Erstellt am: 8. 12. 2016 - 14:36 Uhr
Der Amazon-Prozess
von Markus Deisenberger
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Der Branchenriese Amazon und die österreichische Verwertungsgesellschaft AUME (Austro Mechana) kämpfen gleich an mehreren Fronten gegeneinander.
Worum es geht: Amazon weigerte sich, die aus der Festplattenabgabe entstehenden Ansprüche zu bezahlen. Um die Rechte aller KünstlerInnen auf Vergütung für privates Kopieren in Österreich durchzusetzen, klagte die AUME den Konzern Amazon daraufhin. Diese Klage der AUME und der prozessuale Ausgang sind für fast alle europäischen Länder von großer Relevanz, weil die Klage bis vor den Europäischen Gerichtshof geführt wurde und somit in Folge viele europäische Systeme betreffen. Wenn man so will, blickt Europa derzeit nach Österreich und bangt, wie die anhängigen Verfahren letztlich entschieden werden.
CC BY-SA 2.0, flickr.com, User: Scoobay
Schon 2013 hatte der EuGH entschieden, dass Amazon für nach Österreich gelieferte CD- und DVD-Rohlinge sowie Speicherkarten eine Abgabe entrichten müsse. Amazon hatte damals argumentiert, dass die österreichische Gesetzgebung gegen EU-Recht verstoße. Mittlerweile wurde das Urheberrecht in Österreich reformiert und die Festplattenabgabe noch deutlicher bestätigt.
Kommt auf Ausmaß der Nutzung an
Der europäische Gesetzgeber sagte dabei sehr klar, dass es auf das Ausmaß der Nutzung ankomme. Die Höhe der Entschädigung hängt also vom durchschnittlichen tatsächlichen Privatkopieren ab. Deshalb müssen auch regelmäßig Studien darüber angestellt werden, wie viel z.B. auf einem Handy im Durchschnitt privat urheberrechtlich geschütztes Material gespeichert wird. Von diesen Zahlen, einem repräsentativen Gesamtumfang, ausgehend sollte der tatsächliche Tarif gebildet werden. Sobald feststeht, wie viele Kopiervorgänge es gibt, weiß man auch, welcher Schaden, der den UrheberInnen entsteht, vergütet werden muss. Je mehr kopiert wird, desto höher wird der Tarif. So die Theorie.
In der Praxis hat der österreichische Gesetzgeber mit der Novelle zum Urheberrechtsgesetz allerdings eine Obergrenze eingezogen. Alle Überlegungen, dass die erhobenen Vervielfältigungshandlungen im Tarif abgebildet werden müssen, seien damit obsolet geworden, meinte der Jurist Paul Fischer von der AUME in einem Interview mit mica – music austria.
Andreas Kolarik
Warum? "Weil man jetzt von einem Richtwert runter rechnen muss", so der Jurist. Von insgesamt 29 Millionen Euro (Obergrenze), die allerdings zwei Ansprüche beinhalten, die papierene Kopie, die sogenannte Reprographievergütung, und die digitale Kopie, die Speichermedienvergütung. Nun gibt es einen parlamentarischen Entschließungsantrag, in dem ein Verhältnis von 20 Mio. (für die Speichermedienvergütung) zu 9 Mio. (für die Reprographievergütung) erwähnt wird. D.h. man kann davon ausgehen, dass 20 Mio. für die Speichermedienvergütung vorhanden sein sollen. Im Ergebnis, so Fischer, sei die tatsächliche Nutzung damit zwar ein Indiz für den anzuwendenden Tarif, aber aufgrund der Obergrenze bei weitem nicht mehr so wichtig wie eigentlich einmal angedacht.
Fraglich ist auch, ob die österreichische Rechtslage überhaupt noch EU-rechtskonform ist. Das könnte man aus den genannten Gründen durchaus in Zweifel ziehen.
