Erstellt am: 17. 12. 2016 - 11:50 Uhr
Tauchen und tanzen
Man muss sich das einmal vorstellen: Ein spindeldürrer älterer Herr mit schlohweißem Haar als Fernseh-Ikone mit Massenappeal. Die breite Begeisterung für einen Typen wie Jacques-Yves Cousteau war wohl nur in den 1970er Jahren möglich. Mit seinen Unterwasser-Dokumentationen begeisterte der rüstige Franzose damals auch heimische Kinobesucher, in Kiosken und Tankstellen gab es sogar Sammelalben, in die man bunte Fischbilder kleben konnte.
Wie sein österreichischer Kollege Hans Hass verkörperte Cousteau eine ungestüme Abenteuerlust und einen leidenschaftlichen Entdeckergeist. Mit seinem legendären Forschungsschiff Calypso und einer treuen Besatzung, die wie der Kapitän die leuchtend roten Trademark-Wollhauben trug, reiste der französische Medienstar um die Welt – und lieferte spektakuläre Bilder aus den Tiefen der Ozeane. Wes Andersons charmante Unterwassereskapade "The Life Aquatic" mit Bill Murray war von der Karriere des 1997 verstorbenen Jacques-Yves Cousteau deutlich inspiriert.
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Marketingspezialist und Umwelt-Aktivist
Es ist dem Film "Jacques - Entdecker der Ozeane", im Original "L'Odyssée", hoch anzurechnen, dass er nicht auf ungeschönte Heldenverehrung setzt. Lambert Wilson spielt Kapitän Cousteau auch als berechnenden Marketingspezialisten, der für seine Dokumentarstreifen den Familienfrieden ebenso opfert wie Tiere für inszenierte Szenen. "L'Odyssée" verbeugt sich einerseits vor dem Charisma der Legende, zeigt aber auch einen Egomanen, der für seine einzige große Liebe – das Meer – zu jedem Kompromiss bereit ist.
Mediterranes Retro-Flair und überwältigende Unterwasseraufnahmen darf man sich bei so einer Geschichte natürlich erwarten. Auch wenn manchen Tauchszenen der Hauch von Sterilität und Studiopool anhaftet, digitale Fische inbegriffen.
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Wirklich schade ist, dass sich Regisseur Jerome Salle nahezu sklavisch an die typische Struktur von Biopic-Movies hält. Ganz konventionell werden zentrale Stationen im Leben von Jacques-Yves Cousteau häppchenweise abgehakt. Die Schauspieler, darunter Audrey Tautou als immer mehr verhärmte Ehefrau und und Pierre Niney als frustrierter Sohn des Patriarchen, haben dabei keinen besonders großen Spielraum.
Was abseits der etwas biederen Machart aber bleibt, ist das in aller Ambivalenz faszinierende Leben des Mannes mit der roten Mütze. Jacques-Yves Cousteau, der heute wohl nur mehr wenigen ein Begriff ist, kämpfte mit Tragödien, entpuppt sich als Wegbereiter inszenierter Reality-TV-Dramen und konvertierte in seinen letzten Jahren auch zum Umweltschutz-Aktivisten.
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Postpunk-Sängerin als Tanzpionierin
Ein anderes Biopic aus Frankreich hat mich da schon durchgehender begeistert, wenn auch mit gewissen Abstrichen. Die junge Regisseurin Stéphanie Di Giusto, die bisher vor allem Kunstvideos und Musikclips gedreht hat, präsentiert mit "La Danseuse - Die Tänzerin" ihr Langfilmdebüt. Der Film stellt eine junge Künstlerin in den Mittelpunkt, die beinahe in Vergessenheit geraten ist.
Loïe Fuller war zum Beginn des 20ten Jahrhunderts eine Pionierin des modernen Tanzes, zusammen mit ihrer berühmteren Freundin und Rivalin Isadora Duncan. Aufgewachsen in Amerika bei ihrem Vater, schifft sich die junge Schauspielerin 1892 nach Paris ein und versucht dort ihre speziellen choreografischen Visionen umzusetzen.
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Mit ihrem Serpentinentanz, in opulente Kostüme gehüllt, von selbst entworfenen Lichteffekten beleuchtet, wird Fuller zum Stadtgespräch. Künstler wie Auguste Rodin oder Henri de Toulouse-Lautrec lassen sich von ihr inspirieren, sogar der Sprung vom schwülstigen Varietétheater auf die Opernbühnen gelingt. Trotzdem erleidet die Ausnahmetänzerin immer wieder Rückschläge, wird von ihrer fanatisch religiösen Mutter unterjocht, von Männern bedrängt und, wenn man dieser Filmversion nun glauben darf, von der jüngeren Isadora Duncan ausgenutzt.
Es ist zunächst die Hauptdarstellerin, die "La danseuse" besonders macht. Die Folk- und Postpunk-Sängerin Soko verkörpert Loïe Fuller im wahrsten Sinn des Wortes und lässt ihre eigene Exzentrik in die Darstellung miteinfließen. Wenn "Die Tänzerin" manchmal wie ein trotziges Kind wirkt, Wutausbrüche ebenso aus dem Nichts kommen wie übersprudelnde Euphorie, dann erinnert das an Konzerte der Pariserin, bei denen ebenfalls die Stimmung unberechenbar schwankt.
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Mit Soko im obsessiven Totaleinsatz und der fragilen Lily-Rose Depp als jugendlicher Isadora Duncan präsentiert Stéphanie Di Giusto ein düsteres Drama zwischen Momenten des emanzipatorischen Aufbegehrens und Scheiterns. Biopic-Klischees reihen sich auch in "La Danseuse" unübersehbar aneinander, aber rauschhafte Tanzszenen, die stellenweise atemberaubende Kamera und der betörende Soundtrack, inklusive Klangmagier wie Max Richter oder Nick Cave & Warren Ellis, sorgen für einen eigenen Sog. Ein kleiner, schöner Film, für die große Leinwand gemacht.