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Al Bird Sputnik

Record Digger, Subkulturforscher, Universal Beatnik

19. 12. 2016 - 18:45

FM4 Schnitzelbeats #8: Herr, ich will beten!

Im Sinne der Feiertage, die uns aktuell bevorstehen, bereisen die FM4 Schnitzelbeats heute die Pfarrheime des Landes.

FM4 Schnitzelbeats
Sonntagnachts im FM4 Soundpark und anschließend für 7 Tage im FM4 Player

Der Teufel als Katalysator im Entstehen von Pop ist ja ein alter Bekannter: Vom Delta-Blues des vom rechten Pfad abgekommenen Robert Johnson über “Sympathy for the devil” der Rolling Stones bis hin zu Lady Gagas vermeintlichem Pakt mit dem Leibhaftigen, erscheint es durchaus reizvoll, die gesamte Musikgeschichte der letzten 100 Jahre mit einem fidelen “Hail Satan!” auf den Lippen zu kommentieren. Auch österreichische Zeitdokumente zum Thema lassen sich in rauen Mengen auffinden: Der unheilige Götzenkult des Wienerliedes - allen voran Karl Hodinas “Herrgott aus Sta” -, die Gift und Galle spuckenden Debut-Singles von Novak's Kapelle (1968/69) oder gar die Nacht-der-lebenden-Toten-Storyline aus Wolfgang Ambros' “Es lebe der Zentralfriedhof” (1975). Und dennoch. Muss der Teufel immer das letzte Wort haben, nur weil’s oft so lustig mit ihm war?

Als Ergebnis des Zweiten Vatikanischen Konzils im Jahr 1965 wurden neben umfassenden Maßnahmen zur Modernisierung der römisch-katholischen Kirche auch Liturgiereformen angedacht, welche der
traditionellen Messe auch erstmalig zeitgenössische Popmusik an die Seite stellten. Das Ziel, die marode Beat- und Hippie-Jugend aus dem flammenden Pfuhl der Sünde zurück in den Gottesdienst zu führen, trug ab den späten 1960er Jahren schillernde, manchmal recht skurrile Früchte. Im gesamten deutschsprachigen Raum schossen christliche Mini-Labels wie Pilze aus dem Boden und warben mit hippen Genre-Bezeichnungen wie “Ökumenische Jazz-Messe”, “Rhythmische Gesänge für den Jugendgottesdienst” oder gar “Musik von Jesus im Stil unserer Zeit” für ihre Sache. Die resultierenden Schallplatten-Veröffentlichungen suggerierten jedenfalls Zeitgeist und verhalfen einer Heerschar lokaler Amateur-Musiker aus dem Pfarrheim-Inventar zur Karriere als Recording Artists. Die katholische Kirche war im Aufbruch. So auch in Österreich in den frühen Siebziger Jahren.

Harald Neuwirth

Trash Rock Archives

ORF

HARALD NEUWIRTH / HEIMO SMOLA– “Grazer Messen im Jazzstil: Messe im Jazzstil (1970) / Leechburger Messe (1980)” (MD/1980)

Unsere Tour startet in Graz, wo der Musik-Professor der örtlichen Kunstuniversität, der Jazzpianist Harald „Harry“ Neuwirth (geboren 1939 in Wien) von der katholischen Kirche mit der Komposition einer zeitgenössischen Messe beauftragt worden war. Das resultierende Werk mit dem schlichten Titel “Messe im Jazzstil” wurde im November 1970 im ORF-Landesstudio Steiermark eingespielt und ist alles andere als biedere Dutzendware. Hohes Tempo, abwechslungsreiche Arrangements, verhallte Chöre und sägende Fuzz-Gitarren schaffen ein kleines Juwel österreichischer Popgeschichte zwischen Soul Jazz und progressivem Funk-Rock. Zudem sind die einzelnen Stücke der Messe derartig psychedelisch, dass sie selbst im Soundtrack von “Easy Rider” oder artverwandten Produktionen des amerikanischen 60er-Hippie-Kinos gute Figur gemacht hätten. Amen, brothers and sisters!

Manfred Schwarz

Trash Rock Archives

KAPLAN MANFRED SCHWARZ UND SEINE FREUNDE– “Lieder zum Nachdenken” (Ariola/1971)

Ariola

KAPLAN MANFRED SCHWARZ UND SEINE FREUNDE– “Lieder zum Nachdenken” (Ariola/1971)

Der Wiener Kaplan Manfred Schwarz gründete 1968 mit musikbegeisterten Jugendlichen aus dem christlichen Nachwuchs die Folkband The Interpreters of Life, deren sozialkritischen Songs – ganz im Stil der Zeit – auf Wienerisch getextet waren. Eines Tages läutete das Telefon. Am anderen Ende der Leitung: Cabaret-, TV- und Musikerlegende Gerhard Bronner, der über einen befreundeten Journalisten eine Demo-Version der Manfred Schwarz-Nummer “Herr, ich will beten (und kann es nicht)” in die Hände bekommen hatte und den Kaplan mit seiner Band zu sich ins Studio einlud. Innerhalb weniger Tage entstand das Album “Lieder zum Nachdenken”, das in der Retrospektive mit einer bemerkenswert düsteren Grundstimmung und einer äußerst fortschrittlichen Themenwahl einen Höhepunkt der heimischen Folk– und Dialektwelle darstellt. In der Nummer “Zu was bin I da?” wird etwa aus der Ich-Perspektive eines jugendlichen Wieners sein Werdegang vom Hippie zum Junkie verhandelt: Langeweile, Sex, Hasch, Heroin und dann der große Absturz. Gleichzeitig verzichtet der Song auf jegliche Form von Moralpredigt und konfrontiert die Zuhörerschaft stattdessen mit der komplexen Fragestellung: “Zu was bin I da? Gebt’s ma Antwort! Zu was bin I da?” Dazu erklingen wabernde Kirchenorgeln und übersteuerte Psych-Rock-Gitarren. Anno 1971 ganz schön harter Stoff fürs Alpenland. Aber das sollte man freilich selbst gehört haben.

The Lordflower

Trash Rock Archives

THE LORDFLOWER‎– “Das Tor der Liebe / Nacht ohne Sterne” (Tonstudio Hug)

Tonstudio Hug

THE LORDFLOWER– “Das Tor der Liebe / Nacht ohne Sterne” (Tonstudio Hug)

Bereits 1967 gegründet, probte die obskure Wiener Beat-Formation The Lordflower in einem Liesinger Pfarrlokal und durchlief Schul- und Jazzmessen-Engagements als akustisches Beiwerk zum Gottesdienst. “Es war die Zeit kurz nach dem Konzil, die Zeit von Jesus Christ Superstar und den Jesus Freaks”, erinnert sich Manfred Porsch, der Kopf der Gruppe an die Anfangstage. “Und irgendwann waren die Sachen, die wir gespielt haben keine Messlieder mehr und in keiner Weise zur Kirchenliturgie passend. Wir waren Revoluzzer.” Während einer Schweiz-Tournee im Jahr 1970 konservierte die mittlerweile zur siebenköpfigen Kommune angewachsene Band im Schnellverfahren zwei Songs für die Nachwelt. Psychedelischer Folk-Rock, im Sound der Zeit. Die überernsten, gleichzeitig bezaubernd naiven Songtexte erzählen von spießbürgerlicher Einöde, Gammlern und der Begegnung mit Gott. Wir öffnen “Das Tor der Liebe” und feiern christliche Gegenkultur aus Österreich.