Erstellt am: 5. 12. 2016 - 12:30 Uhr
Wir sollten uns trotzdem wundern, was alles geht
#BPW16 Nachbetrachtung:
Der Vormarsch der Rechtspopulisten ist gebremst worden. Unterm Strich bleibt am Tag danach offenbar genau diese Erkenntnis vom Wahlergebnis dieses 4. Dezembers übrig. Und das mag auch sein.
Was man dabei aber übersieht: Für das politische System Österreichs bedeutet diese Wahl insgesamt eine Zeitenwende. Da ist kein Damm gerade-noch-mal-nicht-gebrochen, da wurden seit Jahrzehnten gültige Regeln außer Kraft gesetzt, und das in Wirklichkeit schon beim ersten Wahlgang im April. Denn dass keiner der Kandidaten der beiden, das System seit Jahrzehnten dominierenden, Parteien SPÖ und ÖVP überhaupt den Einzug in die Stichwahl geschafft hat, war und bleibt ein politisches Erdbeben.
![© APA/AFP/VLADIMIR SIMICEK Alexander Van der Bellen jubelnd im Kreis der Wahlkämpfer](../../v2static/storyimages/site/fm4/20161249/AUSTRIA-POLITICS-VOTE-=_body.jpg)
APA/AFP/VLADIMIR SIMICEK
Auch wenn die beiden Reigerungsparteien es mit ihrer offenen bzw. teilweisen Unterstützung für Van der Bellen dann am Ende doch noch irgendwie geschafft haben, als Mit-Gewinner dazustehen: Ihre Kandidaten kamen im ersten Wahlgang auf weniger als 23% der Stimmen. Gemeinsam wohlgemerkt! Das zeigt nichts anderes, als dass es so etwas wie eine stabile Stammklientel für beide Parteien nicht mehr in nennenswertem (=wahlentscheidendem) Ausmaß gibt.
Österreich hat einen Grünen Bundespräsidenten!
Das ist neu! Und das wäre noch vor einem Jahr undenkbar gewesen, noch viel undenkbarer als einer, den die FPÖ stellt. Auch das wäre neu gewesen, aber die FPÖ liegt zumindest seit über einem Jahr in jeder(!) Wahlumfrage auf dem ersten Platz. Die Grünen liegen ebenso konstant auf dem vierten.
Die WählerInnen wären seit den 90er Jahren "mobil" geworden, heißt es. Und das klingt dann, als wäre es irgendwie schade. Dabei machen sie nur zusehends genau das, was sie in einer Demokratie machen sollten: Sie entscheiden sich jedes Mal aufs Neue - und ändern dabei manchmal ihre Meinung.
Es ist verständlich, dass Parteien diese Wankelmütigkeit (wenn sie Stimmen verlieren) nicht gerade lieben. Und natürlich ist es eine demokratiepolitische Schwierigkeit, den WählerInnen große und lange Wege durch komplexe gesellschaftliche Probleme schmackhaft zu machen, wenn die Konkurrenz mit simplen und kurzfristigen Lösungen lockt. Aber da muss eine Demokratie durch, wenn sie eine solche sein will; und wenn eine Wahl mehr sein soll als eine Volkszählung, bei der erhoben wird, wieviele KirchgängerInnen wievielen ArbeiterInnen gegenüberstehen und man dann dementsprechend ein Parlament zusammensetzt.
Natürlich birgt das die Gefahr, dass schnelle Versprechen im Vordergrund stehen. Und dass Themen in den Fokus rücken, die leicht zu verstehen und sichtbar sind, auch wenn sie vielleicht gar keine großen Probleme sind. Aber wenn man politische Lösungen auf die Aufmerksamkeitsspanne beim Betrachten eines Kätzchen-Videos auf Youtube verkürzt, dann darf man sich nicht wundern, wenn Hopfen und Malz verloren sind.
Wem traue ich eine richtige Entscheidung zu?
Das ist die Kernfrage bei jeder Wahl in einer repräsentativen Demokratie. Dass sich das österreichische Wahlvolk diese Frage inzwischen wirklich stellt und nicht mehr einfach das wählt, was man halt sonst gewählt hat, ist tatsächlich neu und ein Schritt vorwärts. Nur muss man dieses neue Spielfeld eben auch mit Inhalten füllen. Wenn alles möglich ist, wenn ein Kandidat der viertstärksten Partei Präsident werden kann, dann sollte spätestens jetzt allen Parteien klar sein, dass "das ist unser Kandidat (und er ist nett)" zuwenig ist, und es Ideen braucht.
#BPW16
Alles zur Präsidentschaftswahl auf fm4.ORF.at
Auch wer den Sieg eines rechtspopulistischen Kandidaten als eine "Bedrohung" sieht, muss sich in einer Demokratie dieser "Bedrohung" stellen. Und zeigen, dass der eigene Weg der bessere ist. Immer wieder, bei jeder einzelnen Wahl. Das bleibt jetzt so, weil wir sehen ja, was alles geht.