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Ali Cem Deniz

Das Alltagsmikroskop

20. 12. 2016 - 16:52

Ein Bürgerkrieg für die ganze Welt

Die Ermordung des russischen Botschafters in Ankara ist eine der vielen Nebenwirkungen des syrischen Bürgerkriegs. Ein Überblick eines komplexen Konflikts, der die ganze Welt beeinflusst.

Mit der Eroberung Aleppos durch das syrische Regime hat der Bürgerkrieg in Syrien eine Wende erlebt, doch ein Ende des Krieges oder gar die Aussicht auf Frieden scheint weiterhin fern zu sein. Erst kürzlich hatten die Türkei und Russland die Evakuierung von Aleppo ausgehandelt und danach angekündigt gemeinsam mit dem Iran „alternative“ Friedensgespräche über Syrien zu führen – ohne UNO und westliche Mächte.

Der syrische Bürgerkrieg hat bereits hunderttausende Menschen das Leben gekostet und die Gewalt stoppt nicht an der syrischen Grenze. Am Montag wurde Andrej Karlow, der russische Botschafter in Ankara, bei einer Ausstellung von einem türkischen Polizisten vor laufender Kamera erschossen. „Vergesst Aleppo nicht, vergesst Syrien nicht“, rief der Attentäter nach dem Mord.

Blumen für den toten russischen Botschafter

APA/AFP/VASILY MAXIMOV

Rosen für den ermorderten Konsul Andrej Karlow

Eine ungewöhnliche Partnerschaft

Karlow hatte Gespräche mit der syrischen Opposition geführt und galt als zentrale Figur der „alternativen“ Friedensgespräche. Türkische und russische Vertreter sprachen nach dem Attentat umgehend von einer Provokation und einem Angriff auf die Friedensgespräche, die trotz des Anschlags weiter stattfinden sollen.

Russland und die Türkei, zu Beginn die zwei großen Kontrahenten hinter den Konfliktparteien im syrischen Bürgerkrieg, haben eine ungewöhnliche Partnerschaft gebildet, die einen Jet-Abschuss und einen toten Botschafter überlebt hat.

Bürgerkrieg mit vielen Akteuren und Interessen

  • Russland: Als 2011 das syrische Regime mit Gewalt auf Proteste reagierte und die Oppositionellen zu den Waffen griffen, war ziemlich schnell klar, dass der Konflikt unberechenbar wird. Für Russland ist das Land von immenser strategischer Bedeutung. In Tartus unterhält Russland eine Militärbasis, die dem Land Zugang zum Mittelmeer garantiert.
  • Türkei: Für die Türkei hingegen ist der Sturz Assads ein wichtiges politisches Ziel. Als Regionalmacht und Unterstützerin des Arabischen Frühlings will die Türkei alte arabisch-nationalistische und säkulare Regime in der Gegend bekämpfen – und gleichzeitig eine autonome Region unter der Kontrolle der syrisch-kurdischen PYD, die der PKK nahe steht, verhindern. Der Bürgerkrieg in Syrien war letztendlich auch die eigentliche Ursache für den gescheiterten Friedensprozess in der Türkei.
Busse im zerbombten Aleppo

APA/AFP/GEORGE OURFALIAN

Die Evakuierung Aleppos
  • Iran: Der Iran will mit allen Mitteln Assad an der Macht halten, um den Einfluss der Türkei, Saudi-Arabiens und anderer sunnitischer Mächte in zu stoppen. Schiitische Milizen aus dem Iran bilden mittlerweile das Fundament der Bodentruppen auf Seiten des syrischen Regimes.
  • Der Westen: Die EU ist spätestens seit den großen Fluchtbewegungen vom Geschehen direkt betroffen. Die Supermacht USA unter Barack Obamas Führung sind im syrischen Bürgerkrieg durch ihre vergleichsweise passive Haltung aufgefallen – aber auch die blieb nicht ohne Folgen.

Es geht um mehr

Allein die Achterbahn-Beziehung zwischen der Türkei und Russland zeigt, wie komplex und gefährlich der syrische Bürgerkrieg geworden ist. Die große Bedrohung und die tiefe Spaltung in der internationalen Gemeinschaft haben die Gegner zu Zweckbündnissen veranlasst. Zahlreiche Anschläge in den Nachbarländern und auch die Terror-Attentate von Paris und Brüssel waren direkte oder indirekte Folgen des Krieges. Und jedes dieser Ereignisse erinnert daran, dass es in Syrien um mehr geht als „nur“ Syrien.

FM4 Auf Laut - Was wird aus Syrien? Was bleibt von Syrien?

Die Schlacht um eine der ältesten Städte der Welt scheint geschlagen.

Tyma Kraitt

FM4/Irmi Wutscher

Tyma Kraitt ist Nahost-Expertin und Herausgeberin des Sammelbands Syrien. Ein Land im Krieg. Hintergründe, Analysen, Berichte. Erschienen im Promedia Verlag.

Aus Aleppo kommen Bilder der Evakuierung der Zivilbevölkerung, aber auch von Rebellen. Das Assad-Regime verkündet die „Befreiung“ der Stadt. Seine Gegner berichten von Bomben auf Wohngebiete, Vertreibung und „Bestrafung“.

Wohin entwickelt sich der geopolitisch aufgeladene Bürgerkrieg, über den es einander widersprechende Erzählungen gibt? Was können Hilfsinitiativen wie die Weißen Helme bewirken? Und welche Rolle spielt Österreich in diesem Konflikt?

Darüber diskutieren wir am Dienstag, 20.12. mit der Autorin und Herausgeberin Tyma Kraitt.

Anrufen und Mitdiskutieren kannst du unter 0800 226 996