Erstellt am: 19. 12. 2016 - 17:14 Uhr
Das große Erdoğan-Weihnachtsverbot?
Zunächst mal die gute Nachricht: Recep Tayyip Erdoğan hat Weihnachten nicht verboten und auch Österreich ist nicht betroffen, wie manche Medien behaupten. Doch woher kommt die ganze Aufregung überhaupt?
Der Spiegel hatte auf seiner Internetseite am Sonntag von einem Weihnachtsverbot am türkisch-deutschen Istanbul Lisesi berichtet. Als Quelle wird ein Mail zitiert, das die deutschen Lehrer des Istanbuler Elite-Gymnasiums empfangen hätten. Darin heißt es, dass im Unterricht mit sofortiger Wirkung nichts mehr über Weihnachtsbräuche mitgeteilt werden darf. Weihnachtslieder eingeschlossen. Das Mail taucht später in einem Artikel der „Welt“ als Foto auf. Informationen über Empfänger, Verfasser, Datum, Ort und Stempeln fehlen.
Es folgte eine Welle der Empörung, die vergangene Nikolo-Hysterien in den Schatten stellt. Besonders schnell reagierten die deutschen Grünen. Omid Nouripur, ihr außenpolitischer Sprecher, sprach von einem Verbot, das "nicht hinnehmbar sei, erst recht, wenn die Schulen von Deutschland mitfinanziert werden."
ORF
Es hat natürlich eine gewisse Ironie, dass gerade die Grünen in einer Zeit, wo intensiv über den Einfluss von Staaten wie der Türkei oder Saudi-Arabien durch deren eigene Schul-Netzwerke hierzulande gewarnt wird, glauben, dass die Finanzierung einer Schule automatisch mit dem Recht der kompletten Kontrolle über den Lehrplan gleichzusetzen ist.
Kolonialismus offenbart
Das Foto von dem Mail, das von allen deutschsprachigen Medien zitiert wurde, kann alleine kaum als Quelle herhalten. Es gibt aber tatsächlich ein türkisches Dokument, das am 15.12. von der Schulbehörde im Istanbuler Bezirk Bahcelievler (das Istanbul Lisesi ist übrigens in einem anderen Bezirk) an die RektorInnen verschickt wurde. Darin werden die Lehrkräfte „gebeten“, sich an den Lehrplan zu halten. Der Grund: in den letzten Tagen vor den Ferien (gemeint sind die Neujahrs-Ferien) würden sich die Beschwerden durch die Eltern häufen, weil in der Schule nicht genug Stoff durchgemacht wird.
Außerdem heißt es dort, die Kinder sollen nicht mit "unbekannten Bräuchen" verwirrt werden. Als Beispiel wird u.a. das Wichteln angeführt, das in manchen Schulen stattfindet. Ärmere SchülerInnen würden sich diskriminiert fühlen. Wer den Klassismus an türkischen Elite-Schulen und die ausufernde türkische Geschenke-Kultur kennt, wird das gut nachvollziehen können. Mit gebrauchten Kugelschreibern und dem verpackten Plastikmüll aus dem 1-Euro-Shop hat man da keine Chance.
Der ganze Wirbel offenbart letztendlich nicht nur die Gefahr von Fake bzw. Halb-Fake-News, sondern auch einen tief sitzenden Kolonialismus. Während sich hier Eltern überlegen, ob und wie sie ihren Kindern erklären sollen, was Christkind, Weihnachtsmann etc. sind, soll Weihnachten in der Türkei als universelle Norm akzeptiert werden.
Auch die Annahme, dass Erdoğan persönlich hinter der ganzen Sache stecken muss oder alles zumindest direkte Folge seiner Politik ist, folgt dem gleichen Denkmuster. Dass Eltern oder SchülerInnen aus irgendwelchen anderen - berechtigten oder unberechtigten - Bedenken Weihnachten als Unterrichts-Stoff ablehnen könnten, steht gar nicht zur Option. Stattdessen wird das Bild einer passiven Gesellschaft gezeichnet, die von einem autoritären Machthaber "islamisiert" und vom Weg der westlichen Moderne und der "universellen" Weihnachtskultur abgebracht wird.
Bleibt zu hoffen, dass diese Geschichte nicht wie die Nikolo-wird-abgeschafft-Geschichten zur jährlichen Weihnachtstradition wird.