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Lisa Schneider

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4. 1. 2017 - 05:17

Ein fetter Entwicklungsschinken

Nathan Hill schreibt mit "Geister" ein hervorragendes Debut, das gleichzeitig Gesellschafts- und dramatischer Familienroman ist. So voll von sarkastischen politischen Sticheleien - vor der US-Wahl hätte man es als prophetisch bezeichnen können.

Über die Feiertage ist endlich Zeit für fette Schinken. Dabei denken wir weniger ans Essen als vielmehr an dicke Wälzer. An Bücher, die mindestens 500 Seiten haben und in die man so richtig reinkippen kann. Etwa in "Geister" von Nathan Hill.

Und um bei fetten Schinken zu bleiben - der fast literarische Dialog neulich an der Wursttheke...

Cover "Die Geister" von Nathan Hill

Piper

"Geister" von Nathan Hill ist in einer Übersetzung von Katrin Behringer und Werner Löcher-Lawrence im Piper Verlag erschienen.

Na was hom denn Sie do?

"Geister", den Debutroman des amerikanischen Schriftstellers Nathan Hill.

Wie viele Seiten hat des?

857.

Wie schwer ist das?

750 Gramm.

Worum geht’s?

Eine ältere Frau wagt während eines Wahlkampfauftritts eines kandidierenden Rechtspopulisten in Wyoming einen recht kläglichen Angriff: Sie bewirft ihn mit Kieselsteinen. Nun soll Samuel, Protagonist, gescheiterter Schriftsteller und Sohn dieser Frau, ein Leumundszeugnis zugunsten seiner Mutter abgeben - dabei weiß er nichts über sie. Sie hat ihn verlassen, als er elf Jahre alt war. Samuel beginnt, Recherchen anzustellen. In Zeitsprüngen wird das Leben seiner Mutter erzählt – das offenbar schon vorher, im Jahr 1968 in Chicago, eng mit politischen Aktivitäten verknüpft war.

Warum ist das Buch so dick?

Weil Hill gleichzeitig das Leben seines Protagonisten sowie das seiner Mutter von Kindheitstagen an aufrollt.

Ab wann ist man drin?

Ab der ersten Seite. Da geht es nämlich gleich um den tragischen Moment, als Samuels Mutter ihn verlässt.

Gibt’s da auch Längen?

Nein, dafür ist er zu schlagfertig.

Sonst noch irgendwas, was ich wissen muss?

Die deutsche Übersetzung trifft den Nagel leider nicht immer auf den Kopf. Das merkt man nicht nur bei kleinen Redewendungen, die hinken, sondern schon am Titel. „The Nix“ heißt der Roman ursprünglich und bezeichnet einen norwegischen Geist, den Fayes Vater aus seiner Heimat mitgebracht hat - und der das junge Mädchen seither verfolgt. Er ist eine wichtige, wenn auch imaginäre Figur und hätte deshalb ruhig auch im Deutschen den Platz am Titel behalten können.

FM4 Lesetipps

und weitere fette Schinken, ausgesucht von der FM4 Literaturredaktion, gibt es hier.

Dürft ich vielleicht a Kostprobe haben?

Natürlich. Hier eine Stelle, die besonders im Rahmen der kürzlichen US-Wahlen den scharfzüngigen Unterton des Romans hervorhebt:

“Sein Redestil“, heißt es über den republikanischen Präsidentschaftskandidaten, „ist eine Art verbaler Impressionismus.“ Es sei, als ob „die Worte exakt in dem Moment seinen Mund verlassen, da sie ihm in den Sinn kommen."

Na. Des taugt ma – können'S mir gleich einpacken.