Zurück zur Auseinandersetzung zwischen AUME und Amazon: In weiterer Folge hatte sich der Konzern dann geweigert, eine Festplattenabgabe auf SD-Karten und Mobiltelefone mit eingebauten SD-Karten abzuliefern und war daraufhin neuerlich von der AUME vor Gericht gebracht worden. Strittig war dabei auch die Frage, ob der Gerichtsprozess überhaupt in Österreich stattfinden dürfe, weshalb der Oberste Gerichtshof (OGH) als Letztinstanz den Europäischen Gerichtshof (EuGH) um eine Einschätzung bat. Amazon argumentierte etwa, dass der Konzern lediglich Mobiltelefone in Österreich verkaufe, was keine strafbare Handlung sei. Daher fühle sich Amazon für die Abgabe der Entschädigung für private Vervielfältigungen nicht zuständig.
EUGH: Amazons Argumente unbegründet
Der Generalanwalt des EuGH, Henrik Saugmandsgaar Øe, hielt diese Argumente nun "für unbegründet". Das Prinzip, dass Verkäufer von Festplatten – und eine solche sei ja nun einmal auch eine SD-Karte – die Leerkassettenvergütung einheben und somit die Zahlung durch den Nutzer erleichtern, sei durch die EU-Gesetzgebung gedeckt.
So weit so gut. Der EuGH hat demnach im Sinne der AUME, der Festplattenabgabe und der dadurch begünstigten UrheberInnen entschieden. Wer aber nun denkt, die Sache sei damit letztgültig erledigt und das vom OGH noch ausständige und im Sinne der zitierten EuGH-Meinung zu fällende Urteil nur noch Formsache, irrt.
Denn ein weiterer Prozess beschäftigte sich vor dem Handelsgericht Wien mit Aspekten des Verwertungssystems und der Kulturförderung an sich.
Das hat folgenden Hintergrund: Der EuGH hatte 2013, wie bereits erwähnt, die Rechtmäßigkeit des Systems der AUME grundsätzlich bestätigt, aber er hat sie auch von einigen Voraussetzungen abhängig gemacht, die noch von den nationalen Gerichten zu klären seien. Diese Möglichkeit hat Amazon aufgegriffen und attackiert nun im fortgesetzten nationalen Verfahren die Rechtmäßigkeit und überhaupt den Anspruch von Kunstschaffenden auf Privatkopiervergütung.
Ist die SKE-Förderung diskriminierend?
Amazon argumentiert, bisher seien europäische Systeme – wie auch jenes des SKE-Fonds (Soziale und kulturelle Einrichungen) als Teil der AUME – von Gesetzes wegen darauf ausgerichtet, die Mitglieder der jeweiligen Gesellschaft zu unterstützen. Diese Kulturförderung im allerweitesten Sinne auch regionaler oder heimischer KünstlerInnen aber könnte – obwohl die Vergabe durch den SKE-Fonds de facto nie an eine Staatsbürgerschaft gebunden war und aus einer Vergütung, die den UrheberInnen jedenfalls gebührt, passierte – diskriminierend sein, meint Amazon.
Das Handelsgericht Wien hat diesem Standpunkt Amazons – aus juristischer Sicht eher unerwartet – Recht gegeben. Das Oberlandesgericht Wien hat diese Entscheidung im Berufungsverfahren auch bestätigt. Die endgültige Klärung in Österreich erfolgt nun durch den Obersten Gerichtshof (OGH) in dritter und letzter Instanz. Eine Entscheidung wird noch für den Winter 2016 erwartet.
Brigitta Zöchling-Jud vom Institut für Zivilrecht Wien geht davon aus, dass eine mittelbare Diskriminierung nicht vorliegen kann. In einem Artikel (in Medien & Recht 1/16) nimmt sie dabei Bezug auf die Entscheidung des EuGH in Sachen Amazon, und die Ausführungen des Generalanwaltes Mengozzi, wonach eine Diskriminierung nur dann vorliege, wenn ausländische UrheberInnen von den sozialen und kulturellen Einrichtungen rechtlich oder tatsächlich ausgeschlossen werden, was – wie schon angedeutet – de facto nicht der Fall ist. Ob der Zugang von ausländischen UrheberInnen auch in gleichem Maße genutzt wird, ist dagegen unerheblich.
