Erstellt am: 6. 12. 2016 - 11:00 Uhr
Es hilft, was Spaß macht
Ein Dreijähriger, der sich keinen Schritt von seiner Mutter wegbewegen will, weil sein Vater im Iran inhaftiert war, oder ein afghanisches Kind, das nichts mehr isst und Bilder mit zerfetzten Körperteilen zeichnet, weil sein Freund auf der Flucht auf eine Granate getreten ist.
Laut Innenministerium sind letztes Jahr etwa 90.000 Asylanträge eingegangen. Rund ein Drittel davon für Kinder und Jugendliche.
Folter, sexuelle Gewalt, der Verlust der Familie und von allem, was einem Sicherheit bietet: Die KlientInnen, die Sonja Brauner bei Hemayat betreut, haben unvorstellbare Dinge erlebt. "Ich habe mir schon oft gedacht, das ist jetzt das Schlimmste, was ich gehört habe", sagt die Kinder- und Jugendtherapeutin, "und dann kommen neue KlientInnen und es wird noch schlimmer."
Radio FM4
Wie zeigt sich ein Trauma?
Trennungsängste oder Essstörungen sind nur zwei der vielen Symptome, die Kinder und Jugendliche mit Kriegstraumata entwickeln können. Kleinere Kinder fallen oft in eine frühere Entwicklungsstufe zurück und verlernen Verhaltensweisen, die sie eigentlich beherrschen, machen sich etwa in die Hose, obwohl sie schon sauber waren oder hören auf zu sprechen. Ältere Kinder und Jugendliche reagieren mit Rückzug, Selbstverletzungen oder Aggression nach außen. Schlafen, lernen oder sich zu konzentrieren, ist vielen kaum mehr möglich.
Spielen und kreativ sein
- Warten auf die Therapie
Bei Hemayat sind derzeit 69 Kinder und Jugendliche in Einzel- und Gruppentherapie. 31 weitere warten auf einen dringend benötigten Therapieplatz. 24 weitere stehen auf der Warteliste für ein Erstgespräch, das den Therapiebedarf abklären soll.
Bei Hemayat sind insgesamt etwa 90 Kinder und Jugendliche in Behandlung. Sie sind zwischen drei und achtzehn Jahren alt. Es stellt sich also die Frage, wie sich die Behandlungsmöglichkeiten von denen von Erwachsenen und natürlich auch innerhalb dieses Altersspektrums unterscheiden. Eine Fünfjährige, die mit ihren Eltern geflüchtet ist, wird andere Dinge brauchen als ein unbegleiteter 17-Jähriger.
In der Therapie, so Brauner, gehe es in erster Linie darum, einen sicheren Ort zu schaffen. Niemand muss, geschweige denn kann, das Erlebte gleich erzählen, da das mitunter retraumatisierend wirke.
Mit kleineren Kindern, die zum Teil noch keine Sprache entwickelt haben, arbeitet die Psychotherapeutin mit Spieltherapie und versucht, positive Momente zu schaffen. In ihrer Praxis und in den Therapieräumen bei Hemayat gibt es Handpuppen und Stofftiere, die verschiedene Rollen einnehmen können, bunte Pölster, einen Autoteppich und ein Puppenhaus, Bauklötze, die oftmals aufgebaut und gleich wieder zerstört werden und Papier und Stifte zum Malen und Überkritzeln.
Mit dem kleinen Iraner mit Trennungsängsten hat Sonja Brauner zum Beispiel viele Höhlen aus Decken und Pölstern gebaut. "Das Höhlenbauen entspricht der Entwicklungsphase in diesem Alter, und es ging ganz stark darum, wer in diese Höhle hinein darf und wer nicht."
Radio FM4 / Clemens Fantur
- Kinderrechte
Die UN-Kinderrechts-konvention sieht vor, dass allen Kindern und Jugendlichen zwischen 0-18 Jahren, die in Österreich leben, unabhängig von ethnischer Herkunft und Asylstatus, die gleiche gesundheitliche Versorgung zukommen muss. Bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen gibt es allerdings große Versäumnisse. Das belegt ein neues Rechtsgutachten der Uni Innsbruck im Auftrag von SOS-Kinderdorf.
"Vor allem asylsuchende Minderjährige über 14 werden oft mehr verwahrt als betreut", sagt SOS-Kinderdorf-Geschäftsführer Christian Moser, obwohl der Staat gerade für diese die Elternrolle übernehmen müsste. Die derzeitige Verwaltungspraxis ist klar rechtswidrig.
