Erstellt am: 22. 12. 2016 - 16:15 Uhr
Liebe und Gefahr
Casablanca, das ist eine Stadt, die bei Filmfans gewisser Generationen natürlich sofort Assoziationen auslöst. Wenn das Jahr dann auch noch 1942 ist, sieht man förmlich Humphrey Bogart und Ingrid Bergman durch die Nacht treiben, in grobkörnigem Schwarzweiß, auf tragische Weise verbunden.
In "Allied - Vertraute Fremde" treten nun Brad Pitt und Marion Cotillard auf gewisse Weise in die berühmten Fußstapfen. Zwei Schauspieler, die mich in bester Laune in die Pressevorführung spazieren ließen, sind doch beide elegante Vermittler zwischen den Welten, tauchen in kleineren, eindringlichen Streifen von Terrence Malick, Andrew Dominik oder den Dardenne Brüdern genauso auf wie in bombastischen Blockbustern.
Brad Pitt spielt in "Allied" den kanadischen Spion Max, der mit dem Fallschirm in der nordafrikanischen Wüste landet, um in Casablanca eine französische Undercoveragentin zu treffen. Die ironische, unnahbare Marianne alias Marion Cotillard lebt dort als Undercoveragentin der Resistance. Das glamouröse Duo muss nach außen eine glückliche Ehe vortäuschen, um seinen tatsächlichen Auftrag durchzuführen: einen tödlichen Anschlag auf ein Nazi-Hauptquartier.
Constantin
Digitale verschönerte Romanze
Die gefährliche Mission gelingt, zumindest soviel sei hier verraten, Max und Marianne können sich aber danach nicht mehr voneinander lösen. In der vielleicht schönsten Szene des Films, in einem Auto, mitten in einem Sandsturm, verwandelt sich die vorgetäuschte Beziehung in eine innige Leidenschaft. In London, wo Max für den Geheimdienst arbeitet, heiraten die beiden bald, mitten im feindlichen Bombardement wird ein Kind geboren. Die wirkliche Bedrohung für die glühende Liebe kommt aber durch einen simplen Hinweis. Möglicherweise ist Marianne nicht die Person, die sie vorgibt zu sein.
Der Krieg, das Begehren, düstere Geheimnisse: Die Story vom gefeierten Drehbuchautor Steven Knight ("Peaky Blinders") könnte tatsächlich aus einem fernen, sehnsüchtigen Kinozeitalter stammen, in dem Ikonen wie Bogart und Bergman die Leinwand bevölkerten. Dass so ein erwachsener Oldschool-Stoff mitten in der Comickino-Gegenwart überhaupt aufgegriffen und mit entsprechendem Aufwand produziert wird, verdankt sich wohl einzig dem prestigeträchtigen Team, angeführt von Robert Zemeckis im Regiestuhl.
Constantin
Aber der 64-jährige Filmemacher, dem wir einige der euphorisierendsten Spektakel der Filmgeschichte ("Back To The Future") ebenso verdanken wie überschätzte Schnarchigkeit ("Forrest Gump") findet leider nicht den richtigen Tonfall für seine Weltkriegs-Romanze. Viel zu glatt und steril sehen die Bilder aus, mit ihren digital verschönerten Hintergründen.
Sogar Brad Pitt wirkt stellenweise künstlich verjüngt und man fragt sich, ob CGI oder doch Botox im Spiel ist. In jedem Fall agiert der selbstbewusste Superstar ungewohnt hölzern. Und auch wenn die umwerfende Marion Cotillard wieder ihr Charisma versprüht, die Chemie der beiden Darsteller stimmt ebenso wenig wie dieser romantische Oldschool-Thriller seine Versprechungen generell einlöst.
Constantin
Reise in die Nacht
Apropos Versprechungen: Vorfreude, das wurde hier schon öfter thematisiert, ist eine heikle Sache. Sind die Erwartungen übergroß, setzt dann auch leicht die Enttäuschung ein. Im Fall von "Nocturnal Animals" konnte ich allerdings meine Euphorie nicht zügeln. So gleichgültig mir Tom Ford als König des Modezirkus ist, wie auch als illustre Medienfigur, so sehr hat mich sein meisterliches Regiedebüt "A Single Man" auf vielen Ebenen überzeugt. Und dann die ersten Informationen zu seinem neuen Film, verführerische Fotos, dieser hypnotische Trailer.
