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Zita Bereuter

Gestalten und Gestaltung. Büchereien und andere Sammelsurien.

25. 12. 2016 - 06:00

Ein epochaler fetter Schinken

William Boyd beschreibt das aufregende Leben einer Fotografin zwischen Berliner Nachtclubs, dem Zweiten Weltkrieg und dem Vietnamkrieg.

Über die Feiertage ist endlich Zeit für fette Schinken. Dabei denken wir weniger ans Essen als vielmehr an dicke Wälzer. An Bücher, die mindestens 500 Seiten haben und in die man so richtig reinkippen kann. Etwa in "Die Fotografin" von William Boyd. (Von ihm stammt u.a. "Waiting for Sunrise" bzw. "Eine große Zeit" - Interview und Rezension von Chris Cummins.).

Und um bei fetten Schinken zu bleiben - der fast literarische Dialog neulich an der Wurstthecke...

buchcover William Boyd: Die Fotografin

Berlin Verlag

William Body: Die Fotografin. Die vielen Leben der Amory Clay. Übersetzt von: Patricia Klobusiczky, Ulrike Thiesmeyer, Berlin Verlag 2016

Na was hom denn Sie do?
"Die Fotografin" von William Boyd

Wie viele Seiten hat des?
560

Wie schwer ist das?
gut 78 deka

Worum geht’s?
Um Amory Clay. Die wird zu einer Zeit Fotografin, als das für Frauen alles andere als üblich war - nämlich in den 1920er Jahren. Sie fotografiert die freizügigen Berliner Nachtclubs in den 30er Jahren, ist Kriegsberichterstatterin im Zweiten Weltkrieg in Frankreich und sieht im Vietnamkrieg mehr, als ihr gut tut. Als alte Frau lässt sie ihre vielen Leben und ihre Männer Revue passieren.

Warum ist das Buch so dick?
Weil die gute Amory Clay so viel erlebt hat.
William Boyd zeichnet mit dieser mutigen, pragmatischen, klaren und im besten Sinne modernen Protagonistin ein Gesellschaftsbild einer Epoche und eine kleine Liebeserklärung an die Schwarz-Weiß-Fotografie.

Ab wann ist man drin?
Schon auf der ersten Seite erzählt Amory Clay, dass ihr Vater versucht hat, sie umzubringen. Das zieht rein.

Gibt’s da auch Längen?
Den Prolog hätte es nicht gebraucht, aber sonst möchte man nichts missen.

Sonst noch irgendwas, was ich wissen muss?
Amory Clay hat nie gelebt. Es ist eine erfundene Biografie. Gut erfunden. Es sind auch alte Fotos im Buch, die William Boyd auf Flohmärkten oder im Internet gefunden hat. Aber grad die Fotos sind teilweise so schlecht, dass sie kaum von einer begnadeten Fotografin stammen können.

Dürft ich vielleicht a Kostprobe haben?
Wieder bekam ich Herzklopfen vor Aufregung über meine Kühnheit und freute mich über meine gelungene Tarnung. Zwei weitere Garçonnes, die soeben die Tanzfläche betraten, vermittelten mir das beruhigende Gefühl, mit meinem exzentrischen Aufzug nicht groß aufzufallen.
Niemand starrte mich an; man ließ mich mit meinem Sekt und meiner Handtasche (Anm.: in die ist eine Kamera eingebaut) in Ruhe, die ich vor mir auf dem Tisch abgestellt hatte. Ich drehte sie leicht, um sie auf zwei Männer in glänzenden Anzügen und mit kurzen, breiten Krawatten zu richten, die interessiert die Mädchen in ihren Unterkleidchen aus Satin begutachteten, und betätigte den Auslöser. Klick. Ich hatte sie im Kasten. Die beiden steuerten auf zwei Mädchen zu, mit denen sie nach kurzem Gespräch den Raum verließen, durch einen Durchgang neben der Bar, der mit Ledervorhängen versehen war. Dahinter vermutete ich eine Treppe, die nach oben führte, in den Sock, wo das eigentliche sexuelle Treiben stattfand. Ich überlegte, ob Trudi es mir irgendwie ermöglichen könnte, dort oben einen Blick hinter die Kulissen zu werfen.

Na. Des taugt ma – können'S mir gleich einpacken.