Erstellt am: 4. 12. 2016 - 14:54 Uhr
Crazy in love, history of violence
Schlafzimmerdramen, Schuldgefühle und psychologische Kriegsführung. Frustration, Abhängigkeiten. Es ist schwierig, es ist ein Krampf. Die zwischenmenschliche Beziehung, die Existenzen in einer staubigen Welt, es wurde davon gesungen.
An dieser Stelle auch einmal etwas anderes: Altherren-Rockmusik, die die Historie kennt und die sich die Erfahrung der echten. wahren Gefühle auf die Fahnen geschrieben hat. Die die Idee von "Authentizität" verkörpern will und dies für viele Menschen auch tut, dabei aber gleichzeitig die Schraube weiterdreht und den musealen, künstlichen Charakter dieses Unterfangens herausstellt.
Die Rolling Stones habe gerade unter großem Getöse ein neues Album veröffentlicht, ihr erstes seit über zehn Jahren. "Blue & Lonesome" heißt die Platte wenig revolutionär und nur themenadäquat schlicht. Sie enthält ausschließlich Cover-Version alter Blues-Nummern - auf mehr als auf die Essenz hat man sich als Band wohl nicht mehr einigen können und erfolgreich glühende Eigenkompositionen liegen im Werk der Rolling Stones auch schon eine Weile zurück.
The Rolling Stones
Auf dem gesamten Album erfreut sich Mick Jagger an der Mundharmonika, vor allem ausdrücklich im Stück "Just Your Fool" das die Band der Version von Little Walter aus dem Jahr 1960 nachempfunden hat.
Ja, die Mundharmonika, die lässt man heutzutage kaum noch jemandem durchgehen. Bob Dylan darf, er darf ja alles, auch Neil Young. Abgesehen davon wird es schon dünn mit der Akzeptanz für das verbeulte Altmetallgebläse. Noch unbeliebter als das schwülstige 80er-Jahre-Saxofon mit erotisch gemeintem Beigeschmack.
Zum Blues aber gehört sie dazu, da hört man schon körperlich erfahrbar die Frustration, das Brennen im Leib und die rostigen Tränen durch die engen Kanäle des Instruments sich ihren Weg in die Freiheit bahnen. Entladung, Explosion, es ist ein Kampf, es ist ein hartes Leben.
- Alle Songs zum Sonntag auf FM4
- Auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar macht sich in der Presse am Sonntag zum jeweils selben Song seine Gedanken.
Der Song "Just Your Fool" verhandelt die alten Geschichten: Aussichtsloses Lieben, Ausgeliefertsein. "I'm just your fool, can't help myself, I love you, baby, and no one else", heißt es da und "I ain't crazy, you are my baby, I'm just your fool".
Beschwingt und bittersüß ist das, bis es dann widerlich wird. Sollte die Frau im Song nämlich einen anderen Typen finden, so der Erzähler, müsse er sich wohl ein Gewehr kaufen und die Frau erschießen.
Das ist aber keine Verharmlosung oder irgendwie lustig oder ironisch gemeint. Auch wenn sich im Laufe der Zeiten langsam, langsam die Weltbilder verschieben können – hier wird herausgearbeitet, dass Gewalt gegen Frauen immer noch oft als beiläufig und rechtfertigbar begriffen wird. Der Mann muss sich das alles eben nur irgendwie schönreden, er kann ja nichts dafür.
Das Lied lässt heute aber keine Zweifel mehr, dass er das Elend und mehr als bloß ein "fool" ist. Ein hässliches, beunruhigendes Lied. Und jetzt machen wir den Deckel zu.