Nocturnal Animal wurde die Galleristin Susan (Amy Adams) von ihrem Exmann genannt, Schlaf ist rar im Leben der erfolgreichen Frau, die mit einer inneren Leere kämpft. Der hübsche junge Lover verstrahlt Apathie, das Kunstumfeld hohlen Zynismus, der Blick vom Traumhaus in den Hügeln von Los Angeles führt ins Nirgendwo. Genau in diesem Moment bekommt Susan von ihrem früheren Schriftsteller-Gatten Edward (Jake Gyllenhaal) seinen neuen Roman geschickt, mit einer speziellen Widmung versehen. Interessiert beginnt sie zu lesen und wird bald von dem Sog des Buchs verschlungen.
UPI
Tom Ford schwenkt in diesem Moment von der eiskalten, aber für mich durchaus berauschenden Glitzerästhetik Susans in die schmutzige Welt des Romans. Wir begleiten ein großstädtisches Paar mit ihrer jungen Tochter auf einem nächtlichen Roadtrip durch Texas. Der Mann am Steuer sieht, zumindest in der Fantasie der lesenden Susan, genau aus wie der Autor Edward. Als es zu einer Auseinandersetzung mit einer Gruppe jugendlicher Rednecks kommt und diese eskaliert, verhält sich die Romanfigur genauso vorsichtig und zurückhaltend, wie Susan ihren Ex in Erinnerung hat.
Als "unmännlich" hat ihre bissige Mutter Edward öfter bezeichnet, irgendwann begann die reiche Tochter ihren Geliebten auch so zu sehen, ein hochgradiger Vertrauensverlust setzte ein. Unzählige Erinnerungen kommen Susan jedenfalls bei der atemlosen Lektüre in den Sinn, vermischen sich mit dem ins Stockdüstere kippenden Gewaltszenario, dem die Familie in Texas ausgesetzt ist.
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Wenn man “Nocturnal Animals” etwas vorwerfen kann, dann bestenfalls Überladenheit. Der Film spielt auf drei verschiedenen Ebenen, mixt tatsächlich knochenharte Noir-Thriller-Versatzstücke mit einer Satire auf die affektierte Kunstszene, intimes Beziehungsdrama und Gesellschaftskritik. Frostige urbane Stimmungen und verschwitzte texanische Wüstenschauplätze sind nur einen Schnitt entfernt, Tom Ford versucht gleichzeitig experimentierfreudig und klassisch zu inszenieren und manchmal kommt die Ambition in diesem Film der Emotion in die Quere.
Dabei bleibt "Nocturnal Animals" aber durchgehend faszinierend, was neben all den Reminiszenen an Alfred Hitchcock, David Lynch und Oliver Stone vor allem auch an der fantastischen Besetzung liegt. Amy Adams beweist ja derzeit auch in "Arrival" dass sie mittlerweile in einer eigenen Hollywood-Liga spielt, in der es plötzlich auch Raum für Frauenfiguren gibt, die herkömmlichen Klischees widerstreben. Jake Gyllenhaal fesselt mit gewohnter Intensität und Michael Shannon setzt seinen stechenden Blick erneut eindringlich ein.
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Es muss anscheinend ein Modedesigner kommen, um dem amerikanischen Kino wieder einmal zu zeigen, dass sich Filme nicht zwischen Genrethrills und künstlerischen Ansätzen zu entscheiden brauchen. Übliche Showdowns, strenge Logik und stereotype Dramaturgien, soviel kann über Film anno 2016 sagen, sind etwas für Spießer im Regiestuhl wie auch im Zuschauersitz. Der Lost Highway führt in "Nocturnal Animals" bewusst nirgendwo hin, aber die Reise ist das Ziel.