Zöchling-Jud hält aber auch fest, dass selbst für den Fall, dass die SKE ausländische UrheberInnen mittelbar diskriminieren, daraus keineswegs ein Entfall der Vergütungspflicht zu folgern wäre. Mit anderen Worten: Selbst wenn man – wider Erwarten – zum Urteil gelangt, die sozialen Einrichtungen diskriminieren, bringt das Amazon nicht viel, denn die durch den EuGH ja bestätigte Einhebung der Festplattenabgabe, um die es dem Konzern ja eigentlich geht, bleibt ihnen nicht erspart.
Neue Förderzusagen vorerst gestoppt
Trotz dieser eindeutigen Rechtsmeinung von profilierter Seite bleibt allerdings – bis die Entscheidung vorliegt – streng genommen unklar, ob die Vergütung für alle Kunstschaffenden rechtskonform eingehoben wurde oder nicht. Daran aber schließt sich die Frage, ob die AUME diese Gelder überhaupt verteilen darf, sei es individuell oder über die SKE.
Das aber hatte wiederum ganz konkrete Auswirkungen auf österreichische UrheberInnen, denn die AUME sah sich aufgrund der geschilderten Unwägbarkeiten aus unternehmerischer Sorgfalt und Vorsicht rechtlich gezwungen, mit einem Stopp aller neuen Zahlungen aus der Speichermedienvergütung zu reagieren. Beirat und Generalversammlung haben beschlossen, dass die SKE bis zur Entscheidung des OGH keine neuen Förderzusagen geben dürfen.
Die Beiratssitzungen des SKE-Fonds der AUME, in deren Rahmen über Fördervergaben entschieden werden, mussten vorerst verschoben werden. Anträge an die SKE können aktuell nicht (gültig positiv) entschieden werden. Konkret bedeutet das: Anträge können weiter eingereicht werden, entschieden wird aber erst dann, wenn eine für die UrheberInnen positive Entscheidung des OGH vorliegt, eine Entscheidung also, die die Entscheidungen der Vorinstanzen nicht bestätigt.
Auch der Österreichische Musikfonds sagte seinen aktuellen Call ab. Begründung: Der ungewisse Ausgang des Amazon-Verfahrens. "Sollten die Urhebergesellschaften das Verfahren gegen Amazon in letzter Instanz verlieren, hätte das dramatische Folgen für die gesamte Branche", meldete sich Musikfonds-Geschäftsführer Harry Fuchs laut einer Presseaussendung zu Wort. Entscheidet der OGH im Sinne Amazons, würden laut Musikfonds-Chef Fuchs "die aus der Privatkopievergütung dotierten Fördersysteme zusammenbrechen". Viele Musikproduktionen könnten nicht mehr verwirklicht werden, Tourneen würden massiv gekürzt, warnt Fuchs.
Ganz ähnlich verhält es sich mit Förderansuchen an die LSG Interpreten. Auch die können derzeit nicht behandelt werden, hieß es in einer Aussendung. Grund dafür: Das laufende Gerichtsverfahren der AUME gegen Amazon. Die LSG Interpreten ersuchte, bis auf Widerruf keine neuen Förderansuchen einzureichen.
Wichtige Strukturen gefährdet
Wenn man so will, sind österreichische UrheberInnen also gleich mehrere Male vom Ausgang des Verfahrens betroffen: Einmal durch die Festplattenabgabe selbst, dann aber auch durch mögliche Förderungen durch die SKE, den Musikfonds oder die LSG Interpreten. Ob MusikerInnen bzw. weiterhin in den Genuss dieser Gelder kommen, ist derzeit noch ungewiss.
Wie man daher zu diesem Rechtsstreit auch stehen mag, Faktum ist, dass wichtige Strukturen, die MusikerInnen in Österreich – ob nun über Ausschüttungen der SKE oder Förderungen des Musikfonds bzw. der LSG – Produktionen ermöglicht und Tourneen finanziert haben, durch das beim OGH anhängige Verfahren gefährdet sind. In einem strukturschwachen Land wie Österreich, in dem nur die wenigsten von ihrer Musik leben können, sind aber genau diese Förderungen für MusikerInnen und deren Produktionen unterschiedlichster Genres überlebensnotwendig.