair sein darf: es gibt unglaublich engagierte und herzliche Menschen hier, wenn ich zum Beispiel an den Train of Hope denke. Es läuft schon sehr viel sehr gut. Aber bleiben wir realistisch: Österreich ist nicht Mexico. Und wird es auch niemals sein.

Deshalb muss ich jetzt aufbrechen. Weil ich glaube, nein weiß, dass ich da draußen dutzenden Menschen begegnen werde, die so ticken wie ich. Die zum Beispiel kein Problem damit hätten, wenn jemand in einem öffentlichen Verkehrsmittel einen Spontanvortrag zu archaischen Naturerlebnissen halten würde. Die danach sogar applaudieren und Fragen stellen würden. Es ist diese Art von fruchtbarem Boden, den ich jetzt brauche, um wachsen zu können. Ich muss aufbrechen, um aufbrechen zu können, die Welt in mich hineinlassen und alte Verhaltensmuster ablegen. "There needs to be a crack in everything, that’s how the light gets in", hat Leonard Cohen schon gewusst.

Ich werde wieder schreiben von unterwegs. Ungeniert subjektiv und so, dass ihr alles in allen Farben, in allen Einzelheiten und mit allen Hochs und Tiefs miterleben könnt. Ich habe keine Ahnung, was passieren wird. Aber ich bin bereit. Ihr auch? Dann bitte anschnallen. It’s boarding time and the world is calling. Now!