Erstellt am: 14. 12. 2016 - 15:38 Uhr
Die Facebook-Ritterin
Viele von euch haben wahrscheinlich die Szene aus der Berliner U-Bahn gesehen, in der ein junger Mann eine Frau in den Rücken tritt und sie die Treppen runterfällt. Wahrscheinlich habt ihr auch die Diskussionen darüber verfolgt.
Mit Akzent
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Meine Mutter erzählte mir darüber. Sie ist der informierteste Mensch, den ich kenne. Meine Mutter ist eine Facebook-Ritterin. Sie hat über 3000 Freunde. Jeden Tag schreibt sie mindestens fünf neue Statusmeldungen. Ihre Aktivität erhöht oder reduziert die Anzahl ihrer Facebook-Freunde. Mindestens drei Leute am Tag löschen sie, aber sie bekommt auch mindestens so viele neue Freundschaftsanfragen. Ihre Tätigkeit in den sozialen Netzwerken ist eine Kombination aus Richard Löwenherz, Don Quijote und Luke Skywalker. Genau wie sie kämpft meine Mutter für die Rechte der Schwachen und die sozialen Außenseiter. Sie kreuzt jeden Tag ihr virtuelles Schwert mit Hunderten von Facebook-Bösewichten. Manchmal schlägt sie hart, manchmal bekommt sie auch harte Schläge. Niemals zieht sie sich geschlagen aus dem Kampf zurück.
CC BY 2.0, flickr.com, User: Kai Engel
Im Fall der gestoßenen Frau war meine Mutter darüber empört, dass überall verbreitet wurde, dass die „Schubser“ Migranten gewesen seien. Das ließ die Gegner meiner Mutter triumphieren: Das ist also das Ergebnis unserer liberalen Haltung gegenüber Migranten – wir werden jetzt die Treppen unserer eigenen Häuser und U-Bahnen hinuntergetreten. Meine Mutter gab aber nicht auf. Sie meinte, dass man die scheußliche Tat bestrafen müsse, nicht die Herkunft der Täter. Das brachte die Gegner meine Mutter zur Weißglut. Als erfahrene Facebook-Kämpferin weiß sie, dass der Gewinner einer Facebook-Schlacht immer der ist, der seinen Kontrahenten am meisten ärgert. Alle beschuldigten meine Mutter, dass genau Leute wie sie den Untergang der westlichen Zivilisation bringen würden.
Die Gegner meiner Mutter machten weiter. Sie hatten die Gesichter der Angreifer „genau analysiert“ und waren sich 100% sicher, dass es sich um Menschen arabischer Herkunft handle. Ganz aktiv bei den Angriffen gegen meine Mutter war eine Gruppe bulgarischer Nationalisten. Sie aber verteidigte ihre Stellung tapfer gegen diese „Gesichtsexperten“. Sie erzählte über einen anderen Vorfall, der sich vor kurzem in Polen zugetragen hatte, wo polnische Nationalisten bulgarische Studenten in der Straßenbahn zusammengeschlagen haben, da sie dachten, sie seien Flüchtlinge. Das brachte die virtuellen Feinde meiner Mutter endgültig außer sich. Sie fingen an sie zu beleidigen, meinten, dass sie keine ehrenhafte Bulgarin sei.
Irgendwann endete diese Facebook-Schlacht von selber. Die deutsche Polizei verkündete, dass sie einen der Angreifer verhaftet habe und er sei bulgarischer Abstammung. Gewaltbereitschaft, Dummheit und Arroganz haben keine Nationalität. Die Gegner meiner Mutter verstummten. Sie ist momentan auch leise. Über dem Schlachtfeld namens Facebook herrscht Ruhe. Für jetzt.