Erstellt am: 11. 12. 2016 - 14:27 Uhr
FM4 Filmgeschichten mit Ruth Beckermann
Ruth Beckermann macht seit 40 Jahren Kino und erweist sich kontinuierlich als kluge Seismographin der politischen Stimmung und Stimmungsmache in unserem Land. Das Österreichische Filmmuseum widmet der Wiener Dokumentarfilmerin, Autorin und Installationskünstlerin ab Montag eine wohlverdiente Retrospektive und ein Buch.
FM4 Player: Filmgeschichten mit Ruth Beckermann
Im Gespräch mit Petra Erdmann
Am Sonntag, 11.12., 15h
(Produktion: Rudi Ortner)
Ruth Beckermanns Arbeiten sind persönlich, aber nie privat. Wenn Beckermann sich in ihrer Trilogie „Wien retour“, „Die Papierene Brücke“ und „Nach Jerusalem“ mit ihrer jüdischen Identität beschäftigt hat, dann immer auch mit einer andauernden Verdrängungsgeschichte von NS-Verbrechen im Nachkriegsösterreich. In FM4 Filmgeschichten erzählt Beckermann von ihrem couragierten Vater, der den Holocaust überlebt hat und im Wien einen Textilhandel betrieben hat. Auch darüber, wie sie bereits als Volksschülerin Antisemitismus erfahren hat. „Es gab Eltern, die meinen Schulfreunden verboten haben, zu uns nach Hause zu kommen, weil wir Juden waren.“
Jan Hestmann / Radio FM4
Ruth Beckermanns vielseitiges Schaffen bleibt stets gegenwärtig, wenn sie Vergangenes lebendig macht. Ihr aktueller experimenteller Spielfilm "Die Geträumten" ist auch ihrer erster mit Darstellern. Beckermann verfilmt den Briefwechsel der liebenden Dichter Paul Celan und Ingeborg Bachmann.
Die Musikerin Anja Plaschg aka Soap & Skin und der Schauspieler Laurence Rupp stehen sich als Sprecher in einem Radiostudio gegenüber. Der formale Coup von Beckermann liegt in der Darstellung von Liebe und Literatur, ihrer Distanz und gleichzeitiger Intimität. In den Aufnahmepausen durchstreifen die jungen Protagonisten das Wiener Funkhaus. Sie unterhalten sich über Tätowierungen und Narben. Sie liegen am Boden und hören gemeinsam Musik.
Stadtkino Filmverleih
Die politische Aktivistin Ruth Beckermann
Ende der 70er Jahre wurde Ruth Beckermann politisch aktiv. Sie dreht gemeinsam mit Josef Aichholzer und Franz Grafl ihren ersten Film „Arena besetzt“ (1977). Das Trio begleitet die Besetzung des alten Schlachthofes in Wien und gründet wenig später den „Filmladen“-Verleih. Damit machen sie Kino abseits von Hollywood-Meterware in Österreich für ein cinephiles und kritisches Publikum sichtbar.
Ruth Beckermann
„Die Geträumten“ ab 16.12. österreichweit in unseren Kinos
Die Retrospektive Ruth Beckermann läuft vom 12.12. – 5.1. im Österreichischen Filmmuseum
Buch: „Ruth Beckermann“
Alexander Horwath, Michael Omasta (Hg.)
FilmmuseumSynema
Publikationen 29
Wien 2016, 192 Seiten, in deutscher Sprache
ISBN 978-3-901644-68-9
Die Filme von Ruth Beckermann sind bei hoanzl.at erhältlich
Ruth Beckermann hatte dann 1986 mit der eigenen Kamera die Proteste gegen und für den Bundespräsidentschaftskandidaten Kurt Waldheim eingefangen, der seine NS-Vergangenheit im Zweiten Weltkrieg zunächst verschwiegen hatte.
Ruth Beckermann agiert mir ihrem vielschichtigen Kino als Aufklärerin ohne moralischen Zeigefinger. Nächstes Jahr plant die Regisseurin ihren „Waldheim-Film“, so der Arbeitstitel, fertigzustellen. Sie habe festgestellt, sagt die Autorin und Filmemacherin, dass eine junge Generation in Österreich beginnt, sie als Zeitzeugin zur Waldheim- Affäre zu befragen.
Die Kosmopolitin Ruth Beckermann
In „American Passages“ (2011) vermisst Beckermann die Vereinigten Staaten Amerikas samt ihrer sozialen Ungerechtigkeiten und dem Rassismus, der auch in der Euphorie um die Wiederwahl Barack Obamas zum Präsidenten omnipräsent bleibt. Rückblickend kündigt sich in „American Passages“ nahezu visionär der aktuelle Nährboden für Amerikas Rechtsruck, seinen medienpopulistischen Präsidenten Donald Trump und den geplatzten demokratischen Dream an.
Ruth Beckermann Filmproduktion, 2011