Erstellt am: 15. 12. 2016 - 04:00 Uhr
Im Schatten des Krieges
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Wer auf komplizierte Fragen allzu einfache Antworten gibt, dem sollte man misstrauen. Im Konflikt zwischen Israel und Palästina beispielsweise gibt es zu viele komplexe politische, gesellschaftliche und religiöse Probleme, als dass man einfach beantworten könnte, wie dieser Konflikt zu lösen sei. Diesen Umstand hat die Comicautorin Sarah Glidden in ihrem ersten Buch Israel verstehen deutlich gemacht und verständlich erklärt.
*) Wie immer ist der Titel im Original um einiges besser: "Rolling Blackouts""
In ihrem neuen Comic, Im Schatten des Krieges*, ist sie mit befreundeten Journalisten in den nahen Osten gereist, um deren Arbeit zu dokumentieren. In der Türkei, Syrien und dem Irak führen die jungen Journalisten aus Seattle für ihre eigene Plattform, den Seattle Globalist, Interviews und drehen Reportagen. Sie sprechen mit kurdischen Flüchtlingen und besuchen Flüchtlingslager, sie porträtieren einen Mann der wegen Terrorverdachts aus den USA abgeschoben wurde, ob zurecht oder nicht bleibt dabei ungeklärt.
Die Reise hat 2010 stattgefunden, als Syrien noch selbst zahlreiche Flüchtlinge aufgenommen hat. Im Fokus stehen der Irak-Krieg und seine Folgen. Neben den Journalisten und Sarah Glidden reist auch ein ehemaliger Soldat mit ihnen, der im Irak stationiert war. Er möchte noch einmal in das Land zurückkehren und die Journalistin, die ihn seit ihrer Kindheit kennt, erhofft sich davon eine interessante Story.
Mit ihren Aquarellzeichnungen hält Sarah Glidden als stille Beobachterin die Interview-Situationen fest, erzählt vom sozialen Gefüge in der Gruppe und davon, wie ihre Freunde Geschichten suchen und sie erzählen. Dabei geht es immer wieder um die Frage: Was ist Journalismus? Was darf er, was kann er, was muss er?
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Aber das ist nicht die einzige Ebene; die Autorin schildert auch die Geschichten derer, die sie treffen. Es ist wie ein journalistisches Inception: Die Autorin dokumentiert die Journalisten die wiederum Interviews aufzeichnen. Das schafft ein Gefühl der Transparenz. Sie erzählt die Story, indem sie zeigt wie sie entsteht. Sie bereitet auch viel historische Daten auf, sodass Zusammenhänge dadurch verständlich werden. Dabei versucht Sarah Glidden niemals selbst Antworten zu geben, sonder schildert ihren eigenen Prozess, komplizierte Sachverhalte verstehen zu wollen.
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“Im Schatten des Krieges” umspannt sehr viele Ebenen und Geschichten, viele Einzelschicksale und große Zusammenhänge. Es geht um Journalismus, um Geschichte und Politik, um die Frage, was spiele ich als Individuum für eine Rolle im Krieg? Das fragt sich der ehemalige Soldat, das fragen sich die Journalisten und die Autorin selbst: Was habe ich persönlich damit zu tun, dass mein Land hier einmarschiert ist? Trage ich eine Schuld? Hätte ich etwas tun können?
Die Flüchtlinge in Sarah Gliddens Comic flüchten vor einem anderen Krieg als heute, aber sie erleben dieselben Tragödien und stehen vor den selben Problemen. Dadurch ist "Im Schatten des Krieges" gerade heute eine wichtige Lektüre, nicht weil es irgendwelche Antworten liefert, sondern weil es zumindest einige der Fragen stellt und erklärt.