Sprechen und sich bewegen
Mit älteren Kindern und Jugendlichen kann man in der Therapie schon viel eher das Gespräch suchen, stärker auf die persönliche Geschichte eingehen und/oder mit Kunst- und Bewegungstherapie helfen. Hier können auch konkrete Ziele gesetzt werden: Wie schaffe ich es, mich in der Schule zu verbessern? Was kann ich in meiner Freizeit tun? Wie finde ich Freunde? Gruppenbildende Aktivitäten, die Struktur geben und gute Gefühle schaffen stehen hier im Vordergrund. Boxen, Fußball, Karate, Tanzen - es hilft, was Spaß macht. "Denn wenn viel Wut da ist, ist es wichtig, dass sich die gesund kanalisiert", so die Psychotherapeutin, "gerade bei älteren Burschen".
Natürlich nicht nur bei denen. Hemayat konnte einem 13-Jährigen Mädchen aus Afghanistan gut helfen, indem sie neben der Therapie in einem Kickboxverein untergebracht wurde. Schon im Iran, wo sie einige Jahre gelebt hatte, war sie in ihrer Gewichtsklasse extrem gut, in Österreich hatte sie große Probleme in der Schule sowie Schlaf- und Konzentrationsstörungen. Als sie ihr Training schließlich fortsetzen und ihre persönlichen Ressourcen nutzen konnte, klappte es mit dem Schulabschluss und es ging es ihr schnell viel besser. Heute ist sie Anfang 20, stabil und selbstbewusst und boxt nach wie vor in ihrer Freizeit.
DolmetscherInnen und das soziale Netzwerk
Sonja Brauner könnte etliche solcher Fälle aufzählen, immerhin ist sie seit mehr als 10 Jahren bei Hemayat tätig und hat unzählige KlientInnen betreut. Manche davon wurden während der Therapie abgeschoben, manche melden sich nach Jahren wieder, wenn sich neue Krisensituationen ergeben. "Denn natürlich ist es mit acht bis zehn Sitzungen nicht getan", sagt sie. "Wir können bei der Stabilisierung im Alltag helfen, aber von einer Traumakonfrontation sind wir da noch weit entfernt." Mit "wir" meint Brauner die DolmetscherInnen, die sie und ihre KollegInnen bei Hemayat bei ihrer Arbeit unterstützen.
Eder, Brauner, Gasser
"Karim auf der Flucht: Das Bilder-Erzählbuch für heimische Kinder und ihre neuen Freunde von weit her". Von Sigrun Eder, Sonja Katrina Brauner und Evi Gasser. Das Buch soll noch vor Weihnachten im Riedenburgverlag Salzburg erscheinen.
Sie helfen Vertrauen und eine Beziehung aufzubauen und dabei, die kulturspezifischen Hintergründe in die Therapie zu integrieren. Wer die Chance hat die eigenen Lieder, Traditionen oder Gerichte zu teilen, kann sich leichter auf Neues einstellen. Zusätzlich spielt in der Kinder- und Jugendtherapie das soziale Netzwerk eine extrem wichtige Rolle. Die Hemayat-TherapeutInnen sind ständig in Kontakt mit LehrerInnen in Schulen und Deutschkursen, SozialarbeiterInnen oder BetreuerInnen in Wohnheimen. "Es ist schön, wenn jemand bei mir eine gute Sitzung hat", so Brauner, "aber der Rest der Zeit sollte sinnvoll genützt werden und darf nicht einfach Leerlauf sein."
Traumatisierungen müssen behandelt werden
Klar ist jedenfalls, dass es sich für eine Gesellschaft nicht auszahlt, traumatisierte Menschen allein zu lassen, egal ob sie aus Syrien, Afghanistan oder aus Österreich kommen. Kriegstraumata wachsen sich nicht einfach aus. Im schlimmsten Fall chronifizieren sie sich. Das schlägt sich dann auch im Gesundheitssystem durch höhere Kosten nieder, weil die Behandlung immer schwieriger wird.
Klar ist auch, dass die Arbeit, die Hemayat leistet, aus verunsicherten und emotional verwundeten Kindern und Jugendlichen kompetente, unabhängige und selbstbewusste Menschen macht - und das ist unbezahlbar.