Erstellt am: 5. 12. 2016 - 17:53 Uhr
Gurken und Science Fiction
Als früher Teenager entwickelte sich bei ihm eine kleine Science Fiction Sucht, erklärt John Wray. Dieser bedeutende Einfluss sei in seiner Arbeit aber kaum erkennbar. Also wollte er das mit dem Roman "Das Geheimnis der verlorenen Zeit" ändern. Science Fiction spielt darin eine Rolle, nicht zuletzt, weil eine der Hauptfiguren ein Science Fiction Autor ist, dessen Werk auszugsweise immer wieder zitiert wird. Dieses sei eher mäßig begabt und schmutzig, erklärt John Wray lachend. Und es habe ihm sehr viel Spaß bereitet, diese sehr schlechten Science Fiction Stellen zu schreiben.
Rowohlt Verlag
John Wray ist ansonsten nicht für schlechtes Schreiben bekannt.
2007 wurde er vom Literaturmagazin "Granta" unter die 20 besten jungen US-Autoren gewählt.
Für John Wray sind Zeitreisen das Hauptthema von Science Fiction. Und Zeitreisen spielen eine bedeutende Rolle in seinem jüngsten Roman. Das Interesse für Zeitreisen wurde dem Protagonisten und Erzähler Waldemar Tolliver, kurz Waldy, bereits in die Wiege gelegt. Dessen Urgroßvater, ein Gurkeneinleger in Znaim im heutigen Tschechien und sehr umtriebiger Mann, hat "das Wesen der Zeit" entdeckt.
Dummerweise wird er bei einem Autounfall getötet und seine Notizen verschwinden. Seine beiden Söhne versuchen vergeblich, die Erkenntnisse des Vaters zu erforschen, ebenso die nächste Generation und jetzt eben Waldy.
Waldy erzählt seine Familiengeschichte einer Frau, die ihn verlassen hat – nicht zuletzt deswegen, weil er ihr nie viel von sich erzählt hat.
So spielt der Roman auf mehreren Ebenen. Es gibt die Situation des Schreibens an diese Frau mit Rückblicken auf das mit ihr Erlebte, die komplizierte Familiengeschichte mit Verrat, Flucht und Kriegsverbrechen, daneben Theorien und Erklärungen zum Wesen der Zeit und Zeitreisen und obendrauf auch Anspielungen an Scientology.
Durchaus komplex das alles – noch dazu schreibt Waldy in der engen vollgestopften Wohnung seiner Tanten, einer Art Archiv.
"Wäre Noah von Gott beauftragt worden, eine Arche für Konsumgüter statt für Tiere zu bauen – und wäre Noah ein betrunkener Paranoiker gewesen –, hätte seine Arche vermutlich wie diese Wohnung ausgesehen."
Nicht weiter verwunderlich, dass John Wray beim Schreiben oft den Überblick verloren hat. Um den wieder zu finden, habe er architektonische Pläne und Stammbäume auf die Wand seines Arbeitszimmers gezeichnet und viele kleine Notizen ebenso wie Postkarten an die Wand gepickt. Nach sieben Jahren sei die Wand im Arbeitszimmer voll gewesen und wie sein Protagonist habe auch er sich manchmal gefragt, wie er aus diesem Labyrinth wieder rausfinden könne.
Fenchelwurst und Murakami
Es sei nichts Schlechtes, wenn man als Autor nicht genau wisse, wie die Sache weitergeht, erklärt John Wray. Haruki Murakami habe ihm einmal in einem Gastgarten gestanden, dass auch er oft keine Ahnung habe, wie sein Text weitergehen soll. Als John Wray dann meinte, das beschäftige ihn derzeit, habe Hurakami auf die Wurst gezeigt, die die beiden gerade aßen und habe gefragt: "'Schmeckt dir diese Wurst?' Worauf ich gesagt habe: 'Ja, diese Wurst ist ziemlich schmackhaft'. Und seine einzige Antwort drauf war: 'Dann tust du die Wurst in den Roman hinein'. Und das hab ich tatsächlich getan – Fenchelwurst spielt eine ziemlich große Rolle in dem Roman."
Friesach und Brooklyn
Ali Smith
Wie schon in den vorherigen Büchern gibt es immer wieder Verweise nach Österreich - teilweise sind die autobiographisch. Auch in seinem Roman "Retter der Welt" stammt die Mutter des Protagonisten wie Wrays Mutter aus Österreich.
John Wray ist in einer Provinzstadt in den Vereinigten Staaten unmittelbar an der kanadischen Grenze – "also sehr weit weg von allem" aufgewachsen. Seine Besuche im Sommer in Österreich u v.a. in Kärnten waren sehr wichtig für ihn. "Das waren sehr glückliche Zeiten für mich und sehr wichtige, bedeutende Monate."
Nach wie vor sei er gerne in Österreich."Man kann sich als Schriftsteller natürlich nicht ausschließlich angenehme schöne Themen aussuchen. Aber es muss schon Stellen geben im Roman, die einem wirklich eine Freude machen und man muss auch schöne Sachen beschreiben können. Und irgendwie ist diese Sehnsucht nach Europa und nach den Alpen für mich oft sehr brauchbar als Ausgleich zu den Sachen, die vielleicht sehr düster und erschreckend oder brutal wirken."
Euphasia
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"Das Geheimnis der verlorenen Zeit" kann gut unterhalten. Bemerkenswert ist aber Wrays Sprache und Wortwitz. Und Kniefall vor seiner Wortkreation "Euphasia". Darunter versteht der große Kinofan John Wray das seltsame Gefühl, wenn man nach dem Kinobesuch immer noch irgendwie im Film steckt. "Dann hab ich mir gedacht, also eigentlich könnte ich einen Ausdruck dafür erfinden und dann auch veröffentlichen, damit es in die Sprache kommt. Werden wir sehen, ob das aufgenommen wird oder nicht, aber jedenfalls gibt es jetzt endlich einen Ausdruck dafür – Euphasia."
Euphasia kann sich auch bei Büchern einstellen, allein dafür lohnt es sich "Das Geheimnis der verlorenen Zeit" zu lesen.