Erstellt am: 12. 12. 2016 - 18:00 Uhr
Liebt euch, ihr Idioten
Die erste Nummer auf einem Album kann manchmal die allerwichtigste sein. Nicht nur als Eröffnung, die stilistisch an das heranführt, was man musikalisch erwarten kann, sondern vor allem, wenn hier jemand aus seinem eigenen Genre ausbricht. Neue Wege geht, neue Dinge ausprobiert und Risiken eingeht.
"You wanna make it right, but now it's too late"
"Me And Your Mama", der Opener auf Childish Gambinos drittem Album "Awaken, My Love!" ist so ein Lied. Ein Track, der sich langsam, vorsichtig mit verträumten Glockenklängen und Chorgesängen herantastet. Layer werden hereingezogen, überlagern sich und irgendwann, kurz bevor die ganze bittersüße Klangwelt endgültig überladen ist, platzt Childish Gambino in die Nummer. "Let me into your heart!" lautet die zentrale Zeile, aufgeladen mit Frustration, Sehnsucht, Liebe und Hoffnung.
So richtig wurde Donald Glover der Öffentlichkeit ursprünglich als Schauspieler vorgestellt. In "Community" spielte er den Troy, in "30 Rock" einen jungen Tracy Jordan. Zurzeit läuft im US-Fernsehen seine erste eigene Serie, das Comedy-Drama "Atlanta", erfunden und ausgedacht von Glover, mit ihm in der Hauptrolle. 2018 wird er in die Rolle des jungen Lando Calrissian im nächsten "Star Wars"-Spinoff schlüpfen. Sein musikalisches Alter Ego Childish Gambino wird trotzdem nicht vernachlässigt, auch wenn auf dem neuesten Album des Musikers genretechnisch neue Kapitel begonnen werden.
Childish Gambino
Lust for Life
Trotzdem - und das ist Childish Gambinos musikalische Stärke - zeigt sich auch auf "Awaken, My Love!" die Eigenschaft, die ihn einzigartig macht: Eine komplette, unbändige Offenheit den eigenen Emotionen gegenüber, die einem ohne Skrupel entgegengeworfen werden.
"I can feel it deep inside my body,
I've been watching all this all night.
I got to move it.
This pressure brewing.
This world don't feel alright."
In all seiner Offenheit lässt Glover trotzdem genug Projektionsflächen, ausreichend Raum die eigene Welt, das eigene Leben, die eigene Emotion in seinen Songs zu finden. In Nummern, die teils schmachtend in Soulsphären herumtänzeln und dann schon fast unausstehlich überzuckert präsentiert werden. Aber auch wieder eine Kälte heraufbeschwören, die man gar nicht in Wänden von Funk, Percussions und Glockenspielen zu finden glaubt. Viel Platz für Interpretation bleibt, zum Austoben und einsinken lassen. Nur ein zentrales Motiv lässt keine Spekulationen zu: Die Liebe, verdammt. Weil die ist und bleibt das Wichtigste.
"Have a word for your brother,
Have some time for one another,
Really love one another,
It's so hard to find."
Childish Gambino
"Awaken, My Love!" von Childish Gambino ist auf Glassnote erschienen.
Wer glaubt, dass sich Childish Gambino mit der notwendigen Vorsicht, einem respektablen Sicherheitsabstand und Fingerspitzengefühl an sein komplexes Hauptthema herantastet, liegt falsch. Die Liebe in Donald Glovers Welt ist laut, aufgeladen, überladen, grandios und unmöglich zu bändigen. Und wirklich harte Arbeit. "To be completely honest, it wasn’t a lot of fun, it was actually really hard," sagt er über die Produktion des Albums. "I was going through a lot and I also think in America we're going through a lot right now with everything that's going on, so I was just trying to play what I felt, but I was doing it with friends, so at the end of the day, that’s what matters." Was zählt ist das, was übrig bleibt, ein Album der Widersprüche, zwischen Romantik und Frustration, eingepackt in nostalgische Nebelschwaden.
"There was a time before you.
And there will be a time after you.
Though these bodies are not our own,
Walk tall, little one, walk tall."