Erstellt am: 28. 12. 2016 - 08:42 Uhr
"Unser Ziel ist die Lawinenprävention"
FM4 Draußen
"Ich war immer unzufrieden mit der Möglichkeit, die Lawinenkunde in all ihrer Komplexität darzustellen", sagt der Schweizer Lawinenforscher Stephan Harvey. Denn in der Lawinenkunde spielen so viele Faktoren zusammen, dass man die in einer linearen Publikation schwer abbilden kann. Die nötigen Verlinkungen und Animationen, um die Inhalte verstehen zu können, haben ihn deshalb veranlasst, nach digitalen Möglichkeiten der Publikation zu suchen.
Simon Welebil / FM4
Harvey, der am renommierten Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) im Schweizer Davos unter anderem dafür zuständig ist, die Erkenntnisse der Forschung in die Praxis zu bringen, hat deshalb schon vor über zehn Jahren begonnen, White Risk zu entwickeln, einen digitalen Lawinenkurs, der zuerst als CD-Rom erschienen und dann als whiterisk.ch ins Netz gewandert ist.
Online besteht White Risk aus vier Modulen. In "Explore" kann man auf entdeckerische Weise in die Welt der Lawinenkunde eintauchen, einzelne Kapitel durchklicken, sich aber auch relativ leicht verlieren. "Learn" ist an einen klassischen Kurs angelehnt, mit aufbauenden Lektionen und Übungen, an deren Ende jeweils ein Test steht. "Tour" bietet Tools zur sicheren Tourenplanung an, seit heuer auch mit Kartenmaterial aus Österreich und "Pro" richtet sich an professionelle AnwenderInnen, die mit White Risk etwa auch Präsentationen erstellen können, um sie in Kursen einzusetzen.
Auf White Risk kann man laut Stephan Harvey alles finden, was in der Schweiz auch in Lawinenkursen unterrichtet wird, wie Lawinen entstehen, wie man einen Lawinenlagebericht - in der Schweiz Lawinenbulletin genannt - liest oder wie man sich im Gelände richtig verhält, jeweils mit Links zu anderen, korrelierenden Themen.
Screenshot White Risk
Viele Kapitel sind mit aufwändigen Animation dargestellt, mit Aufklappkästchen, die weitere Informationen bereithalten, oft auch unterstützt durch Videos, schematische Darstellungen und interaktive Animationen. Vor allem dem Faktor Mensch, der bei der Tourenplanung manchmal vergessen wird, wird hier große Aufmerksamkeit geschenkt.
Screenshot White Risk
Egal ob Anfänger oder Profi, man kann viele Stunden auf der Plattform verbringen, Sachen nachlesen oder vertiefen und vor allem auch durchspielen. Denn White Risk bietet auch verschiedene Tools an, die für die Beurteilung der Lawinengefahr nützlich sind. In einem Analyzer-Tool kann man etwa verschiedene Faktoren, die zur Lawinengefahr beitragen, vernetzen, um das Risiko, das man eingeht, besser abschätzen zu können.
Auch das Tourenplanungstool der Plattform ist überaus nützlich. Die vorhandenen Karten zeigen die Hangneigung an, beim Planen kann man sowohl Haupt- als auch Alternativrouten einzeichnen, Schlüsselstellen definieren und es gibt eine automatische Zeiteinschätzung.
Screenshot White Risk
Weiterlesen:
Andere nützliche Freeride- und Lawinen-Apps gibt's hier.
Die Karten aus der Tourenplanung können dann auch herunter-, bzw. aufs Smartphone geladen werden, für die es eigene White Risk Apps gibt, für Android- und iOs-Geräte. Die Apps bieten zusätzlich noch einen Hangneigungsmesser, ein Analysetool für ungünstige Bedingungen, eine graphische Umsetzung der Reduktionsmethode nach Werner Munter und die wichtigsten Basics zu Schneebrettlawinen.
Screenshot White Risk
Das erklärte Ziel, mithilfe neuer Medien, neue Möglichkeiten in der Lawinenausbildung zu eröffnen, erreicht White Risk ganz gut, wenn auch die Tests und deren Auswertung sehr kleinlich sein können und dadurch ein wenig praxisfern wirken.
Ob sich das Portal in dieser Form aufrechterhalten lässt ist zudem von seinen UserInnen abhängig. Denn entgegen der Gratismentalität, die im Internet vorherrscht, ist White Risk zum großen Teil kostenpflichtig. Die Entwicklung der Plattform wurde vom SLF und einer großen Schweizer Versicherung finanziert, jetzt muss sie allerdings selbsttragend sein, wie Stephan Harvey erzählt. Konkret heißt das, dass nicht nur die Wartung eingespielt werden muss, vor allem die Nutzung der topographischen Karten verursacht Lizenzgebühren und Kosten.
Einzelne Kapitel in White Risk sind frei verfügbar, einen ganzen Tag kann man darüber hinaus die ganze Plattform testen, danach fallen Abogebühren von 29 Franken pro Jahr für die Basic Version an. Im Moment sei es knapp mit den AbonnentInnen, sagt Stephan Harvey, aber er hofft, dass es bald mehr werden.
Was Stephan Harvey auch noch wichtig ist, zu betonen ist, dass White Risk, genauso wenig wie ein Buch über Lawinenkunde, ein Ersatz für einen kompletten Lawinenkurs ist, und dass man sich auch nicht ganz sicher sein darf, wenn man alle Lektionen positiv abschließt: "Lawinenkunde findet draußen statt", meint er. Es ist wichtig, dass man das theoretische Wissen auch in praktischen Kursen vertieft. Dennoch, und davon ist er überzeugt, sei es mit seinem Tool einfacher geworden, komplexe Theorie zu vermitteln und Touren zu planen, was ganz essenziell sei, um Lawinenunfälle zu verhindern.