Erstellt am: 7. 12. 2016 - 19:31 Uhr
Graubereich: Folter- und Traumafeststellung
Die Menschenrechts-Organisation Amnesty International hat 2014, 30 Jahre nach der Verabschiedung der UN-Antifolterkonvention, in einem Bericht festgehalten, dass in 141 Ländern der Welt Folter und andere Formen der Misshandlung dokumentiert wurden.
Für Flüchtlinge bedeutet die Ankunft in Österreich ein neues, sicheres Leben. Aber das Erlebte in den Heimatländern und auf der Flucht haben oft Spuren hinterlassen. Folter und Missbrauch können nicht einfach zurückgelassen werden und quälen Betroffene noch Jahre später.
Der Nuklearmediziner Siroos Mirzaei engagiert sich beim Verein Hemayat, damit traumatisierte Menschen eine Therapie bekommen. Darüber hinaus ist der Primar ein Spezialist auf dem Gebiet der Feststellung von Folter- und Missbrauchspuren. In seinem Büro im Pavillon 25 des Wiener Wilhelminenspitals erzählt er, dass sich die Situation in Österreich bei der Begutachtung von AsylwerberInnen, die angeben, dass sie gefoltert wurden, in den vergangenen Jahren verbessert hat.
Allerdings gebe es nach wie vor KollegInnen, die sehr unsensibel mit dem Thema umgehen und nicht die international empfohlenen Kriterien für diese Untersuchungen berücksichtigen, sagt Mirzaei. Der wichtigste Punkt sei das Erstgespräch und liefere die Hinweise, ob Folter und Missbrauch plausibel erscheinen. Erst in zweiter Linie ist die klinische Untersuchung aussagekräftig, da der Körper über enorme Selbstheilungskräfte verfügt. Nur in den ersten Monaten nach der Folterung können ungeschulte MedizinerInnen ohne spezielle Qualifikation Folterspuren feststellen.
APA/dpa-Zentralbild/Jan Woitas
Entstehung des Istanbul-Protokolls
In den 90er Jahren wurde auf Initiative der türkischen Ärztekammer, der Menschenrechtsstiftung der Türkei und der Physicians for Human Rights das Istanbul-Protokoll erstellt. 75 Expertinnen (Gerichts-MedizinerInnen, ÄrztInnen, PsychologInnen, MenschenrechtlerInnen und RechtsanwältInnen aus 40 Organisationen und aus 15 Ländern waren daran beteiligt.
Istanbul-Protokoll
Diese Richtlinien zur Untersuchung und Dokumentation von Folter wurden im sogenannte "Istanbul-Protokoll" 1999 festgelegt. Im Jahr darauf wurde es sowohl von der UN-Generalversammlung angenommen, als auch von der EU anerkannt. Von Seiten der NGOs und AsylanwältInnen gibt es aber immer wieder Kritik, dass diese Richtlinien bei medizinischen Gutachten in Asylverfahren oft wenig Beachtung finden. Auch deswegen wurde das „Istanbul-Protokoll“ im Jahr 2015 ins Deutsche übersetzt, mit dem sperrigen Titel „Handbuch zur wirksamen Untersuchung und Dokumentation von Folter“. Darin sind Standards, diagnostische Tests und Herangehensweisen festgelegt.
Situation in Österreich
Bei einem Asylverfahren in Österreich werden Gutachten oftmals von Fachärzten für Unfallchirurgie und Sporttraumatologie erstellt. Siroos Mirzaei sagt, dass es die gängige Auflassung der Behörden sei, dass physische Folter aus medizinischer Sicht wie ein Unfall betrachtet werden könne. Deswegen würden in der Regel Unfallchirurgen als Gutachter herangezogen. Mittels einfacher Röntgendiagnostik werde oftmals nach Knochenfrakturen gesucht, um die Aussagen der AsylwerberInnen zu verifizieren.
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Allerdings nur weniger als 10 Prozent der Opfer von Folter weltweit erleiden auch Knochenbrüche, sagt Mirzaei. Oft bleiben lediglich kleine Verletzungen am Skelettsystem und kaum sichtbare äußere Narben zurück. Abseits der - häufig bleibenden - psychischen Folgen ist die Diagnose von Folter, je länger sie zurückliegt, schwieriger. Eine Methode ist zum Beispiel die Knochenszintigraphie, die auch bei Kindern bei Verdacht auf häusliche Gewalt verwendet wird. Damit können auch verborgene Gewalt-Spuren ohne Knochenbrüche sichtbar gemacht werden. Eine radioaktive Substanz wird dabei injiziert und diese setzt sich an jenen Stellen im Skeletsystem ab, wo der Körper nach einer Gewaltanwendung einen Schaden reparieren musste. Mittels dieses Röntgenverfahrens können auch Wunden festgestellt werden, die Jahre zurück liegen.
Mindeststandards bei Gutachten von Folter?
Dr. Mirzaei wünscht sich, dass bei Asylverfahren in Österreich und der Frage, ob Folter vorliegt, nur noch medizinische Gutachter bestellt werden, die auch die nötige Qualifikation vorweisen können. Für viele andere Fragestellungen müsse man eine entsprechende Ausbildung vorweisen, damit man die Gutachten machen kann, kritisiert Mirzai. In der spezifischen Fragestellung der Folter und Traumafeststellung gäbe es aber noch keine definierten Mindeststandards seitens der Behörde oder seitens der Ärztekammer. Eine Reform in diesem Bereich sei überfällig, sagt Mirzaei.