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Lisa Schneider

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18. 12. 2016 - 00:07

FM4 Intelligentkalender #18: Flüchtlingspatenschaft

24 Ideen für eine bessere Welt. Heute: Eine der Möglichkeiten, minderjährige Flüchtlinge in Österreich zu unterstützen. Wir haben uns das Projekt "connecting people" genauer angesehen.

Der FM4 Intelligentkalender

24 Ideen zur Rettung der Welt.

Ich spreche mit Marion Kremla, die schon seit vielen Jahren – ja, seit sich der Begriff „Flüchtlingspatenschaft“ vor gut 15 Jahren etabliert hat – tatkräftig für das Projekt „connecting people“ arbeitet. Dahinter wiederum steht die Asylkoordination Österreich, und mit ihr mittlerweile an die 600 Paten und Patinnen. Oft übernehmen Paare eine Patenschaft, deshalb sind es im Schnitt mehr Pateneltern als zu unterstützende Jugendliche.

„Der Schlüssel zur Integration, zum Ankommen in einer Gesellschaft, zum sozialen Neuanfang, ist die Verbindung zum Land über einen anderen Menschen.“

In ihrer jahrelangen Erfahrung hat Marion Kremla vor allem gelernt, wie wichtig zwischenmenschliche Beziehungen für die Integration vor allem sehr junger Flüchtlinge sind. Die Patenschaft kann ab 21 Jahren geschehen – Obergrenze gibt es keine. Der älteste Pate ist momentan 77 Jahre alt, und außerdem wären die meisten Jugendlichen „sehr offen, was das Alter ihrer Bezugspersonen angeht“.

Flüchtlingspatenschaft

Severin Dostal

Ein wichtiger Faktor ist das Zeitmanagement, wenn man sich überlegt, Pate oder Patin zu werden. „Oft kommen junge Studenten und Studentinnen zu uns in die Informationsrunde, und ich muss sie dann immer fragen, ob sie planen, demnächst ein Auslandssemester zu starten“, erzählt Marion Kremla. Normalerweise sind für eine Patenschaft zwei Jahre vorgesehen – nach oben hin gibt es aber natürlich keine Grenzen. Es ist auch schon oft passiert, dass die jeweiligen Jugendlichen bei ihren Paten oder Patinnen eingezogen sind.

Ein Gefühl von Zugehörigkeit

Ein besonders schönes Beispiel ist die Geschichte von Nikola Truxa und ihrem Ehemann. Sie erinnert sich zurück, als sie noch jung war, und ihr Mann als Österreicher in Deutschland studiert hat: „Er war so allein und verloren, ja fast hilflos. Da dachten wir uns, weil wir außerdem auch selbst keine Kinder haben, dass das für uns die Möglichkeit wäre, jemandem zu helfen, dem es jetzt ähnlich ging wie ihm damals.“

Auch hier kann man sich als Pate oder Patin bewerben - oder geflüchteten Jugendlichen auf andere Weise helfen:

Nikola Truxa und ihr Mann haben für den mittlerweile erwachsenen jungen Afghanen, den sie damals aufgenommen haben, die Pflegelelternschaft beantragt. Weil sie das Gefühl hatten, es passt zwischen ihnen – und sie ihm vor allem ein Gefühl der Sicherheit und der Familienzugehörigkeit bieten wollten. Mittlerweile ist er ausgezogen und steht auf eigenen Beinen – und die Truxas sind erneut Paten geworden, wieder über das Projekt connecting people.

Flüchtlingspaten und ihr "Patenkind" beim Billiardspielen

Severin Dostal

Die Geschichte von Familie Truxa ist ein Idealbeispiel, natürlich kann alles auch anders verlaufen. Marion Kremla erzählt, dass es sich meist in den ersten zwei-drei Monaten herauskristallisiert, ob die Chemie stimmt oder eben nicht. Von den Paten wird gefordert, sich einmal in der Woche für einige Stunden Zeit zu nehmen – und oft ist es sogar so, dass die Jugendlichen selbst wenig Zeit haben, aufgrund von Kursen oder einfachen Freizeitbeschäftigungen wie Fußballspielen. Dass Zeit investiert werden kann und muss, ist eine Forderung an die Paten. Die „Patenkinder“ selbst werden aber auch zuvor von ihren Betreuungspersonen ausgewählt, müssen zum Beispiel zumindest etwas Deutsch verstehen / sprechen können, um einen Paten oder eine Patin zugeteilt zu bekommen.

Stabilität ist das Wichtigste

„Das Wichtigste ist, dass die Paten wissen, dass sie eine längerfristige Beziehung eingehen. Viele der Jugendlichen haben eine Geschichte mit sehr vielen Beziehungsabbrüchen hinter sich, und konnten so nie wirklich Vertrauen aufbauen.“

Die soziale Biographie der meisten minderjährigen Flüchtlinge ist eine bruchstückhafte, oft ging es von den Eltern zum Onkel, weiter auf die Straße, und mit irgendwelchen Unbekannten weiter über die Grenze. Soziale Stabilität ist einer der wichtigsten Faktoren, hier ein neues Leben überhaupt beginnen zu können.

Und wie lauten die Tipps für jemanden, der mit dem Gedanken spielt, eine Patenschaft zu übernehmen – aber sich noch nicht ganz traut?

Mut, Vertrauen und Offenheit – sich, dem Leben und einer möglichen neuen Beziehung gegenüber. „Er hat mir eine neue Welt eröffnet“, erzählt Nikola Truxa.